Denise Devillard

Die Magier von Stonehenge Teil II.


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magischen Schutz des Schreins aufgelöst hatte, nahm er das Buch zur Hand und blätterte so lange darin, bis er eine Beschreibung fand, die seine Aufmerksamkeit erregte. Sie war in Cymraeg geschrieben und erzählte von der Suche eines Gegenstandes, der jedoch nicht näher definiert worden war. Myrddin hatte dafür die Bezeichnung „Eitem gyfrinachol“ gewählt. Es bedeutete in etwa „geheimer Gegenstand“. Ob es sich dabei um dasselbe handelte, wonach Paymon suchte? Er hatte keine Ahnung. Da er dieses Rätsel im Moment nicht lösen konnte, legte er das Buch wieder zurück und den Schutzzauber wieder darüber.

      Es war ihm ungeheuer wichtig, zuerst Paymons Beweggründe herauszufinden. Dies hatte die oberste Priorität für ihn, da dieses Ding vielleicht auch für ihn eine Lösung im Kampf gegen Paymon sein könnte. Was auch immer es war. Um jedoch sein eigenes Risiko zu minimieren, wollte er diesmal vierzig Jahre in der Zeit zurückgehen, als er selbst noch nicht gelebt hatte. Somit würde auch niemand der Schwarzmagier mit ihm zu dieser Zeit dort rechnen. Innerlich gewappnet, schloss er die Spange am Mantel, drehte den Ring am Finger und verschwand abermals umgehend in der Dunkelheit.

      Als er wieder in der Mitte des Steinkreises in Pembroke aufschlug, zuckte er unwillkürlich zusammen. Instinktiv versteckte er sich hinter einem der großen Steine. Noch immer war es nicht in seinem Kopf angelangt, dass man ihn mit Myrddins Mantel nicht sehen konnte. Er hielt den Atem an und beobachtete zwei Männer, die gerade im Begriff waren, das erste Tor zu betreten. Matthew überlegte nicht lange, reagierte blitzschnell und folgte ihnen durch das Tor. Sie bemerkten ihn nicht. Wie ein dunkler Schatten folgte er ihren Schritten. Die Gesichter der beiden waren ihm unbekannt. Was seine Annahme erhärtete, dass er in der richtigen Zeit gelandet war vor seiner Geburt. Stets einen Sicherheitsabstand einhaltend, folgte er ihnen bis in die Requisitenkammer und achtete sehr darauf, nicht das kleinste Geräusch zu verursachen. In der Kammer angekommen, stellte er sich sofort neben die Truhe in die hintere Ecke, um zu vermeiden, dass auch nur eine ihrer Bewegungen ihn berührte. Matthew musterte sie im Schein der Fackel, die sie angezündet hatten. Beide Männer trugen komplett schwarze Kleidung unter ihren weißen Umhängen, die mit Goldstickereien umrandet waren. Und auf ihren Rücken prangte ein großes rotes Templerkreuz. Jeder der beiden trug an seiner rechten Seite ein langes eisernes Schwert. Beide hatten langes, durch ein Band gebändigtes Haar und einen breiten Schnurrbart. Auffallend waren jedoch ihre extrem dunklen, starren Augen, die von dicken dunklen Augenbrauen gekrönt wurden. Matthew verharrte regungslos in der Ecke und atmete, so leise er nur konnte. Er wurde fast eins mit der kalten, steinernen Wand hinter ihm. Myrddins Stab unter seinem Mantel verborgen, lauschte er bis in seine Haarspitzen angespannt, ihren Worten. „Wo sind sie?“, fragte einer der beiden. „Wahrscheinlich in der Truhe“, gab der andere zurück. Der Mann kam auf Matthew zu, hielt seine Hand ausgestreckt über der Truhe und sagte: „In nomine Magistri ego praecipio tibi ut aperias te ipsum!“ Der Truhendeckel sprang auf und der Mann öffnete sie. Matthew hielt den Atem an. Er hatte in dem Moment keinerlei Möglichkeit auszuweichen, ohne ihre Aufmerksamkeit zu erregen. Doch zu seinem Glück waren die Männer so mit ihrem Auftrag beschäftigt, dass sie nichts bemerkten. Der Mann zog zwei alte Schriftrollen aus der Truhe, verschloss sie und legte erneut einen Schutzzauber um sie. „Warum braucht er die Zweite eigentlich?“, fragte der andere. „Soviel ich weiß, als Tauschmittel für einen Informanten. Der wird jedoch Augen machen, sobald er merken wird, dass man ihn betrogen und er seine Seele sinnlos verkauft hat.“ Er grinste breit und fügte noch hinzu: „Wie dumm und einfältig doch diese Menschen sind, nicht wahr? Für Gold verkaufen sie einfach alles, selbst ihre Großmutter würden sie dafür verraten!“ Der andere lachte und stimmte ihm zu. „Das ist wohl wahr. Der Meister hat ganze Arbeit geleistet, das muss man wirklich sagen. Wir sollten uns beeilen, sonst zürnt er uns wieder.“ Er gab ihm ein Handzeichen sich zu beeilen, dann schickten sie sich an, den Raum zu verlassen. Matthew reagierte sofort, ohne zu überlegen, und folgte ihnen. Diese Chance, genau dort hinzukommen wo er vielleicht mehr erfahren konnte, musste er einfach nutzen.

      Derjenige, der die Schriftrollen an sich genommen hatte, öffnete das Tor: „Et incipit occultatum viam tuam. Tres enim sunt duo duo unum sint, sicut!“ Matthew stellte sich ganz dicht hinter sie und folgte ihnen blitzschnell durch das Tor, bevor es sich gleich darauf hinter ihm wieder schloss.

