Peter Gnas

Schlussstein


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Fällen war auch mal eine Fernsehkamera vor Ort.

      Ein Journalist, der vorn saß, war Vertreter der Bremer Tageszeitung. Rotberg kannte ihn und er kannte Rotberg. Er wusste, dass der Kommissar keine Routine im Umgang mit der Presse besaß. Deshalb hoffte er, dass er etwas herauskitzeln konnte, das man bisher nicht offiziell erklärt hatte.

      „Herr Rotberg, mein Name ist Paul Hegener vom Bremer Stadtkurier. Wir haben gestern an der – soll ich sagen Unglücksstelle – gesehen, dass Sie mit ihrem Team dort aktiv waren. Ich weiß, dass Sie unter anderem mit der Aufklärung von Morden befasst sind. Hatten Sie gestern im Erdbeerweg bereits einen Verdacht, dass es sich um eine Bombe gehandelt haben könnte? Es waren doch einige Herren der Spurensicherung mit weißen Overalls vor Ort.“

      „Nein“, war Rotbergs einsilbige Antwort, dabei hatte er sich etwas zu den vielen Mikrofonen, die vor ihm standen vorgebeugt. Mehr hätte er auch kaum herausgebracht. Er fühlte sich zurückversetzt in seine Schulzeit, wenn er vor der versammelten Elternschaft eine kleine Rolle in einem Theaterstück zum Vortrag bringen sollte.

      Paul Hegener fasste nach: „Glauben Sie, dass es weitere Anschläge geben könnte, Herr Rotberg? Haben Sie weitere präventive Maßnahmen geplant?“

      „Beides Mal ja“, antwortete Rotberg.

      Der Innensenator ergriff das Wort: „Herr Polizeihauptkommissar Rotberg ist sicherlich einer der besten Polizeibeamten dieser Republik, vielleicht aber nicht der ausschweifenste Redner.“ Trotz der ernsten Situation gab es ein allgemeines, zurückhaltendes Gelächter.

      Rotberg ärgerte sich über sich selbst und errötete leicht. „Verzeihung“, sagte er verlegen, „ich bin es nicht gewohnt, vor so vielen Medienvertretern zu sprechen. Wenn Sie Fragen haben, versuche ich sie natürlich ausführlicher zu beantworten.“ Die Flucht nach vorn war für ihn in schwierigen Situationen immer das Beste gewesen.

      Die Journalisten fragten alle drei Herren über jedes denkbare Szenario aus. Alles war während der vergangenen zwölf Stunden in den Medien besprochen worden. Es waren Menschen auf der Straße befragt worden und Psychologen. Es gab Spekulationen über Sprengstoffe und mögliche weitere Anschlagziele. Die Pressekonferenz dauerte insgesamt etwas mehr als eine Stunde.

      Die vier Personen vom Podium verabschiedeten sich und sicherten eine regelmäßige Information der Medien zu. Die nächste Pressekonferenz war für den nächsten Tag um die gleiche Zeit angesetzt worden. Falls sich vorher etwas Neues ergäbe, würde man auch kurzfristig informieren.

      Die schreibende Zunft tippte erste Artikel bereits im Saal und verschickte sie via Internet an die Redaktionen. An verschiedenen Stellen im Rathaus stellten sich Fernsehjournalisten vor die Kameras und sprachen ihre Berichte für die Nachrichtensendungen.

      Bremen, Dienstag 10. Februar 2009, 12.45 Uhr

      Es war nicht mehr auszumachen, von wem die Nachricht ursprünglich kam – im Rathaus machte plötzlich das Gerücht die Runde, dass es zu einer Explosion in einer privaten Schule im gehobenen Bremer Stadtteil Schwachhausen gekommen sei. Die Medienvertreter versuchten im Rathaus sofort einen derjenigen zu erwischen, die eben noch die Pressekonferenz abgehalten hatten.

      Die Journalisten probierten mit ihren mobilen Geräten im Internet herauszubekommen, um welche Schule es sich handeln könnte. Andere versuchten direkt die Pressestelle der Polizei oder des Innensenators zu kontaktieren. Der Vertreter der regionalen Zeitung schien etwas über die Redaktion herausbekommen zu haben und nannte den Kollegen die Adresse.

      Der Medientross machte sich auf den Weg zum möglichen neuen Ort eines Anschlags. Im Grunde musste man nur den Martinshörnern folgen, die plötzlich überall zu hören waren. In der Umgebung der Schule lag Rauch in der Luft. Die Polizei hatte aber bereits mit quergestellten Einsatzwagen die Straßen verengt und ließ nur noch Fahrzeuge der Feuerwehr oder Krankenwagen passieren.

