Konstantin Müller

JAMES HARRISON


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mich einen Moment an, dann richteten wir uns auf. Doris und Nick kamen auf uns zu.

      »Was ist passiert?«

      »Kommen Sie mit!« Trotz der unmittelbaren Gefahr hatte Rosy eine kräftige Stimme und wandte sich John zu. Als mein Vater uns die Tür öffnete, blieb sie jedoch wie angewurzelt vor mir stehen und ihre Nackenhaare sträubten sich. Ich lugte an ihrem Kopf vorbei und auch ich erstarrte.

      Der Kopf des einen Piloten lag auf dem Instrumentenbrett und der Körper des anderen hing über der Armlehne seines Sitzes zu uns gebeugt. Seine Pupillen stierten in seinen Kopf.

      »Was...?«, stieß Doris hervor.

      »Der hier«, John deutete auf den Kopiloten, »muss den anderen erschossen haben. Mir blieb nichts anderes übrig, als ihn bewusstlos zu schlagen.«

      »Erschossen?«, keuchte Rosy entsetzt und John schnaubte.

      »Er muss zu den Fosit gehören. Wer sonst sollte unsere Reise sabotieren wollen? Ein Glück, dass der Autopilot eingeschaltet wurde.« Ich sah die bestürzten Blicke der anderen. Also versuchten jetzt die Fosit alles daran zu setzen, uns den Weg an das Gegengift zu versperren. Unsere Flugbegleiter wussten zwar nicht, wer oder was die Fosit waren, dennoch verstanden sie, was es hieß, ohne Pilot und Kopilot in einem Flugzeug in einigen Kilometern Höhe zu sitzen, mit einem ausgefallenen Triebwerk mitten über dem australischen Kontinent.

      »Was machen wir jetzt?«, fragte ich. Meine Stimme klang nicht halb so gefasst, wie die von John.

      »Ich weiß nicht. Wir müssen versuchen, das Flugzeug zu landen. Ich werde Kontakt mit dem Tower am Flughafen von Adelaide aufnehmen. Wir werden jede Hilfe brauchen, die wir bekommen können. Kann jemand von Ihnen fliegen?«, fragte mein Vater streng unsere Flugbegleiter. Der Mann schüttelte entsetzt den Kopf, doch Doris sagte aufgeregt: »Isabelle – Sie kennen sie, das ist die Dritte – sie hat vor Jahren ein paar Flugstunden absolviert! In ihrer Freizeit ist sie Segelfliegerin. Allerdings ist sie noch nie einen Jet wie diesen hier geflogen.« Es gab hier Jemanden, der wusste, wie man ein Flugzeug steuerte! Eine Möglichkeit, ein Funken an Hoffnung, diesen Höllentrip zu überstehen.

      »Gut, aber… wo ist sie?« Doris schaute über ihre schmalen Schultern.

      »Ich habe sie dabei gesehen, wie sie sich bei der Explosion in der Toilette eingeschlossen hat. Ich geh’ sie holen.« Und sie eilte stolpernd in Richtung Küche. Wir warteten gespannt.

      »Bella? Isabelle, meine Liebe! Ist mit dir alles in Ordnung? Isabelle!« Ein dumpfer Aufschlag war zu hören als die kleine Frau in Doris Arme fiel.

      »Sie ist bewusstlos… glaube ich«, rief uns Doris zu und legte ihre Kollegin vorsichtig auf den Boden.

      »Rosy, könntest du Frau Doris helfen? James, was ist mit deinem Gesicht?« Sie tat ohne Widerspruch das, was John ihr gesagt hatte und Nick folgte ihr. In solch einem Fall musste man meinem Vater vertrauen. Er kam auf mich zu, um meine zertrümmerte Nase zu begutachten. Ich stieß ihn von mir.

      »Das ist nichts. Wir müssen uns um das Flugzeug kümmern.« Mein Vater schaute mich besorgt an, wandte sich dem Instrumentenbrett zu und überlegte: »Hilf mir mal, die Zwei hier raus zu tragen. Kennst du dich mit den Schaltern hier aus?« Ich warf einen prüfenden Blick auf die vielen Hebel und Knöpfe. Ich hatte einst ein Buch über die Fliegerei gelesen. Darin wurde zwar beschrieben, welche technischen Apparaturen verwendet wurden, doch wie man diese steuert, konnte ich nicht sagen.

      »James, John, ihr Puls wird schwächer!« Wir drehten uns um. Rosy kniete neben Isabelle. Doris stand mit fahlem Gesicht neben ihr, sich nicht trauend etwas zu unternehmen, aus Angst, die Situation noch zu verschlimmern. Der Mann stützte die Schultern seiner Kollegin.

