Maryam Munk

Das Kamjuna


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Jahren befand sie sich in seinem Besitz. Sie bediente ihn, verwöhnte ihn auf jede Weise, aber sie sprach nicht mit ihm. Die Trollsippe, der er sie abgekauft hatte, als sie ein Kind gewesen war, war jedenfalls des Sprechens mächtig gewesen, sofern man die Trolllaute Sprache nennen konnte.

      Vor einer Tür blieb der Magier stehen. Er betrachtete die Schnitzerei im Holz, die einen Ziegenkopf darstellte. Zufrieden holte er einen Schlüssel, der an einem Riemen um seinen Hals befestigt war, unter dem Gewand hervor und schloss die Tür auf. Er betrat eine Kammer, in der nur ein großer Kristallspiegel stand. Der Hexenmeister rieb sich die Hände. Er legte die Finger auf den geschliffenen Kristall und konzentrierte sich darauf. Seine Gedanken galten der Zauberin in der Felsenburg.

      Xexeren spürte eine Macht, die wie mit unsichtbaren Händen nach ihr griff. Sie wusste, dass es keinen Sinn hatte, sich dagegen zu sträuben. Sie trat vor den Spiegel, worin sie das Abbild des Hexenmeisters erwartete.

      "Ich grüße dich, mein flügellahmes Täubchen", säuselte der Magier mit falscher Freundlichkeit. "Hast du wohl geruht?"

      "Jede Nacht ohne Euren Schrecken bringt mir wohligen Schlaf", entgegnete die Zauberin kalt.

      Zarder zwirbelte seinen Kinnbart. "Der Krieg schreitet fort. Meine Truppen gewinnen mehr und mehr Land. Bald werde ich die Welt beherrschen, und dann ..." Er warf der Zauberin eine Kusshand zu. "... dann wirst du mir gehören."

      "Niemals!", versicherte Xexeren.

      "Ich werde dir die Welt zu Füßen legen, mein Schwan mit angeklebten Flügeln. Ich werde König sein, du meine Königin. Hast du die Kraft, darauf zu verzichten und bis zum Ende deiner Tage eine Gefangene deiner Widerspenstigkeit zu sein?"

      "Ich bin Eure Gefangene, nicht die meine."

      "Dummes Ding! Mit Magie kann ich dich nicht zwingen, wohl aber mit Macht und Reichtum, die die Eitelkeit eines weiblichen Herzens betören."

      "Solche Eitelkeit bildet Ihr Euch ein."

      Zarder schüttelte den Kopf, wie über ein uneinsichtiges Kind. "Du hoffst auf eine dubiose Weissagung. Ach, du allerliebstes Blümchen, das in der Abgeschiedenheit verwelkt! Du setzt auf Wesen, die zu verschieden sind, als dass sie einvernehmlich handeln könnten. Sie werden scheitern, ich werde die Welt beherrschen, und du wirst den Verlockungen erliegen, die ich dir bieten werde."

      "Das wird niemals geschehen!"

      Zarder schnitt eine wütende Grimasse. Seine Hand zuckte vor, als wollte er aus dem Spiegel heraus, die Finger der Zauberin ins Gesicht stoßen. Kratzend zog er die Fingernägel über den Kristall. Das Abbild des Hexenmeisters löste sich auf.

      Verwirrt stand Xexeren vor dem dunklen Spiegel. Mit einer Hand strich sie darüber. Die Fläche war glatt. Zarder hatte nur den eigenen Spiegel zerkratzt.

      Kapitel 16

      Darwen Bartholome hielt sich nur noch mühsam auf den Beinen. Auch der Esel war erschöpft. Immer wieder blieb das Tier stehen und blickte stoisch vor sich hin. Der Troll musste sich mehr und mehr Mühe geben, es durch Geflüster zum Weiterlaufen zu bringen.

      "Was sagt Ihr ihm?" , fragte Darwen. "Droht Ihr ihm? Macht Ihr ihm Versprechungen? Könnt Ihr tatsächlich mit dem Tier reden?"

      Der Troll blickte zur Sonne, die sich auf dem Weg zur Mittagsstunde befand. "Keine Zeit. Wir müssen eilen."

      "Eilen? Ihr werdet mich bald tragen müssen. Ich würde ja auf dem Esel reiten, aber das Tier kann sich selbst kaum noch auf den Beinen halten. Herr Troll, Ihr solltet mir das selbe ins Ohr flüstern, was Ihr dem Esel sagt. Vielleicht kann ich dann eilen. Was flüstert Ihr dem Tier zu?"

      "Gehst du nicht, fress´ ich dich!"

      Darwen starrte den Troll an. Nein, der machte keinen Scherz, der meinte es ernst! Würde die Kreatur auch ihn fressen, wenn er nicht weiterging? Es wäre ihm wohler gewesen, hätte der Troll sich an der Leiche des Sumpfgnoms vergriffen. Der Sumpfgnom! "Herr Troll, Ihr habt den Gnom vergessen!"

      Browag erwiderte nichts. Er hatte den Leichnam nicht vergessen. Er vergaß niemals etwas. Da der Mensch nicht beabsichtigte, den Gnom zu essen, hatte er ihn im Gras liegen lassen.

