Peter Gnas

Schlussstein


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entsprach. Alle waren zu absolutem Stillschweigen verpflichtet worden.

      Wenn so viele Leute ein Geheimnis bewahren sollen, geht es meistens schief. Rotberg war gespannt, wann die erste Zeitung oder der erste Sender Wind von der Sache bekam. Dann würde das Chaos über Bremen hereinbrechen. Niemand ließ dann mehr seine Kinder aus dem Haus. Niemand fuhr dann noch mit öffentlichen Verkehrsmitteln. Die Straßen würden unter der Last von tausenden zusätzlichen Autos verstopfen. Arbeitsplätze blieben unbesetzt. Es käme zu hunderten Unfällen. Verletzte könnten aufgrund völlig verstopfter Verkehrswege nicht versorgt werden.

      Rotberg mochte nicht daran denken. Im Grunde wäre es preiswerter, dem Täter das Geld zu bezahlen. So durfte er als Polizist natürlich unmöglich denken. Man konnte einen so brutalen Täter nicht davonkommen lassen.

      Viele Polizeibeamte machten sich früher als angegeben auf den Weg zu ihren Dienststellen. Oft lag es daran, dass sie nach den Ereignissen im Erdbeerweg und dem dringlichen Anruf in der Nacht kaum mehr in den Schlaf fanden. Die meisten hatten das Gefühl, sie müssten etwas tun, um Schlimmeres zu verhindern.

      In den Revieren wurden sie mit den Plänen vertraut gemacht. Man hatte aber die Weisung ausgegeben, dass um diese Uhrzeit noch keine auffällige Polizeipräsenz auf den Straßen wahrnehmbar sein sollte. Man durfte nicht riskieren, dass die Täter Wind von der Sache bekamen.

      Bremen, Dienstag 10. Februar 2009, 03.00 Uhr

      Um drei Uhr am Morgen bekam Rotberg den Anruf aus dem Labor – die gefundenen Teile wurden zweifelsfrei als Bombe bestätigt. Kurze Zeit drauf kam aus der Kriminaltechnik die Information, dass dort zwischenzeitlich versucht worden war, das Telefonat mit der Stimme des Täters auszuwerten. Auf Hintergrundgeräusche und auf einen möglichen Akzent. Die Stimme wurde mit Stimmmustern aus der Datenbank verglichen. Es gab kein Ergebnis. Der Techniker bestätigte Rotberg, dass der Anrufer seine Stimme mit einer Art elektronischem Modulator verzerrt hatte. Es könne zwar versucht werden diese Modulation gegenzufiltern, es war aber leider unklar, mit welcher Software vorher verzerrt wurde.

      Auf eine Sache legte sich der Kriminaltechniker aber fest: „Es ist ein Mann, der irgendwo in Norddeutschland im Großraum Bremen / Hannover aufgewachsen ist.“

      „Ein Dialekt?“, fragte Rotberg.

      „Ich bin kein Experte für Dialekte“, antwortete der Techniker, „der Anrufer sagte während des Gesprächs Tach statt Tag – so sprechen hier die meisten Leute. Außerdem neigen wir Bremer dazu, anstelle eines offen gesprochenen ‚A U’ nicht ‚aau’ zu sprechen – stattdessen klingt es hier mehr wie ‚O U’ also ‚oou’. Der Bremer sagt oft nicht Auto sondern Outo

      „Das höre ich mir nochmals auf dem Band an“, sagte Rotberg, „Sie sind anscheinend doch ein Experte.“

      „Nein“, antwortete der Kollege, „mir ist das nie aufgefallen. Meine Frau stammt aus dem Rheinland, die hat mich auf meine Aussprache aufmerksam gemacht, als ich sie mit ihrem Dialekt auf den Arm nahm. Ich versuche einen Sprachexperten hinzuzuziehen.“

      Rotberg bedankte sich. Er war in Bremen geboren und aufgewachsen. Auch er sagte Fluchzeuch statt Flugzeug. Das mit dem A U und dem O U war ihm bisher allerdings nicht bewusst. Er sprach leise einige Worte vor sich hin, die AU enthielten. Er neigte auch ein wenig zum OU. Er hatte immer gedacht, dass er keinen Dialekt habe. Offensichtlich gab es aber in Bremen auch so etwas, abgesehen vom Plattdeutsch.

      „Was murmelst du da vor dich hin?“, fragte Sabrina Hamm, die gerade sein Büro betrat.

      „Ich habe gerade erfahren, dass es hier in der Region auch so etwas wie einen Dialekt gibt und probiert, wie sich das anhört.“

      Er berichtete Sabina Hamm von den Gesprächen mit den beiden Kriminalexperten. Gemeinsam hörten sie sich den Telefonmitschnitt nochmals an. Jetzt hörten Sie es auch. Der Täter musste hier aufgewachsen sein. Außerdem muss er die nötige Technik für Stimmmodulation besitzen und sie bedienen können.

