Peter Gnas

Schlussstein


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Bremen zwei Bomben zu Explosion gebracht habe. Er verlange einhundert Millionen Euro. Er würde weitere Anschläge begehen, wenn man seiner Forderung nicht nachkäme. Er habe genaue Angaben gemacht, wo die beiden Sprengkörper deponiert wurden. Anhand der Beschreibung sei klar, dass er die Wahrheit sagte. Die Nachrichtenredaktion hatte die Polizei, die Feuerwehr sowie die Politik um eine Bestätigung gebeten. Der Innensenator Bremens stand in der Eingangshalle des Amtssitzes für ein Interview zur Verfügung.

      „Herr Senator Franke, Sie kennen das Telefongespräch, das ein Redakteur unseres Senders mitgeschnitten hat. Können Sie die Aussage, die der Anrufer geäußert hat, bestätigen?“

      „Ich möchte zunächst allen Betroffenen und Angehörigen das Mitgefühl des gesamten Senats übermitteln. Wir sind zutiefst bestürzt darüber, dass ausgerechnet die Kleinsten unserer Gesellschaft Opfer eines solch schrecklichen Ereignisses sind. Die meisten von uns haben Kinder und können sich in die Angst und Trauer hineinversetzen.“

      Er machte eine Pause: „Nun zu Ihrer Frage. Nein, wir sind nicht in der Lage den Inhalt des Anrufs zu bestätigen oder zu dementieren. Sie werden Verständnis dafür haben, dass die Bergungsarbeiten von weiteren Verschütteten Vorrang haben. Alle Rettungskräfte gehen bis an die Grenze ihrer Kräfte. Jeder Stein wird umgedreht. Um kein Menschenleben unter den Trümmern zu gefährden, können wir nicht mit schwerem Gerät auf das Gelände fahren. Sämtliche größere Trümmerteile werden mit einem Kran, der außerhalb der Anlage steht, weggehoben.“

      „Halten Sie es für wahrscheinlich, dass der Anruf authentisch ist.“

      „Vieles ist möglich. Um solch eine schreckliche Nachricht zu bestätigen, muss man bei Tageslicht mit der Untersuchung beginnen“, antwortete der Senator.

      „Das Gebäude der Kindertagesstätte hatte einen Kern aus Beton. Wenn wir uns die Trümmer ansehen, scheint es einem Experten zufolge sehr unwahrscheinlich zu sein, dass es sich um eine Gasexplosion gehandelt hat. Wir spielen das Interview ein“, sagte der Redakteur.

      Das Fernsehbild zeigte einen Mann, der eingeblendete Text stellte ihn als Brandgutachter vor. Der Experte äußerte Zweifel an einer Gasexplosion. Die Kindertagesstätte sei zu einer Zeit gebaut worden, als es längst vorgeschrieben war, dass Gassensoren verbaut werden, die frühzeitig einen Gasalarm ausgelöst hätten. Für eine solche Wucht hätte sich im Heizungsraum zum Beispiel über lange Zeit Gas ansammeln müssen. Der einzig denkbare Fall wäre, wenn der Einbau eines Sensors vergessen wurde oder defekt gewesen sei. Für ihn klinge der Anruf plausibel.

      Der Senator hatte das Interview auf einem Monitor verfolgt. Nun sah er wieder den Journalisten an.

      „Sie sehen“, sagte er, „auch für einen Experten ergibt sich zu diesem Zeitpunkt noch kein eindeutiges Bild. Bevor wir so einen bizarren Anruf bestätigen, prüfen wir aufs Gründlichste. Die vollständige Bergung möglicher Verletzter geht vor.“

      „Können Sie Auskunft darüber geben, wie Sie morgen früh weiter verfahren wollen?“, fragte der Reporter. „Werden die Kindertagesstätten in Bremen morgen geöffnet sein?“

      „Wir setzen in der Nacht die Suche nach möglichen Opfern fort“, antwortete der Senator. „Das wird vermutlich bis in die frühen Morgenstunden dauern. Alles wird so weit freigelegt, dass die Experten beim ersten Tageslicht mit ihrer Arbeit beginnen können. Dabei geht es nicht darum, dass die Angaben eines anonymen Anrufers bestätigt werden. Bei jedem Ereignis dieser Art, muss nach den Ursachen gesucht werden.“

      „Bleiben die Bremer Kindertagesstätten morgen geschlossen?“

      „Dazu wollte ich jetzt kommen. Natürlich können wir nicht auf einen vagen Anruf hin, zehntausenden von arbeitenden Eltern den Kindergarten vor der Nase verschließen. Das gebietet unsere politische Verantwortung.“

      „Aber zählt es nicht auch zu Ihrer Verantwortung, einer solchen massiven Bedrohung den Boden zu entziehen und die Tagesstätten zu schließen?“

      „Wir haben einen Krisenstab aus Politik, Polizei und Feuerwehr gebildet“, antwortete Senator Franke, „gleich nach diesem Gespräch werde ich mich wieder in diesen Kreis begeben. Wir werden das weitere Vorgehen koordinieren und hoffen, dass wir in den nächsten Stunden zu einem geeigneten Maßnahmenplan kommen.“

      „Während unseres Aufbaus vor Ihrem Amtssitz meinten einige Kollegen gesehen zu haben, dass der Bundesinnenminister das Haus betrat. Können Sie das bestätigen?“, fragte der Redakteur.