      "Wir hätten ihn mitnehmen sollen", äußerte Darwen. "Jemand könnte ihn finden. Das wäre nicht gut."

      Browag verstand seine Sorge nicht. Entweder würde die Leiche gefunden werden oder sie vermoderte im Gras. Der Gnom war nun wirklich kein Problem. Die Sonne wurde allmählich zu einem. Schon spürte Browag ihre Hitze auf dem Gesicht brennen. Der Troll beschleunigte sein Tempo. Der Esel schien seine Not zu fühlen, denn das Tier hielt mit den letzten Kräften tapfer Schritt. Schließlich konnte der Esel nicht mehr. Browag ließ das Seil los. Darwen blieb mit dem Esel zurück. Er schaute dem Troll nach und fragte sich, ob es einen Zusammenhang gab, zwischen dessen häufigen Blicken zur Sonne und der Schwerfälligkeit, die ihn überkommen hatte.

      Die Hügel rückten immer näher. Browag hoffte, sie zu erreichen und einen Unterschlupf zu finden, bevor er erstarrte. Er fürchtete, der Mann würde die Gelegenheit nutzen und sich auf nimmer Wiedersehen davonmachen. Wer würde ihm dann helfen, Joog zu finden? Blieb er beweglich und bei vollem Bewusstsein, würde der Mann nicht wagen fortzulaufen. Browag stampfte weiter. Plötzlich brach die Erde unter seinen Stiefeln fort.

      Das Mädchen begann die Suche nach dem netten Gast beim Steinbruch. Statt eines Hinweises auf ihn, entdeckte es die Zwerge. Es versteckte sich zwischen Büschen und beobachtete die drei. Der Fiesling mit dem schwarzen Bart schritt vorgebeugt umher, die Augen auf die Erde gerichtet. Die beiden anderen folgten ihm mit Blicken. Der Fiesling bekam einen Anfall. Jubelnd umsprang er einen Baum und schrie etwas in einer Sprache, die das Mädchen nicht verstand. Er machte den Eindruck, als wäre er verrückt geworden. Die beiden anderen redeten auf ihn ein, bis er sich beruhigt hatte. Die Zwerge sprachen miteinander. Nach einer Weile entfernten sie sich.

      Migwer und Balamba waren einer Meinung: Im Spurenlesen war Ailich unbezahlbar. In dem tierischen Kot beim Baum hatte er wie in einem Buch gelesen. An der Beschaffenheit des Kots hatte er erkannt, dass er von einem Esel stammte, und die Menge hatte ihm verraten, dass das Tier die ganze Nacht beim Baum gestanden hatte. Ailich hatte noch etwas entdeckt: Urin, der am Stamm eines anderen Baumes hinab geronnen war. Esel pinkelten nicht an Bäume, und für einen Hund war der Strahl zu hoch an den Stamm gesetzt. Für Ailich ließen die Spuren nur einen Schluss zu: Der Troll bringt einen Menschen um, verbringt den Abend des Mordtages in einem Wirtshaus, am nächsten Morgen pinkelt er an einen Baum und macht sich mit dem Esel davon. Huf- und Stiefelspuren führten in die selbe Richtung. Der folgten die Zwerge.

      Das Mädchen blieb noch eine Weile im Versteck. Als es sicher war, dass die Zwerge nicht zurückkehrten, wagte es sich heraus und ging zu der Stelle, an der der Fiesling gejubelt hatte. Es fand einen Haufen, wie Pferde ihn fallen lassen, nur kleiner. Er musste von einem Esel sein. Hatte der Fiesling sich darüber gefreut, einen Eselshaufen zu finden? Pah, Zwerge!, dachte das Mädchen.

      Für jemanden, der das Land nicht kannte, schien es sich gleichmäßig zu erstrecken, aber der Eindruck täuschte. Das Land hatte seine Tücken, und eine hatte Browag zu Fall gebracht. Unter dem hohen Gras hatte sich die Kante eines steil abfallenden Hangs verborgen. Browag war acht Fuß tief gestürzt, was ihm nichts ausmachte. Aber die Sonne stand fast auf dem Scheitelpunkt ihrer täglichen Reise und stach ihm direkt auf den Kopf. Das Kapuzentuch war verrutscht, und der Troll brachte nicht mehr die Kraft auf, es wieder über zu ziehen. Browag sandte einen verzweifelten Blick zu dem Gesicht empor, das sich, von einem Hut beschattet, oberhalb des Hangs vor dem strahlend blauen Himmel zeigte.

      Darwen Bartholome blickte zu dem Troll hinab. Bisher hatte er nur dessen Gesicht gesehen, nun zeigte sich ihm der gesamte Kopf. Was für eine Kreatur!, dachte er, zugleich entsetzt und fasziniert. Durst und Müdigkeit waren vergessen. Er führte den Esel den Hang seitlich hinab und überließ das Tier sich selbst. Darwen betrachtete den Troll. Die Augen standen offen, hielten den Blick zum Himmel gerichtet, doch es war zu erkennen, dass der Troll nichts sah. Er wirkte wie tot, aber die Brust hob und senkte sich. Darwen hockte sich neben das monströse