Peter Gnas

Schlussstein


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nicht“, fragte Rotberg.

      „Mit diesem Tathintergrund erhalten wir überall auf der Welt sofort Amtshilfe. Es dauert keine zwei Tage, dann haben wir sie.“

      „Ist das so?“, fragte Rotberg.

      „Wahrscheinlich“, antwortete der Polizeipräsident.

      „Ich bin überzeugt, dass wir eine Bargeldübergabe haben werden“, setzte Sabrina Hamm ihre Spekulationen fort. „Einhundert Millionen Euro in gemischten Scheinen – je nachdem in welcher Notenmischung der Täter das Geld will, ist es ein kleiner oder ein größerer Lieferwagen voll.“

      „Sie wollen damit sagen, das ist soviel Geld, dass er damit nicht einfach verschwinden kann, ohne dass wir ihn erwischen“, meinte von Berghausen.

      „Genau!“, sagte sie, „wenn er es geschickt anstellt, könnte er uns entkommen. Mittels GPS kann man ihm auf der Fährte bleiben.“

      „Aber nur bis zum ersten Umladen“, gab Wesselmann zu bedenken.

      „Spätestens dann haben wir ihn“, sagte sie.

      „Und wenn es Komplizen gibt?“, fragte Rotberg. „Komplizen, die ihn freipressen. Wie die das machen, können wir uns ausmalen.“

      „Das ist wahr“, setzte Sabrina Hamm ihre Überlegungen fort. „Hundert Millionen Euro ist eine sehr große Geldmenge, wenn die Scheinnummern notiert werden, kommen wir ihnen auf die Spur. Falls nicht gleich, dann eben erst in ein paar Monaten.“

      „Von hundert Millionen willst du die Nummern notieren?“, fragte Rotberg.

      „Das geht heute ganz einfach“, meinte sie, „das geschieht elektronisch.“

      „Meinen Sie, dass die uns genügend Zeit dafür lassen?“, wollte von Berghausen wissen.

      Sie nickte: „Ich hatte mir überlegt, dass sofort damit begonnen werden könnte. Wir erfassen ausreichend Nummern von jeder Notensorte. Wenn bekannt ist, in welcher Kombination ausgezahlt werden soll, wird das Geld von diesem notierten Depot genommen. So kann man schnell reagieren.“

      „Welche Bank tut das?“, fragte Wesselmann.

      „Die Landesbank.“

      Die drei Männer sahen schweigend über das Ruinenfeld.

      „Im Moment weiß ich auch nichts Besseres“, meinte der Polizeipräsident. „Die Geldscheinnummern zu notieren kann ja zunächst nicht schaden. Ich setzte mich jetzt gleich mit dem Innensenator in Verbindung und der kümmert sich dann hoffentlich um die Landesbank.“

      Rotberg und sein Team verteilten sich auf dem Gelände. Sie schauten nach Menschen, die eventuell vernehmungsfähig waren. Rotberg erblickte einen Mann von etwa vierzig Jahren, der am Rande der Trümmer saß. Er ging zu ihm.

      „Ich sehe, Sie sind bereits ambulant medizinisch versorgt worden“, dabei deutete er auf ein Pflaster, dass mit Mullstoff offensichtlich eine Kopfverletzung des Mannes abdeckte. „Haben Sie fünf Minuten Zeit für mich oder geht es Ihnen sehr schlecht?“

      Der Mann sah zu Rotberg auf und musterte ihn.

      Rotberg zeigte dem Mann seinen Dienstausweis: „Sebastian Rotberg, ich bin Polizeihauptkommissar.“

      „Marco Gleisner, ich bin Lehrer an dieser Schule. Mir geht es zwar nicht sonderlich gut, ich kann Ihnen aber ein paar Fragen beantworten.“

      „Vielen Dank, Herr Gleisner“, Rotberg notierte den Namen. „Sie sagen mir einfach, wann Sie genug haben und dann hören wir sofort auf, okay?“

      Gleisner nickte und sah über den Platz, auf dem vor kurzem seine Schule gestanden hatte. „Waren das dieselben Verbrecher, die gestern auch in den Kindergarten eine Bombe gelegt hatten?“

      Rotberg machte eine vage Handbewegung. „Es ist zu früh, um uns festzulegen“, antwortete er. „Es kann natürlich ebenso gut eine andere Explosion gewesen sein und es ist einfach ein zufälliges zeitliches Aufeinandertreffen.“

      Gleisner blickte ihn skeptisch an.