      Wer sich nicht als Anwohner ausweisen konnte, wurde nicht herangelassen. Es gab einige Journalisten, die versuchten Anlieger, die gerade aus dem Gebiet kamen, zu bestechen. Sie wollten, dass die Anwohner nochmals umkehrten und sie mit hineinnahmen. Die Polizei ließ aber niemanden passieren der keinen Ausweis hatte.

      Diese Anweisung kam direkt vom Polizeipräsidenten – er wollte keine Bilder von Toten oder Verletzten in den Medien sehen. Die Journalisten waren auf die Informationen angewiesen, die sie von den Grundstücksnachbarn erhielten.

      *

      Rotberg saß mit dem Polizeipräsidenten gerade im Nebenraum des Ratssaales, als ihn der Anruf aus dem Präsidium erreichte. Nur Sekunden später klingelte auch das Telefon des Polizeipräsidenten. Beide hörten zu und sahen gegenseitig an ihrer Mimik, dass der andere gerade dieselbe Nachricht bekam.

      Als sie fast zeitgleich aufgelegt hatten, sagte von Berghausen: „Kommen Sie, draußen wartet ein Fahrer auf mich, wir fahren gleich hin. Rotberg und von Berghausen verließen das Rathaus über einen Nebenausgang, an dem die dunkle Limousine mit einem aufgesetzten Blaulicht wartete. Die Straßen waren verstopft, sodass der Fahrer trotz Blaulicht und Martinshorn nicht überall zügig passieren konnte.

      Der Polizeipräsident rief noch vom Auto aus den Innensenator an – der hatte bereits davon erfahren. Er sagte, er wolle später auch hinzukommen. Rotberg rief Sabrina Hamm an und fragte, ob sie und die anderen vom Team unterwegs seien.

      Der Fahrer fuhr die Limousine so dicht an den Explosionsort heran, wie es ging. Die Straße war übersät mit Bruchstücken und Scherben. Es lagen einige zugedeckte Körper auf der Straße, viele davon waren offensichtlich Kinder.

      Rotberg kannte Bremen eigentlich sehr gut. Er versuchte sich zu erinnern, ob er das Gebäude, das hier gestanden hatte, schon einmal bewusst wahrgenommen hatte. Es fiel ihm nicht ein. War es ein Neubau inmitten dieser feinen Gebäude vom Anfang des letzten Jahrhunderts oder war es ein altes Bauwerk? Er sah sich auf der Straße nach Trümmerteilen um und bemerkte an einigen Bruchstücken, dass es ein altes Haus gewesen sein musste.

      Er wollte den Rettungskräften nicht im Wege stehen und näherte sich dem Ruinenfeld von der gegenüberliegenden Straßenseite. Er wollte sehen, wie weit nach hinten das Gebäude gereicht haben musste. Es war, soweit er es beurteilen konnte, ein recht großes Haus gewesen.

      Wenige Schritte von ihm entfernt sah er den Einsatzleiter Günter Timm. Der gab seinen Männern Anweisungen und lauschte in sein Sprechfunkgerät. Rotberg überlegte, ob er ihn kurz begrüßen sollte. Er nutzte einen Augenblick, in dem Timm dem Geschehen zusah und ging auf ihn zu.

      „Mensch, Herr Rotberg“, sagte er, „sagen Sie, dass das alles nicht wahr ist. Wenn ich nicht so beschäftigt wäre, würde ich mich hier hinsetzen und weinen.“

      „Haben Sie geschlafen in der vergangenen Nacht?“, fragte Rotberg.

      „Drei Stunden in der Feuerwache. Ich bin gerade vom Erdbeerweg wieder zurück in der Wache gewesen und hatte mich geduscht, da kam der Alarm.“

      „Wissen Sie schon was?“

      „Ne, noch gar nichts. Die Verletzten, die nicht unter den Trümmern begraben wurden, sind noch nicht ansprechbar. Vielleicht gucken Sie mal rum, ob Sie jemanden sehen, der etwas darüber sagen kann, wie viele Menschen im Gebäude waren“, meinte Timm.

      „Mach ich“, sagte Rotberg und sah sich um, ob es Personen gab, die nur leicht verletzt aussahen und gerade ärztlich versorgt wurden. Knappe zehn Meter von ihm entfernt saß ein junger Mann auf einem Trümmerstück. Vor ihm hockte ein Sanitäter und versorgte die kleineren Wunden.

      „Guten Tag“, sagte Rotberg zu dem Sanitäter, „ich bin von der Kriminalpolizei. Kann ich mit dem jungen Mann mal reden, wenn Sie fertig sind.“

      „Da müssen Sie den jungen Mann fragen“, antwortete der Angesprochene.

      „Geht das?“, fragte Rotberg den Verletzten.

      „Ja, wird schon gehen“, meinte der.

      „Du kannst auch Nein sagen.“

      „Ne, ne, geht schon.“