Maryam Munk

Das Kamjuna


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zu ihrem Zimmer hinauf.

      "Das Bier, das sie hier haben, ist gut", bemerkte Balamba. Er trug eine Handlaterne, die das Treppenhaus ausreichend erhellte, um den Weg über die Stufen zu finden.

      "Etwas zu stark vielleicht", meinte Migwer.

      "Ich hab euch gesagt, ihr sollt euch nicht besaufen", maulte Ailich, der als Letzter ging und sich am Geländer festhielt. Er blieb stehen und schaute misstrauisch die Treppe hoch. "He!"

      Seine Begleiter blickten zu ihm hinab.

      "Ballam ... Balamba", stammelte Ailich. "Du gehst voran? Das ist nicht gut." Er deutete mit dem Daumen über die Schulter. "Geh hinter uns!"

      "Hast du Angst? Soll ich dir den Rücken decken?"

      "Ich habe Angst ... vor dir. Ich sehe, wie unsichtlich ... unsittlich ... unsicher du gehst. Ich will nicht überrollt werden, wenn du die Treppe runter fällst."

      Migwer grinste.

      "Warum sollte ich fallen?", fragte Balamba. "Ich ..." Er stutzte. Über sein Gesicht glitt ein Ausdruck von Verschlagenheit. "Ist gut, Ailich. Du hast recht."

      "Bring mir ein Bier mit", raunte Migwer dem großen Zwerg zu, als der sich an ihm vorbei drückte.

      "Nichts da!", knurrte Ailich. "Ihr habt genug gesoffen. Wir müssen einen klaren Kopf behalten."

      "Drei klare Köpfe", korrigierte Migwer.

      "Du hast doch am meisten gesoffen!", empörte Balamba sich. "Ich bin zu drei Vierteln nüchtern."

      "Ich auch", behauptete Migwer.

      Ailich machte eine fortwerfende Handbewegung. "Ihr habt keine Ahnung vom Rechnen." Er drückte sich gegen das Treppengeländer, um Balamba vorüber zu lassen. Als er Migwer ein Zeichen gab weiterzugehen, hörte er hinter sich Balamba pusten. Die Kerze erlosch. "Balamba!", brüllte Ailich.

      "Pscht!", kam es von Migwer.

      "Balamba!", wiederholte Ailich leise. "Was soll das?"

      "Ich habe mir gedacht, so besoffen du bist, können wir die Kerze sparen, weil dein Kopf hell genug leuchtet."

      "Und? Leuchtet er?"

      "Habe mich geirrt."

      "Ja, du Dreiviertelzwerg!"

      Trotz der Dunkelheit schafften sie es die Treppe hinauf. Das Zimmer wurde fahl vom Mondlicht erhellt, das durch die sauber geputzten Fensterscheiben einfiel. Balamba und Migwer zogen Kappen, Jacken und Stiefel aus und ließen sich auf die Betten fallen.

      Ailich fühlte sich noch nicht müde. Er öffnete ein Fenster und blickte in die Nacht hinaus. Fast rund stand der Mond über den Dächern des Zwergenviertels. Ailich grüßte die weiße Scheibe. "Rauchen wir was?", fragte er. Er holte das Rauchzeug aus der Jackentasche und stopfte gemächlich die Pfeife. Die Nachtluft war kühl und von einem kurzen Regen feucht. Die Dachziegel glänzten nass. In den Häusern, auf der anderen Seite der Gasse, brannten einige Lichter. Ailich nahm Schlageisen und Feuerstein und schlug Funken, die auf den trockenen Tabak sprangen. Er paffte heftig, bis es im Pfeifenkopf glühte. Ailich lehnte sich auf das Fensterbrett. Er blies Rauch in die Nacht und lächelte zufrieden. "Weißt du, Mond, du bist mir ein angenehmerer Gesprächspartner als die beiden." Mit der Pfeife deutete er hinter sich ins Zimmer. "Weil sie keine Ahnung vom Rechnen haben, bilden sie sich ein, sie wären weniger betrunken als ich. Diese Dreiviertelzwerge!"

      In der Gasse erklang eine Stimme, die Ailich von seinem Monolog ablenkte. Er schaute hinunter und sah einen Zwerg in einem dunklen Mantel, worüber dessen Bart fiel. In einer Hand hielt der Zwerg eine Laterne, in der anderen einen Spieß. Mit rauer Stimme halblaut ein Lied singend, schritt er durch die Gasse.

      "Hört, ihr Zwerge, legt euch schlafen, wie die Guten, wie die Braven. Legt euch unter eure Decken. Nichts wird euch im Schlafe schrecken. Die Nacht wird euren Schlaf behüten. Morgen dürft ihr wieder wüten. Ruht euch aus in tiefem Schlummer. Vergessen ist dann aller Kummer. Legt euch nieder, Männlein, Weiblein. Mancher Zwerg wird auch allein sein. Der Mond strahlt hell im Sternenglanz. Das Weib erfreut sich an des Mannes ..."