      „Ich frage Sie einfach einige Dinge, möglicherweise kommen wir der Wahrheit ein Stück näher.“

      Der Lehrer verzog keine Mine – Rotberg wartete einen Moment und fragte: „Was glauben Sie, wie viele Personen sich zum Zeitpunkt der Explosion im Gebäude aufhielten?“

      Gleisner rieb sich über den Mund. Er überlegte. „Wir haben achtundneunzig Schüler – wir sind eine kleine Privatschule, müssen Sie wissen.“

      Der Kommissar nickte und notierte die Zahl.

      „Es sind zwanzig Lehrkräfte beschäftigt.“ Er zählte vor dem inneren Auge, „vier Personen in der Verwaltung, das Hausmeisterehepaar, ich glaube, vier Frauen in der Küche. Theoretisch also hundertachtundzwanzig. Praktisch vielleicht einhundert.“

      „Das ist ja schon eine ziemlich perfekte Einschätzung.“

      Rotberg sah den Lehrer an: „Sie hatten offenbar viel Glück, Herr Gleisner. Befanden sie sich außerhalb des Gebäudes, als das hier passierte?“ Dabei beschrieb Rotberg eine Bewegung mit dem Stift über die Ruine der Schule.

      „Fast“, antwortete Gleisner, „ich hatte auf dem Gang ein paar Worte mit einem Schüler gewechselt ...“

      Rotberg blätterte in seinem Heft zurück: „Mit Dominik Falter?“

      „Ja, genau“, Gleisner sah ihn überrascht an. „Er war auf dem Weg nach draußen. Wir haben einige Sätze geredet. Ich bin ihm wenige Sekunden später gefolgt. Die Tür war noch nicht vollständig ins Schloss gefallen, als es diesen lauten Knall gab.“ Gleisner drückte sich bei diesen Worten die Mittelfinger aufs Ohr. „Ich weiß nicht genau, was dann passierte, im nächsten Augenblick lag ich im Freien auf der Erde. Blut lief mir von der Stirn, dann gab es eine zweite Explosion. Ich duckte mich instinktiv flach an den Boden und schütze meinen Kopf mit den Armen. Es fielen Trümmerstücke herunter. Ich bin grün und blau.“

      „Sie sollten sich in eine Klinik bringen lassen“, Rotberg sah in besorgt an.

      „Sie haben recht“, meinte der Lehrer. Er zögerte einen Moment: „Könnten Sie mir Ihr Telefon leihen, um meine Frau anzurufen. Meines ist irgendwie im Chaos verschwunden.“

      Rotberg griff in die Tasche, holte sein Mobiltelefon raus, er reichte es ihm. „Herr Gleisner, bevor Sie telefonieren, habe ich noch zwei Fragen – dann sind Sie entlassen. Ich würde Sie morgen nochmals aufsuchen.“

      Der Lehrer hielt das Telefon in den Händen und sah ihn abwartend an.

      „Gibt es in der Schule einen Gasanschluss – Gasheizung oder Gasherde? Wenn ja, können Sie mir in etwa zeigen, wo die Heizanlage gewesen war? Die zweite Frage: Haben Sie vor der Explosion Gasgeruch wahrgenommen?“

      „Ja, wir hatten eine Gaszentralheizung“, antwortete Gleisner. Er schaute zu den Trümmern. Er zeigte ungefähr in die Mitte der Ruine: „Sehen Sie dort das Stückchen Rohr aufragen? Das ist mit Sicherheit der Kamin gewesen – darunter wird die Anlage gelegen haben.“

      Rotberg sah das Rohrstück: „Das ist einleuchtend. Und Gasgeruch?“ Er tippte dabei an die Nase.

      „Gas?“ Gleisner dachte nach. „Nein, das wäre mir aufgefallen“.

      „Danke“, meinte der Kommissar. „Jetzt rufen Sie am besten Ihre Frau an. Ich kümmere mich darum, dass Sie in die Klinik kommen – ich bin gleich wieder bei Ihnen.“

      Er wandte sich zum Gehen: „Ach, nur noch eine Frage – gab es eine Videoüberwachung im Haus?“

      „Ja, ich glaube, es gab drei oder vier Kameras rund ums Gebäude.“

      „Nur außen?“, fragte Rotberg.

      „Ja, innen hatten wir uns dagegen ausgesprochen.“

      „Vielen Dank, nun lasse ich Sie endgültig telefonieren.“