      Dann wartete er ganz still hinter ihnen, als sie wieder bei den Steinen gelandet waren. Er beobachtete, wie der andere plötzlich seine Rechte mit gespreizten Fingern hob und Zauberformeln murmelte: „Tempus est iustus a fenestra tempus enim fumus et specula! Aperi annulum, lets 'circum undique!“ Da öffnete sich ein Riss in der Zeitachse und ein heftiger Wind kam auf. Matthew ließ sie keinen Augenblick aus den Augen und stellte sich ganz knapp hinter ihn. Von einem ohrenbetäubenden Dröhnen und Summen begleitet, setzten sie ihre Füße direkt in den mächtigen Luftstrom, der sich rasend schnell drehte, und sie alle drei mitriss in den Wirbel der Zeit.

      Es war ihm, als würde man all seine Glieder ausreißen wollen, so stark war die Kraft, der er, durch den Sog der Zeitachse, ausgesetzt wurde. Dieser Zeitsprung kam ihm wie eine Ewigkeit vor. Jedoch waren es nur wenige Sekunden, die vergangen waren, ehe sie in der anderen Zeitschleife wieder eintraten. Die Schwärze der Nacht umfing sie, als der Zeitwirbel sich um sie aufgelöst hatte und verschwand. Als er wieder Boden unter seinen Füßen spürte, wich er drei Schritte zurück, um Abstand zu ihnen zu halten. Jedes noch so kleine Geräusch konnte ihn verraten. In dem schwachen Licht des Mondes konnte er kaum erkennen, wo sie sich befanden. Ringsum standen überall riesige Bäume, deren Wipfel er in der Finsternis nicht sehen konnte. Der Schrei einer Eule fand in dem Dunkel seinen Widerhall. Matthew folgte ihnen den kleinen Waldweg entlang, bis sie an eine Lichtung kamen. Er zuckte merklich zusammen, als er schon von weitem Paymons drohende teuflische Stimme vernahm. Sie vermischte sich mit dem durchdringenden Gejammer und Flehen einer anderen männlichen Stimme. Als sie nach einigen Minuten an der Lichtung angelangt waren, erblickte er im fahlen Licht einen alten Mann, der vor Paymon auf dem Boden kniete. Ihm war, als hätte er diesen Mann schon einmal irgendwo gesehen. Paymon sah seine Diener kommen und ließ den Alten zurück, der inzwischen verstummt war und nicht wagte, sich zu rühren. Eilig kam er auf sie zu. „Warum hat das so lange gedauert?!“, zischte er zornig. „Es tut mir leid Herr, ich konnte sie nicht gleich finden. Ich hoffe, es sind die Richtigen.“ Er übergab ihm mit gesenktem Kopf die Pergamentrollen und wich vor ihm einen Schritt zurück. Beide Männer wussten nur zu gut, was passieren konnte, wenn Paymon wütend wurde. Der Mann warf dem anderen einen vorwurfsvollen Blick zu und flüsterte: „Habe ich es dir nicht gesagt?“ „Still jetzt!“, fuhr Paymon dazwischen. Dann wandte er sich von ihnen ab und ging zurück zu dem Alten. Er steckte eines der Schriftstücke in seinen Mantel, das andere überflog er kurz prüfend, und hielt es dann dem alten Mann hin. „Sieh her!“, zischte er ihn unbarmherzig an. „Das ist die Urkunde! Unterschreib sie, dann lasse ich dich und deine Tochter am Leben!“ Der Alte wusste nicht mehr ein noch aus. Was sollte er nur tun? Paymon hatte ihn besiegt und forderte nun alles, was seit Generationen im Besitz seiner Familie war. Weigerte er sich, wären das Leben seiner Tochter und sein eigenes verwirkt. Ihm blieb nichts anderes übrig, als auf alles zu verzichten, wenn er das Leben seiner Tochter schützen wollte. Seines war ihm nicht so wichtig, aber sie musste weiterleben, koste es, was es wollte. Paymon spürte, dass der Widerstand des Alten endgültig gebrochen war. Er schnippte nur kurz mit zwei Fingern, zog dann eine Schreibfeder aus dem Nichts hervor und hielt sie dem Alten samt dem Pergamentpapier unter die Nase. Der alte Mann war dermaßen verängstigt, dass er resigniert unterschrieb.

      Matthew beobachtete die ganze Szene in sicherem Abstand. Hass stieg in ihm auf. Er sah, wie gequält der alte Mann war. Aber was konnte man von einem Dämon anderes erwarten? Seine feurigen glühenden Augen verrieten Häme, Spott und Abscheu, die er gegenüber den Menschen empfand. „Na geht doch“, rief Paymon, als der Alte unterschrieben hatte. Auf eine Gestik seinerseits hin, entfernten seine Diener den Alten. „Und lass alles, was man brauchen kann, im Schloss!“, rief ihm Paymon noch spöttisch nach.

      Matthew verbarg sich hinter einem der Bäume, um Paymons Aufmerksamkeit nicht zu erregen. Er wollte im Moment noch keinen Kampf mit ihm riskieren. In erster Linie galt es für ihn herauszufinden, was hinter diesen Plänen steckte. Er hatte zu diesem Zeitpunkt nicht den Hauch einer Ahnung, wer dieser alte Mann eigentlich war.

      Nur einen Moment später kamen Paymons Gesellen zurück. Matthew wunderte sich, wohin sie den Alten gebracht hatten, da sie