Peter Gnas

Schlussstein


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hergekommen.“

      „Kriminalpolizei?“, fragte der junge Mann, war das hier kein Unfall?“

      „Das weiß ich nicht – ich hatte gehofft, du könntest mir irgendetwas sagen“, meinte Rotberg. Er holte einen kleinen Rekorder aus der Tasche. „Darf ich das aufnehmen, was wir sprechen?“

      Der junge Mann zuckte mit den Schultern, was Rotberg als Zustimmung wertete.

      „Bevor wir uns unterhalten, sag’ mir doch bitte deinen Namen.“

      „Dominik.“

      „Und der Nachname?“

      „Falter.“

      „Dominik Falter. Du gehst hier zur Schule?“

      „Ja, zwölfte Klasse.“

      „Wie alt bist du Dominik?“

      „Ich bin achtzehn.“

      „Kannst du mir sagen, wie du das hier erlebt hast?“, fragte Rotberg und machte eine undifferenzierte Handbewegung über das Trümmerfeld.

      „Ich weiß das auch nicht so genau. Das ging alles so schnell.“ Er überlegte. „Ich hatte einen Kurs in Kunst und war der Erste, der das Haus verlassen hatte, ich habe jetzt eigentlich Handballtraining.“

      Rotberg schwieg und beobachtete ihn von der Seite. Dominik hatte sich vornüber gebeugt und stützte die Ellenbogen auf die Beine. Er drückte an seinen Fingern und brachte den ein oder anderen zum Knacken. Der Junge war voller Anspannung und Trauer.

      „Ich war gerade vorn am Tor, als es knallte. Zwei Sekunden später ein zweites Mal“, fuhr Dominik fort. „Ich habe mich total erschrocken und im Reflex meine Hände an den Hinterkopf gehalten. Dann knackte und knirschte es. Mit einem Getöse fiel die Schule in sich zusammen. Ich habe erst gar nichts gemerkt, nur dass mir eine Flüssigkeit die Wange runterlief. Als ich mit der Hand wischte, waren meine Finger rot von Blut.“

      Dominik machte eine Pause. Er versuchte, nicht zu weinen. Rotberg sah aber, dass sich seine Augen mit Tränen füllten.

      „Wenn es dir lieber ist, hören wir jetzt auf“, sagte Rotberg. „Ich würde dann morgen bei dir zu Hause vorbeikommen.“

      Dominik weinte jetzt. Rotberg legte den Arm um dessen Schulter. Er wolle nach einem Polizeibeamten sehen, der ihn nach Hause fahren könne. Er forderte den Jungen auf, sitzen zu bleiben – er würde jemanden schicken. Damit erhob er sich, ging zu einem Beamten, den er bat, den Jungen aus dem Unglücksbereich zu bringen und nach Hause zu fahren.

      Rotberg ging auf das zusammengefallene Gebäude zu. Er achtete darauf, dass er keinem Helfer im Wege stand. Er verharrte einen Moment regungslos und sah ins Nichts. Er war an diesem Ort der überflüssigste Mensch. Er konnte nichts tun.

      Rotberg ging zurück zur Straße und setzte sich auf ein Trümmerstück. Er merkte jetzt, dass er zu zittern begann. Seine Hände wurden feucht und er bekam eine Hitzewallung – im nächsten Moment war er am ganzen Körper schweißnass. Er rieb sich mit den Handflächen übers Gesicht. Ein Sanitäter bemerkte ihn.

      „Geht es Ihnen gut? Brauchen Sie Hilfe?“, fragte der und legte Rotberg eine Hand auf die Schulter.

      „Was haben die hier angerichtet?“, Rotberg sah den Sanitäter mit großen Augen an. „Ich habe völlig falsch entschieden! Harald hatte recht mit seiner Skepsis.“

      Der Sanitäter sah ihn überrascht an. „Geht es Ihnen gut?“, fragte er nochmals.

      „Haben Sie eine Kopfschmerztablette?“, fragte Rotberg.

      „Bleiben Sie sitzen, ich hole Ihnen etwas.“

      Rotberg blieb, wo er war. Der Sanitäter kam nach einer Minute zurück. Er hatte zwei Blisterverpackungen in der Hand. Noch im Kommen drückte er die Tabletten heraus und bedeutete Rotberg, dass er seine Hand öffnen solle.

      „Was ist das?“, fragte Rotberg.

