Peter Gnas

Schlussstein


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zu begutachten. Es wurden drei Werkzeugkoffer und zwei Kartons, die man gefunden hatte, in die Gärten der Einrichtungen an für die Nachbarschaft schwer einsehbare Plätze gebracht. Dort wurden sie in Behältern, die Explosionen hemmen, abgestellt und mit Sand überdeckt.

      Die Anwohner, die in kritischer Nähe zu diesen Plätzen wohnten, wurden von der Polizei gebeten, sie in die Turnhallen zu begleiten. Auch diese Menschen wurden zum Stillschweigen verpflichtet. Sie durften keine Mobiltelefone mitnehmen, damit es keine unerwünschten Kontakte zur Presse gab.

      Die Polizei und die Kindergartenleitungen informierten die Erzieherinnen und Erzieher erst vor Ort, dass sie ihren Tag heute an anderer Stelle verbringen sollten.

      Um sieben Uhr morgens tauchten die ersten Eltern auf, die ihre Kinder zur Tagesstätte bringen wollten. Es waren, wie vermutet, deutlich weniger Kinder unterwegs. Die meisten, die zu den Kindergärten kamen, hatten keine Nachrichten gehört oder gesehen. Sie waren überrascht und hielten die Aktion für eine reine Vorsichtsmaßnahme nach dem vermeintlichen Unfall vom Vortag. Einige Kinder kamen allein und wurden gleich von ihren Erziehern in Empfang genommen.

      Ein Teil der Polizeibeamten war in Zivil vor Ort, sie begleiteten die Kindergruppen zu den nächstgelegenen Schulen. Die Zahl an Kindern, die durch die Straßen gingen, waren zwar ungewöhnlich groß, die Menschen machten sich aber keine Gedanken darüber. Sie konnten ja nicht wissen, dass das, was sie hier sahen, gerade im gesamten Stadtgebiet passierte.

      An den Schulen informierte die Polizei Lehrer und Schüler, dass an diesem Tag eine Informationsveranstaltung für Kindergartenkinder stattfände. Solche Veranstaltungen waren bislang niemandem bekannt, es machte sich aber niemand Gedanken – im Gegenteil, den Lehrern gefiel es überwiegend.

      Nach ungefähr neunzig Minuten waren auch die letzten Nachzügler in den Turnhallen untergebracht. Die Sprengstoff-Experten machten sich nun daran, die verdächtigen Funde mittels einer Röntgenapparatur zu untersuchen. Alle drei Behälter erwiesen sich als harmlos.

      Nachdem auch diese Arbeit abschlossen war, hatten die Polizisten vor Ort den Auftrag, die jeweilige Kindertagesstätte nochmals gründlich zu durchsuchen. Im Laufe des Vormittags wurden Spürhunde durch alle Einrichtungen geführt. Die Bremer Polizeidirektion hatte noch in der Nacht Niedersachsen und Hamburg um weitere Hunde gebeten, damit man die Häuser zügig untersuchen könne.

      Bremen, Dienstag 10. Februar 2009, 11.05 Uhr

      Die große Polizeipräsenz in der Stadt fiel irgendwann auf. Presse, Funk und Fernsehen schlossen aus den Aktivitäten auf eine Bestätigung eines Bombenanschlags. Die Medien hatten neben dem Sitz des Innensenators auch das Polizeipräsidium belagert. Sie erwarteten nun endlich eine Antwort auf die Frage, ob auf dem Kindergartengelände Erdbeerweg Hinweise auf eine Bombe vorlagen.

      Der Innensenator hatte für elf Uhr dreißig eine Pressekonferenz im Rathaus angekündigt. Auf dem Bremer Domshof fanden sich immer mehr Übertragungswagen ein. Auch aus den benachbarten Ländern waren Medienvertreter angereist. Nach den Nachrichten am Abend zuvor gab es während der gesamten Nacht, Spekulationen über mögliche Täter. War es ein rein finanzielles Interesse oder wurde Geld erpresst für extremistische Ziele? Handelte es sich um eine radikale deutsche Gruppe oder um einen islamistischen Hintergrund?

      Der große historische Ratssaal des Bremer Rathauses war voll von Journalisten aus vielen Ländern. Im hinteren Teil waren für die Fernsehkameras Podeste aufgebaut worden, auf den Stühlen saßen die Reporter und davor auf dem Boden hockten Fotografen. Das digitale Klacken der Objektive erfüllte neben den vielen Stimmen den Saal. Die Videokameras und Fotoapparate suchten den Saal nach reizvollen Bildmotiven ab. Es gab nicht viele Rathäuser mit einer so unzerstörten historischen Substanz.

      Mit etwa zehn Minuten Verspätung betraten der Innensenator, seine Pressesprecherin, der Polizeipräsident und Rotberg das Podium. Die Stimmen verstummten, die Fotoapparate dominierten die Atmosphäre. Die Fotografen hatten sich erhoben und nahmen jede der vier Personen in allen erdenklichen Einstellungen auf.

      Die Pressesprecherin Anja Finke klopfte zweimal auf ihr Mikrofon. Sie sprach mit ernster Stimme: „Meine Damen und Herren, darf ich um Aufmerksamkeit bitten. Die Fotografen hier vorn, möchte ich bitten, sich entweder an die Seite zu stellen oder hier vorn auf den Boden zu hocken damit die Herrschaften weiter hinten sowie die Fernsehkameras einen freien Blick haben. Vielen Dank.“

      Anja Finke stellte die Herren namentlich vor. „Wir alle haben die Meldungen der letzten vierundzwanzig Stunden verfolgen können. Nach der Explosion in einer Kindertagesstätte gab es einen Anruf, der von vielen Sendern in Auszügen zitiert wurde. Die Details folgen nun von Herrn Senator Franke.“

      „Meine Damen und Herren, ich möchte Sie in unserem Bremer Ratssaal begrüßen. Ich wünschte, wir hätten einen angenehmeren Anlass gehabt, Ihnen dieses einmalige Gebäude vorzustellen. Wir sind seit mehr als vierundzwanzig Stunden mit einem tragischen Unglück in unserer Stadt befasst. Wie Frau Finke soeben sagte, gab es einen Bekenneranruf. Der deutete darauf hin, dass es sich in der Kindertagesstätte Erdbeerweg nicht um eine Gasexplosion, sondern um einen Bombenanschlag handelte.“

      Bei jeder Handbewegung und jedem Blick, den der Senator in die versammelte Runde richtete, gab es ein Blitzlichtgewitter.

      „Wir hatten Ihnen zugesagt, dass wir Sie unterrichten, sobald wir Näheres wissen. Bis in die frühen Morgenstunden wurde nach Verletzten gesucht. So konnten wir uns erst danach mit der Spurensuche befassen“, er machte eine Pause. „Ich will das Informationsbedürfnis der Öffentlichkeit nicht weiter ungestillt lassen – ja, es handelte sich mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit um einen Anschlag.“

      Es brach ein heftiges Geräusch von unzähligen Fotoapparaten über den Raum herein. Einige der Fotografen und Kameraleute versuchten in dieser kurzen Phase, die Gesichtsausdrücke der Kollegen einzufangen.

      Der Senator verlieh seinem persönlichen Entsetzen über diese abscheuliche Tat Ausdruck. Er sei so fassungslos, dass er noch nicht wisse, wie mit der Situation umzugehen sei. Die Zahl der getöteten Kinder betrage siebenunddreißig, die der Erwachsenen fünfzehn. Verletzte gäbe es einundzwanzig, davon schwebten noch einige in Lebensgefahr.

      „Die Polizei hat noch keine Spur, die auf die Identität der Täter hindeutet. Der verwendete Sprengstoff ist, nach allem was wir wissen, ein sogenannter Plastiksprengstoff. Dieses Material ist nicht ohne Weiteres zu beschaffen – so, wie es überhaupt schwer ist, in der Bundesrepublik an brisante Stoffe dieser Art heranzukommen. Ich bitte darum, die Fragen erst am Ende der Erklärungen des Polizeipräsidenten zu stellen und gebe ihm jetzt das Wort.“

      Der Polizeipräsident bedankte sich und wartete das Blitzlichtgewitter ab, dass es gab, als er das Wort übernahm. Hans von Berghausen stand zwar immer wieder in der Öffentlichkeit und galt als sicherer Redner, machte dabei aber nur wenige Gesten. Die Fotoapparate bekamen während seines Vortrags kaum Futter.

      „Auch ich spreche im Namen der gesamten Polizei allen Betroffenen unser Mitgefühl aus. Ich bedanke mich für den Einsatz der vielen Polizisten, die, obwohl sie keinen Dienst haben, schon seit vielen Stunden zu Hunderten im Einsatz sind.“

      Der Polizeipräsident erläuterte die Maßnahmen, die man in der Nacht eingeleitet und am frühen Morgen umgesetzt hatte. Er verschwieg dabei, dass man bereits wenige Stunden nach der Explosion gewusst habe, dass es sich um eine Bombe gehandelt hatte. Er rief die Medien und die Öffentlichkeit zur Mithilfe auf. Es läge ein Paket mit Fakten und einen Zusammenschnitt der Telefonstimme mit markanten Stellen neben dem Ausgang bereit und er bat um Veröffentlichung. Gleichzeitig sei die Polizei dabei, dieses Material ins Internet zu stellen, wo es jeder abrufen könne.

      „Alle Bremer Kindertagesstätten sind von Spezialkräften untersucht worden oder wir sind noch dabei. Wir gehen davon aus, dass alle Einrichtungen soweit inspiziert sind, dass nichts Derartiges mehr passieren kann. In den nächsten Tagen wird niemand mehr hineingelassen, der nicht vorher untersucht wurde. Eltern können also ab morgen ihre Kinder wieder zur Tagesstätte bringen.“

      Rotberg, der Pressekonferenzen nicht mochte, war schon mit Herzklopfen in den Saal gegangen. Als er gesehen hatte, wie viele