      „Na ja, wenn es so eine Technik zu kaufen gibt, wird auch eine Bedienungsanleitung dabei liegen“, meine sie.

      „Das ist ein guter Hinweis“, sagte Rotberg, „Ich rufe den Techniker noch mal an.“

      Der wusste sofort Bescheid: „Das ist nicht Besonderes. Vocoder heißen solche Geräte. Viele Tonstudios nutzen heute diese Stimmmodulation. Je besser die Geräte sind, desto mehr Möglichkeiten hat man. Die preiswerteren Geräte erzeugen diese technisch klingenden Stimmen, die sie sicher schon in HipHop-Stücken gehört haben. Sie haben keine große Varianz. Teurere Apparate besitzen nahezu unbegrenzte Möglichkeiten.“

      „Das heißt, unser Anrufer hat ein teureres Gerät im Einsatz?“, fragte Rotberg.

      „Vermutlich.“

      „Sind die komplizierter zu bedienen?“, wollte Rotberg wissen.

      „Man muss sich dafür interessieren, dann geht es.“

      „Können Sie mir eine Liste solcher in Frage kommender Teile anfertigen? Dann können wir uns ja umhören, wer so etwas gekauft hat.“

      „Ja klar, mache ich“, antwortete der Techniker.

      „Na also“, sagte Rotberg zu Sabrina Hamm, „schon ergeben sich Anhaltspunkte. Du wirst sehen, in zwei Wochen haben wir das Schwein.“

      Rotberg ließ sich selten zu solchen Aussagen über einen Täter hinreißen. Sabrina Hamm merkte daran, wie sehr ihn dieses Verbrechen belasten musste.

      „Darf ich etwas anderes sagen“, fragte sie. „Deswegen bin ich eigentlich zu dir gekommen.“

      „Ach so, klar leg’ los.“

      „Bis auf sechs Kindertagesstätten sind jetzt alle Einrichtungs-Leiterinnen informiert. Alle haben zugesagt, pünktlich in den zuständigen Wachen zu sein. Fast alle bringen unsere Aktion mit den Nachrichten in Zusammenhang. Wir hoffen, dass die alle dichthalten.“

      „Was tun wir, wenn das erledigt ist und die Aktion draußen läuft?“, wollte Sabrina Hamm wissen.

      „Du fährst dann nach Hause und legst dich ein paar Stunden aufs Ohr“, antwortete Rotberg.

      „Und du?“

      „Ich lege mich hier zwei Stunden auf eine Bank – ich bin hundemüde“, sagte er.

      „Wenn du hier bleibst, bleibe ich auch – ich kriege ohnehin kein Auge zu“, meinte sie.

      „Gut“, sagte er, „dann warten wir auf die Nachricht, dass alles läuft und holen uns eine Mütze Schlaf.“

      Bremen, Dienstag 10. Februar 2009, 05.00 Uhr

      Eine gewisse Unruhe durch Autos, die kreuz und quer durch die Stadt fuhren, blieb nicht aus. Besonders in der Nähe der Polizeireviere wachten einige Anwohner mit leichtem Schlaf auf und bemerkten überraschend viele Wagen, die nach Parkplätzen suchten. Niemand machte sich aber tiefergehende Gedanken. Es passierte ja eigentlich nichts.

      Die Ersten, die in den Dienststellen auftauchten, waren Polizeibeamte. Es gab auch vereinzelte Kindergartenleiterinnen, die eine Stunde früher kamen.

      Die Polizeileitung hatte sich entschlossen, gegenüber den Kindergartenleitungen – überwiegend Frauen – mit offenen Karten zu spielen. Die Damen würden nichts von dem, was sie erfuhren, weiterkommunizieren.

      Es wurde besprochen, mit einigem zeitlichen Abstand zueinander aufzubrechen, um die Unruhe rund um die Reviere nicht unnötig zu vergrößern. Man wollte keine Aufmerksamkeit auf die Aktion ziehen.

      Dass in den Kindertagesstätten schon eine Stunde früher als üblich Licht brannte, würde niemanden misstrauisch machen. Die Beamten, die die Kindergärten später abriegeln sollten, hatten den Auftrag eine grobe Untersuchung aller Räume vorzunehmen. Sie sollten, auf abgestellte Taschen oder auf Kartons achten. Es durfte nichts angerührt werden. Wer etwas fand, sollte den Sprengmittelräumdienst informieren.

      Es gab insgesamt fünf Anforderungen