      „Ja, der Bundesinnenminister war auf einer Konferenz in der Nähe, als er von dem schrecklichen Unglück erfuhr. Er wollte es sich nicht nehmen lassen, den Bürgern das tiefe Mitgefühl der Bundesregierung auszudrücken und seine Unterstützung anzubieten.“

      „Kann es sein, dass Minister Offenbach auch von dem Anruf erfahren hat und deshalb mit im Krisenstab sitzt?“

      „Natürlich ist dem Innenminister dieser ungeheure Vorgang nicht entgangen. Auch er nimmt solche Aussagen sehr ernst, möchte aber zunächst gewährleistet sehen, dass man alles für die Bergung möglicher Verletzter getan hat. Auch der Innenminister ist traurig und fassungslos über so viel Unglück.“

      „Wir werden weiter hier warten und auch vor Ort an der Unglücksstelle. Wir hoffen, dass Sie die Zuschauer auf dem Laufenden halten“, sagte der Journalist.

      *

      In der vergangenen Stunde waren von einem Cateringservice belegte Brötchen und Getränke in den großen Sitzungsraum gebracht worden. Die Teilnehmer des Krisenstabs waren beim Hinausgehen der Politiker zunächst am Tisch sitzen geblieben und hatten gewartet, ob sich die Herren gleich wieder einfinden würden. Als das nicht geschah, standen sie auf, vertraten sich im Raum und auf dem Flur ein die Beine und diskutierten miteinander.

      Alle waren sie durch den langen Tag erschöpft. Sie hofften durch Kaffee und frische Luft, etwas Schub zu bekommen. Die Stimmung war gedämpft. Einige fühlten sich durch die Politiker, die den Raum verlassen hatten, nicht ernst genommen. Die älteren unter ihnen wiesen aber darauf hin, dass man froh sein könne, dass Rotberg mit im kleinen Kreis saß. Er würde für die Integration des Teams sorgen.

      Gemeinsam hatten sie die Nachrichten verfolgt. Sie erfuhren auf diese Weise, dass man sich entschlossen hatte, der Empfehlung Rotbergs zu folgen, den Hinweis auf eine Bombe nicht zu bestätigen.

      Die Spitzenpolitiker kehrten gemeinsam wieder in den Sitzungsraum zurück. Bevor sie ihre Plätze einnahmen, bedienten sie sich an den Schnittchen und den Getränken.

      Der Innenminister ergriff das Wort: „Meine Damen und Herren, sie haben wahrscheinlich soeben die Übertragung im Fernsehen verfolgt. Ich hatte vorhin den Vorschlag von Herrn Rotberg gehört und muss sagen, dass er mich als erste Maßnahme überzeugt hat. Ich bin natürlich nicht Innensenator des Landes Bremen, habe mich aber sehr dafür eingesetzt, dass wir im ersten Schritt so vorgehen.“

      Der Innenminister sah in die Runde – er hatte einen Riecher für Situationen: „Wahrscheinlich waren Sie nicht erfreut darüber, dass ich die Führungsriege zu einem Gespräch im kleinen Kreis gebeten habe. Sie haben den ganzen Tag mit der schweren Belastung durch das Attentat zu tun gehabt. Ich wollte mich dafür bedanken und ihnen meinen Respekt ausdrücken.“

      Offenbach war ein Fuchs – er wusste, wie man Leute für sich einnimmt. Er merkte, dass den Teilnehmern diese Worte gut gefielen.

      „Ich brauche, um mir über eine Situation klar zu werden, möglichst wenige Menschen um mich herum. Deshalb habe ich darum gebeten, mit einer Essenz dieser Expertenrunde sprechen zu können. Eine erste Festlegung ist nun getroffen. Der Hinweis auf eine Bombe wurde nicht bestätigt.“ Er blickte in die Runde.

      „Als weitere Maßnahme wurde beschlossen, dass alle Kindergärten der Stadt morgen früh geschlossen bleiben. Wir werden die Öffentlichkeit und damit den oder die Täter nicht vorher darüber informieren. Die Polizei wird die Kindertagesstätten sperren, die Kinder werden von Ihren Erziehern in nahegelegene Turnhallen begleitet.“

      Wesselmann hob die Hand und redete gleich los: „Verzeihen Sie die Zwischenfrage, Herr Minister, wissen