      "Mrs. Doris, haben Sie Zucker an Bord? Oder Orangensaft?" Doris schaute meinen Vater einen Moment verängstigt an. Dann taumelte sie zur Bordküche. Während sie ein Glas füllte, zitterte ihre Hand so sehr, dass ein Großteil des Saftes daneben schwappte. Doch nachdem sie es ihrer Kollegin in den Mund geschüttet hatte, rief Rosy: »Sie kommt wieder zu sich!«

      »Was ist los?«, stammelte sie und blickte um sich. Doris flüsterte ihr eindringlich ins Ohr.

      »Kommen Sie her - schnell«, rief John, doch Isabelle schüttelte energisch den Kopf.

      »Ich kann so etwas hier nicht fliegen! Ich weiß nicht…«

      »Dann erklären Sie uns, wofür diese Schalter hier sind. Zusammen schaffen wir das!«

      John und ich hievten den Körper des Kopiloten auf eine Bank im Passagierraum. Nun hatten wir im Cockpit Platz. Isabelle, gestützt auf Nick, kam zu uns. Ihr Körper zitterte und sie musste sich an der Wand festhalten, als sie die Blutspritzer sah.

      »Setzten Sie sich«, sagte ich zu ihr und wies auf den Pilotensitz.

      »Nein, mein Junge. Das kann ich nicht. Ich… ich…« Sie schluchzte. »Mach du es, ich sage dir, was du tun musst.«

      Ich starrte sie entgeistert an.

      »Du bist gefasster als ich. Ich zittere zu sehr. Aber erklären kann ich es dir.«

      Ich blickte meinen Vater an, doch der setzte sich auf den rechten Platz und nahm das Funkgerät Es rauschte, dann hörten wir eine Stimme. John versuchte der Person am anderen Ende der Leitung unsere Situation zu erläutern und lauschte den stockenden Anweisungen. Dann erklärte er uns: »Die Explosion scheint von einer zu großen Kerosinzufuhr in der Turbine zu kommen. Wir sollen Ruhe bewahren, die Kerosinzufuhr stoppen und versuchen das Flugzeug gerade zu halten. Der Tower kümmert sich darum, dass wir einen offenen Luftverkehr und eine freie Landebahn bekommen.«

      »Der Hebel für die Kerosinregulation ist dieser hier.« Isabelle deutete auf einen Schalter. Ich schluckte. Dann nahm ich Platz.

      »Was soll ich machen?«, fragte ich und versuchte, meine Stimme ruhig klingen zu lassen.

      »Schalte als erstes den Autopiloten aus. Hier…« Ich folgte den Anweisungen von Isabelle. Es war ein kurzes monotones Brummen und dann ein Scheppern zu hören.

      »Gut gemacht, die Tankklappen sollten nun verschlossen sein«, sagte Isabelle. Ich seufzte erleichtert.

      »Und jetzt müssen wir uns um die Fluglage kümmern«. Isabelle erklärte, was ich zu tun hatte. Wir bemerkten, dass wir seit der Explosion schon über viertausend Fuß Flughöhe verloren hatten. Durch das Ungleichgewicht der Flügel flogen wir in einer Linkskurve.

      »Wir müssen nach rechts gegensteuern, um in der Flugroute zu bleiben«, sagte ich zögerlich.

      »Mr. Harrison, können Sie im Tower nachfragen, wie weit es noch bis zum Flughafen ist? Wir verlieren an Höhe.« John nahm erneut das Funkgerät. Eine weibliche Stimme antwortete. Wir waren schon südlich von Ceduna, 340 Meilen von Adelaide entfernt. Die Flughöhe sollte bei 26000 Fuß mit einer Geschwindigkeit von 390 Knoten liegen. Auf Anweisung von Isabelle nahm ich das Steuerhorn der Maschine in meine schwitzigen Hände. Ich versuchte alle Gedanken – die Explosion, der Mord und das Wissen, dass fünf Leben in meiner Hand lagen – auszublenden und hielt meinen Blick auf die Instrumente gerichtet. Was hatte die Fluglotsin gesagt? Wir sollten auf 26000 Fuß bleiben? Doch die kleine Nadel des Höhenmessers überdeckte die Zahl 23000, also mussten wir noch gut dreitausend Fuß steigen. Vorsichtig drückte ich den Steuerknüppel nach hinten. Es gab einen Ruck und das Flugzeug schwankte leicht.

      »Bleib ruhig, James. Alles wird gut«, versuchte John mich zu beruhigen. Ich heftete meinen Blick auf die Nadel und verringerte den Druck auf den Knüppel. Jetzt bewegte sich die Nadel langsamer. Kurz vor der vorgegebenen Marke ließ ich den Knüppel los und das Flugzeug ging wieder in den Horizontalflug über. Unsere Reisegeschwindigkeit war noch zu groß. Isabelle umklammerte den Geschwindigkeitsregler für die Turbinen und drosselte die Geschwindigkeit.

      »Gut gemacht«, sagte sie. Sie hörte sich nun gefasster an. »Das schaffen wir.« Die erste Hürde war überwunden.

      ***

      Wir waren nur noch wenige Kilometer von der Landebahn des Adelaide Airports entfernt. Die Landeerlaubnis