      Die Stimme verlor sich in der Gasse. Gerne hätte Ailich noch das letzte Wort verstanden und erfahren, was sich auf Sternenglanz reimte. Er blies ein paar Rauchkringel aus dem Fenster und wollte sich weiter mit dem Mond unterhalten. Sein Blick blieb am Haus gegenüber haften. Hinter einem Fenster, das sich auf gleicher Höhe mit dem befand, woraus Ailich schaute, war ein Licht aufgeflammt. Ailich sah nur ein Schattenbild, doch unzweifelhaft war es das einer Frau. Der Schatten entkleidete sich, löste die Zöpfe, kämmte das Haar, zog ein Nachthemd über. Ailich riss Mund und Augen auf. Die Pfeife fiel klappernd auf die Dachziegel. "Da stutze mir einer den Bart!", murmelte er und bemerkte, dass die Pfeife sich nicht mehr zwischen seinen Lippen befand. Er sah sie in der Regenrinne glühen. Ailich reckte den Arm, langte aber nicht an die Pfeife. Nach einem Blick zum Fenster gegenüber, wohinter die Zwergin ihr Nachthemd zurecht zupfte, kletterte Ailich auf das Fensterbrett. Auf den Knien drehte er sich und bewegte sich mit dem Hintern voran nach draußen. Seine Füße berührten das Dach. Die Stiefel glitten auf den nassen Ziegeln ab. Der Zwerg rutschte mit einem heftigen Ruck hinab. Mit gespreizten Beinen stand Ailich in der Regenrinne und hielt sich am Fensterbrett fest. "Migwer! Balamba!", rief er halblaut. "Helft mir, ihr Schlafkappen!"

      Im Zimmer blieb es ruhig, doch Kappen war das Stichwort. Ailich nahm seine Kopfbedeckung ab und warf sie durch das Fenster. Im Zimmer regte sich nichts. Der Zwerg blickte über die Schulter. Hinter dem Fenster, im Haus gegenüber, war das Licht erloschen. Hoffentlich hat sie mich nicht gesehen, dachte Ailich. Die Situation war ihm schon peinlich genug, ohne gesehen zu werden. Ein weiterer Blick, diesmal vom Dach hinab, beruhigte ihn. Die Gasse war leer. Wenn diese Rechenkünstler doch aufwachten!, dachte er. Ailich brauchte noch etwas, das er durch das Fenster werfen konnte, etwas stabileres als eine Kappe aus Filz. Er löste die Hände vom Fensterbrett, ließ sich in die Hocke nieder. Mit einer Hand und den Knien stützte er sich auf den Ziegeln ab, mit der anderen Hand tastete er in der Rinne umher. Er fühlte den heißen Pfeifenkopf, nahm das Rauchutensil und drückte sich langsam empor. Die Regenrinne knirschte warnend.

      Ailich hatte keine Angst davor zu fallen. Er hatte Geschichten gehört von Zwergen, die Stürze aus Höhen von vierzig, sogar fünfzig Fuß unverletzt überstanden hatten. Sein Großvater mütterlicherseits war in hohem Alter von einer Bergwand gefallen, fast dreißig Fuß tief. Nach dem Aufprall auf den harten Stein war er aufgestanden und hatte die Gliedmaßen gereckt. Zwei Tage später war er gestorben. Nicht an den Folgen des Sturzes, an einem Stück Braten, das er zu gierig verschlungen hatte. Nein, den Sturz vom Dach fürchtete Ailich nicht, wohl aber den Fall in den Matsch, in den der Regen die Gasse verwandelt hatte. "Migwer! Balamba!", versuchte er es wieder. Im Zimmer blieb es weiter ruhig. "Dann die Pfeife, ihr Rechenkünstler!" Er streckte die Hand über die Schulter, warf die Pfeife ins Zimmer. Vom Luftzug beatmet, glimmte die Glut hell auf. Ailich hörte die Pfeife auf die Holzdielen knallen. Einige Minuten lang geschah nichts, dann sah der Zwerg einen Lichtschimmer. Kurz darauf hörte er Geräusche. Das Licht flackerte, wurde heller, und Ailich wurde klar, dass die Pfeife etwas in Brand gesetzt hatte. "Ailich! Migwer!", rief er. In der Aufregung merkte er nicht, dass er Balambas Namen mit seinem verwechselt hatte.

      Migwer erschien am Fenster. Er griff nach Ailich und zog ihn hoch. Als Ailich mit dem Bauch auf dem Fensterbrett lag, sah er Balamba am Fußende des Bettes stehen, worin er eben noch geschlafen hatte. Ein Zipfel der Bettdecke brannte. Balamba bewegte sich, als würde er den Körper zu den Klängen einer Melodie schwingen. Ailich hörte es plätschern und leise zischen. Das Feuer erlosch.

      "Was hast du draußen gemacht?", fragte Migwer, nachdem Ailich im Zimmer stand.

      Balamba hob die Pfeife auf. "Hier!" Er reichte sie Ailich. "Ist was nass geworden."

      Ailich verzog das Gesicht. "Äh, Balamba, die schenke ich dir. Bis ich mir eine Neue kaufe, werde ich auf das Rauchen verzichten."

      "Danke, Ailich, aber du weißt doch, ich rauche nicht."

      "Dann verschenke sie bei Gelegenheit. Du kennst doch das Sprichwort: Kleine Geschenke verhüten die Feindschaft."

      Migwer