      „Das eine ist gegen Kopfschmerzen und das andere hilft Ihnen ein wenig gegen Stress. Sollen wir Sie in eine Klinik fahren?“

      „Unsinn“, sagte Rotberg, „ich habe zu arbeiten.“

      „Arbeiten?“, fragte der Sanitäter. „Hier? In Anzug und Mantel?“

      Rotberg kippte sich die beiden Tabletten in den Mund, nahm den Plastikbecher mit Wasser vom Sanitäter entgegen und spülte die Tabletten runter.

      „Danke“, sagte er. „Ich bitte um Entschuldigung – ich wollte Sie nicht so anraunzen. Ich bin von der Kriminalpolizei. Wir haben fast die ganze Nacht mit dem Fall von gestern verbracht. Und jetzt das hier ...“ Rotberg stand auf und sah über die Trümmerwüste. „Das hält ja keine Sau aus.“

      „Vielleicht sollten Sie ein nach Hause fahren und mal zwei Stunden die Beine hochlegen“, meinte der Sanitäter.

      Rotberg legte ihm eine Hand auf die Schulter: „Sie sind wirklich sehr freundlich. Ich danke Ihnen für Ihr Mitgefühl. Ich glaube aber, es gibt hier genügend Menschen, die Ihre Hilfe viel nötiger brauchen.“

      Rotberg sah, dass Wesselmann und Sabrina Hamm auf ihn zukamen. Er drückte dem Sanitäter die Hand und verabschiedete sich.

      „Derselbe Täter?“, fragte Wesselmann.

      Rotberg zuckte die Schultern. „Ich habe gerade mit einem Jungen gesprochen, der die Sache haarscharf überstanden hat. Er hat es kurz nacheinander zweimal knallen gehört.“

      „Das muss nichts heißen“, meinte Wesselmann.

      Rotberg sah ihn an: „Harald, ich hätte gestern Abend auf dich hören sollen.“

      „Was habe ich denn da gesagt?“

      „Du hattest ein schlechtes Gefühl gegenüber meinem Vorschlag, dass wir Verhandlungen verzögern sollen.“

      „Ich habe immer ein schlechtes Gefühl – bei allem“, meinte Wesselmann. „Das hat nichts zu bedeuten.

      „Was hätten wir anderes tun sollen?“, meinte Sabrina Hamm. „Hundert Millionen von der Bank holen und in einem Papierkorb deponieren?“

      „Außerdem wissen wir überhaupt nicht, was hier eigentlich passiert ist“, ergänzte Wesselmann.

      „Das war garantiert derselbe Täter, das habe ich in der Nase“, meinte Rotberg. „Ich hätte nie gedacht, dass jemand zu solch einer Kälte fähig ist.“

      „Die Spurensicherung habe ich schon auf die Reise geschickt“, sagte Sabrina Hamm, „die müssten gleich hier sein.“

      „Ich muss euch ehrlich sagen, dass ich im Moment nicht in der Lage bin, einen klaren Gedanken zu fassen“, Rotberg sah die Kollegen an. „Ich weiß überhaupt nicht, wo wir anfangen sollen. Wir haben keine eigenen Optionen. Der Täter treibt uns mit einer Brutalität vor sich her – wir können jetzt jeden Tag an solch einen Tatort fahren oder wir müssen zahlen.“

      Die drei standen nebeneinander am Rand des Geschehens und sahen dem Treiben zu, ohne ein Wort zu sprechen. Nach einer Minute des Schweigens merkte Rotberg, dass der Polizeipräsident von hinten an sie herangetreten war.

      „Meine Güte“, sagte er, „so was habe ich noch nicht erlebt. Er machte eine Gedankenpause: „Der Innensenator und der Bürgermeister werden gleich hier sein. Sie werden uns fragen, wie wir vorgehen wollen.“

      „Tja ...“, Rotberg überlegte: „ ... Herr von Berghausen, ich weiß es nicht. Jetzt kommt gleich die KTU und sieht nach den Spuren, die ein erneutes Verbrechen bestätigen könnten. Der Täter wird sich vermutlich wieder melden.“

      „Ich möchte meine Kompetenzen nicht überschreiten ...“ sagte Sabrina Hamm, „... aber darf ich etwas dazu sagen?“

      „Wieso sollten Sie Ihre Kompetenzen überschreiten, wenn Sie etwas sagen?“, fragte der Polizeipräsident.

      „Na ja“, meinte sie, „ich bin