I. Tame

Bestiarium


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nah am Abgrund. Manchmal macht mich die Angst dich zu verlieren noch geiler. Doch dann lässt sie mich einfach nur erstarren vor Schreck. Das ist sowas von … pervers.“

      Er steckt den Schlüssel ins Schloss und schnallt sich an. Denn was mach‘ ich bloß, wenn du mich wirklich verlässt?, jammert er in Gedanken weiter. Dieses Mal flipp‘ ich aus. Ich bin dir verfallen. Ich liebe dich wie keinen anderen Menschen auf der Welt. Und deine kühle Fassade bringt mich um den Verstand. David seufzt stöhnend. Ich kann nicht ohne dich sein. Meine Sehnsucht nach dir wird immer stärker. Warum empfindest du nicht genau so wie ich? Ich liebe dich! Ich liebe dich so sehr!

      Mit zusammengepressten Lippen und verzweifeltem Blick parkt David seinen Wagen aus und fährt nach Hause.

      *

      Auch in seiner gemütlichen Wohnung findet er keine Ruhe. Statt eines vernünftigen Abendessens köpft er eine Flasche Wein und reißt dazu einen Beutel Paprika-Chips auf. Er hat noch nicht einmal daran gedacht, frisches Brot zu kaufen; wie erbärmlich. Allein Ben und sein eigenes immer drängenderes Verlangen nach ihm erfüllte nach seinem Feierabend Davids Gedanken. Beim zweiten Glas Wein schnappt er sich sein Handy und liest noch einmal Mikas Nachrichten. Dieser freche Bengel. Automatisch fängt David erneut an zu grinsen. Was würde er nur ohne seinen jüngeren Freund machen? Ihm zu helfen und Ratschläge zu erteilen gibt David selbst Auftrieb und Zuversicht, seine eigene Beziehung wieder auf die Reihe zu bringen. Ich muss mit Mika reden. Er ist mein bester Freund und der einzige, der mich versteht.

      Spontan drückt David auf die Wahlwiederholung zum Bestiarium, die er in den vergangenen zwei Tagen schon so oft gewählt hat. Die Leitung ist ständig besetzt. Nur einmal klingelte es durch, doch da nahm niemand ab. So ein Scheiß! Was das wohl soll? Haben die nicht genug Leute?, denkt er leicht verärgert.

      Doch jetzt sitzt er hier alleine in seinem Wohnzimmer, trinkt sich einen kleinen Schwips an und denkt über sich und Ben nach. Da kann er ruhig nebenbei diese Nummer anwählen.

      Während der Alkohol ihn wohltuend wärmt, gibt David endlich einem ketzerischen Gedanken die Möglichkeit sich zu entfalten. Tagsüber hat er ihn erfolgreich unterdrückt. Er dreht und wendet ihn; kaut geradezu auf ihm herum. Im Grunde handelt es sich um eine simple Frage: Hat Ben recht? Ist er – David – tatsächlich aufsässig und fordert mit seinen Fehlern Ben bewusst heraus? So war er doch noch nie! Bei hellem Tageslicht schätzt David sein Unvermögen, Ben alles recht zu machen, als reine Schusseligkeit ein. Dummheit, vielleicht. Ungeschicklichkeit, ganz bestimmt. Unaufmerksamkeit, auf alle Fälle. Aber es soll doch keine Revolte sein, dass er ständig nur Bruchteile eines Satzes stammelt, wenn Ben ihm eine klare Frage stellt. Oder doch? Geht seine Sehnsucht nach Züchtigung schon so weit? Wird die Sehnsucht zur Sucht? Will er es erzwingen? Topping from the bottom?

      „Das kann einfach nicht wahr sein!“, murmelt er halblaut vor sich hin.

      „Es tut mir wirklich sehr leid, mein Herr, aber unsere Leitung ist momentan etwas überlastet. Ich bitte Sie um Verzeihung für die lange Wartezeit. Sie sprechen mit Philippe von Tharon. Mit wem habe ich das Vergnügen?“

      David zuckt zusammen. Während seiner Grübelei hat er es tatsächlich geschafft. Er hat den Veranstalter des Bestiariums erreicht.

      „Äh …“, stottert er kurz, um seine Überraschung zu überspielen. „Mein Name ist David Goldmann. Guten Tag, Herr von Tharon …“

      „Herr … Goldmann … habe ich Ihren Namen richtig verstanden?“

      David nickt und trinkt einen weiteren Schluck Wein, bevor er bestätigt: „Genau!“

      „Bitte, nennen Sie mich doch Philippe!“, antwortet die etwas schnöselig klingende Stimme.

      „Ja, gerne … ähm … ich bin David. Es hat eine ganze Weile gedauert, bis ich durchgekommen bin.“

      „Ja, David. Wie ich bereits sagte: Wir werden momentan von Interessenten überrannt. Es tut mir sehr leid, dass Sie Unannehmlichkeiten hatten. Sie interessieren sich für eine Teilnahme?“

      Langsam fängt sich Dave. „Schon“, antwortet er und nippt an seinem Wein. „Können Sie mir denn erst einmal Näheres über die Hintergründe Ihrer geheimnisvollen Aktion verraten? Wir würden uns gerne anmelden, aber ein paar weitere Informationen wären schon schön!“ Seinen letzten Satz formuliert er bewusst ironisch angehaucht. Der Typ soll ruhig merken, dass nicht alle Leute auf absolute Geheimniskrämerei stehen.

      „Sie möchten zu zweit teilnehmen?“, antwortet von Tharon, ohne auf Davids Anspielung einzugehen.

      „Wir wären zu fünft.“

      Philippe scheint erfreut. „Oh, dann bilden Sie ja eine homogene Gruppe. Das ist sehr schön. Pro Spiel sollten nicht mehr als sechs Personen teilnehmen. Fünf sind optimal; noch besser, wenn sie sich kennen.“

      ‚Homogen‘ ist gut, kichert David in Gedanken.

      „Und wie läuft so ein Spiel ab?“, hakt er nach.

      „Nun … da wird vieles spontan entschieden. Doch ich garantiere Ihnen, dass Sie und Ihre Freunde auf Ihre Kosten kommen werden …“

      „Entdecke das Tier in dir … das starke und mutige“, zitiert David einige Zeilen des Werbezettels.

      „Das ist richtig“, bestätigt Philippe ungerührt. „Sie und Ihre Bekannten werden speziellen Herausforderungen gegenübertreten. Nichts Gefährliches … ich würde es ‚das Ego besiegen‘ nennen. Diese Aufgaben werden von der Gruppe umso intensiver empfunden, je besser Sie alle sich kennen. Obwohl natürlich auch zusammengewürfelte Fremde eine ganze eigene Dynamik entwickeln können.“

      „Hmm“. David denkt nach. Das könnte interessanter werden, als gedacht.

      „Sie können sich natürlich gerne noch einmal melden, David. Die Terminlage ist sowieso … prekär.“

      Um Gottes Willen, schießt es David durch den Kopf. