S.A. Michael

Charmante Tribune küsst man nicht


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nur für ein Jahr zu den Truppen verbannen.

      Vorsicht war geboten. Scip verhielt sich unauffällig. Überall spürte er Valas Blick im Nacken, auch wenn er ihn nicht sehen konnte. Unten am Fluss tummelten sich die ersten Soldaten der neunzehnten Legion. Sie hatten ihren Dienst hinter sich gebracht, und Scip beneidete sie um diese Abkühlung in den kalten, nassen Fluten. Schwitzte unter seiner ledernden Kluft. Zupfte an dem roten Leinen seines Halstuchs unterhalb des schweren Wollstoffs, welches er fein säuberlich um seinen Hals gewickelt hatte und den Schweiß, der seinen Nacken hinunterrannte, auffing. Wund scheuerte, wenn die Nässe nicht trocknete. Kippelte und zwickte, wenn sie die wunden Stellen in der Nacht verheilten. Wütend schielte er nach den Pferden der ankommenden Händler. Der Geruch der Tiere war mörderisch. Der beschwerliche Weg zum Lager weit. Meile um Meile auf unwirklichen Strassen. Voller Staub, Ungeziefer und Hitze, gepaart mit Gewitter, dass sich plötzlich ergoss. Zecken, die an den Straßenrändern lauerten. Sich an ihnen hängte. Blutsaugend. Im Lager nach neuen Opfern suchend. Bären und Wölfe. Banditen und anderes Gesindel. Wegelagerer. Krieger feindlicher Stämme. Oder die Ehefrau, die der untreuen Seele einen Mörder hinterherschickte. Zu unwirklich, wie das Land selbst. Und doch. Auch die Strassen im Imperium waren nicht sicher. Wie jeder Reisende wusste.

      Der Zorn, den Scip tief in seinem Inneren mit sich trug, galt nicht ihnen, sondern einzig und allein seinem Vater, der ihn mitten in diese obskure Wildnis verpflichtet hatte. Hart schmiss er ihn aus dem geliebten, seichten Sumpf der Großstadt und stopfte ihn in die grausame Welt der Wirklichkeit des Erwachsenwerdens. Der Frust, der sich in diesem halben Jahr aufgestaut hatte, ließ er knurrend an den nächstbesten Händlern ab, die ihn von da an abgöttisch hassten. Ihn mit funkelnden Augen anstarrten, und ihn, in ihren Gedanken, im nächsten Sumpf ertränkten.

      Tat ihn seine arrogante Art leid? Eigentlich nicht. Warum belästigten sie ihn in seinem mitleidsvollen Zustand mit sinnlosen Fragen, Floskeln und Gespräche tonloser Argumente, dessen Antworten sie sowieso schon kannten.

      Die Aufsicht über den Markt zu haben, war eine undankbare Aufgabe. Für Scip war diesen Posten eine Strafe, den sich Vala und Sabienus, der Vorgesetzte des jungen senatorischen Tribuns und Legat der neuzehnten Legion für ihn ausgedacht hatten, um ihn tierisch auf die Nerven zu fallen. Oder ihn davon abzuhalten, irgendwelchen Blödsinn anzustellen, was ihn sichtlicher besser lag, als die eiserne Disziplin der Truppe, die ihn Numerius gnadenlos lehren wollte. Na ja. Zugmindestes war er an der frischen, wohlduftenden Luft. Eine Abwechslung zu dem stickigen und müffelnden Legatszelt, wo er bei der schwummrigen Dunkelheit die Berichte, Anordnungen und Befehle anstarren und seine Augen ruinierte, selbst wenn neben ihn eine der Öllämpchen brannte.

      Am Rande des Platzes, wo die angereisten Händler ihre Waren verhökerten, wiegten sich die alten Bäume im Wind. Sangen wispernd ihr einsames Lied. Wer diesen Platz ausgesucht hatte, musste ziemlich blind gewesen sein. Der Schauer, den Scip jedes Mal über die Arme zog, kam von dem düsteren Rachen der germanischen Wälder, die gierig ihren Schlund auftaten. Ihre Zähne zeigten, um ihn in das Moor zu ziehen und hinabzuziehen. Flimmernde Lichter zogen über den Abgrund. Lichter mit einem eigenen Willen. Einer eigenen Seele. Unruhe durchzog das Lager. Von Verrat und Täuschung wurde gemunkelt. Die Verschwörer, wenn es denn wirklich welche gab, waren wie die feinen, zart gesponnenen Nebelschwaden des rohen Landes. Nicht zu fassen und verschwanden genau so schnell, wie die morgendlichen Dunstschichten in der aufgehenden Sonne des farbenfrohen, bunten Herbst, der gerade anfing, seinen Zauber wirken zu lassen. An den Spitzen der Blätter fing der Pinsel von Mutter Natur an malen. Erst in einem hellen Gelb auf grünen Grund. Später, in einen Monat, in einem hellen bis satten Rot. Kündigte den Winter an, der darauf folgte.

      Scip hatte keinen Blick für die anbahnende Schönheit. Solange wollte er nicht an diesem Ort des Grauen, wo es nicht mal ein anständiges Bad gab, bleiben und seufzte gelangweilt auf. Nicht mehr lange, höchstens drei Tage, dann würden die Legionen zum Rhein in ihr Winterlager aufbrechen. Der gierige Schlund der Gefahren des Sommers blieb hinter ihnen, und im Frühjahr endete Scip`s Dienst, und er würde Rom wiedersehen. Jene Stadt, aus der ihn die Häscher der Sicherheit besoffen herausgerissen hatte, um ihn gegen seinen Willen verschleppten. Respekt zollten sie ihm nicht. Hart fassten sie ihm unter die Arme und zerrten ihn mit sich. Scip protestierte laut. Trat um sich und schupste sie zurück. Schließlich war er der Sohn eines Senators. Doch sein Vater rührte keinen Finger, verzog keine Miene, um die rohen, groben Dollköpfe bei der Verschleppung seines jüngsten Ablegers aufzuhalten. Ende der Geschichte.

      Scip öffnete ein neues Kapitel seines Lebens, auch wenn es für ihn hieß, die harte Knute der Truppen zu ertagen. Er überlebte auf seine Weise den unerträglichen Dienst, den sie ihm aufzwang.

      „Eh“, brüllte er genervt über den Platz und scheuchte ein paar cheruskische Hühner auf, die schnatternd in die nächste Taverne schlenderten. Schnell merkten, dass nicht sie den Unmut des jungen Tribuns auf sich zogen und finster im Inneren verschwanden. „Wenn du schon versuchst, deinen dämlichen Esel anzubinden, dann doch bitte an den Ort, der dafür zur Verfügung steht. Ich habe nämlich keine Lust, noch mal in diesen Mist zu latschen.“

      Auslöser seines Ärgers war der trotteliche, gallische Schmuckhändler vom Vortag, der ihm immer noch wie ein schwerer Kloß im Magen saß und versuchte, sein Zugtier an die nächst beste Eiche zu binden und genau in dem richtigen Moment vor der Nase des jungen Tribuns die Strasse beschmutzte. Scip war es leid. Warum sollte ausgerechnet er sich mit solchen Typen abgeben?

      „Esel halb blind“, brummelte der alte Mann in einem gebrochenen Latein, dessen Gesicht von der Sonne und den kalten Winden des Nordens hart gegerbt wirkte. Eine lange Narbe zog sich lang über die rechte Wange seines Gesichtes und wirkte recht frisch. Er war wohl von Banditen überfallen wurden, die ihre Tat im nachhinein bereuten, denn er hatte sichtlich all sein Hab und Gut bei sich auf seinem Wagen

      Scip sah die Furche immer wieder an. Was für ein tiefes Ding sie war.

      „Was geht mich diese Sache an? Das hier ist eine Strasse. Kapiert. Dahinten ist der Pferch für die Viecher der Händler und Halsabschneider“, fauchte er ihn an und nickte mit dem Kopf zum hinteren Teil des Platzes. „Also, Kumpel. Esel dahinten.“

      Sein plumpe Versuch war lächerlich. Scip schnaufte auf. Dieses Spielchen war einfach nur dämlich.

      „Wenn du das blöde Tier nicht bald von hier wegführst, ziehe ich meinen Dolch heraus und durchschneide ihm die Kehle.“ Wie weit würde er seine Geduld noch strapazieren?

      Der alte Mann nickte Scip wütend zu, wankte mit seinem anscheinend kaputten Bein zu seinem Tier und spuckte vor sich in den ausgedörrten Staub.

      In seinem Gesicht las der junge Offizier mordflüsternden Gedanken. Scip interessierte sich nicht sonderlich dafür und stellte sich breitbeinig auf den Weg. Er war auf seinem Platz der Boss. Sein Gegenüber wurde kleiner und kleiner und versuchte, ihn noch einmal auszutricksen.

      „Esel läuft gern anderen Pferden hinterher und kommt dann nicht mehr zurück. Besser hier, als da.“ Die Sache wurde komplizierter. Scip fuhr genervt durch sein kurzes, schwarzes Haar. Warum hielt er sich nicht einfach aus der Sache heraus?

      Dieses Eselproblem wurde lästiger, als er gedacht hatte und hielt ihn davon ab, irgendwann, in der nächsten Stunde, seinen Dienstschluss anzutreten.

      Zornig schnaufte er auf und räusperte sich hinter vorgehaltener Hand. Warum war er auch immer der Depp für solche Torfnasen? Wieso tauchten solche Probleme nicht erst später auf und nervten die Vertretung? Das wäre doch mal eine gelungene Maßnahme, und er konnte erleichtert verschwinden. Aber nö. Er hatte das Patent für die ganz besonders schwierige Fälle und zog, egal, wo er auch immer war, den Ärger an, wie der Honig den Bären. Oder das Licht die Motte.

      Auf der anderen Seite wollte der Gallier seine Autorität untergraben, und diese blödsinnige Aktion gefiel dem jungen Tribun nicht gerade. Der alte Maulheld wollte ihn bloßstellen. Ihn demütigen. Seinem Stolz einen Dämpfer verpassen.

      „Dann las das blöde Viech bewachen. Schließlich hast du eine Horde von Sklaven, die für dich die Drecksarbeit machen und nun, gerade jetzt, faul in der Sonne dahinschmachten, um ja keinen einzigen Finger zu rühren. Klar!“ Es war ja nicht so, dass Scip nichts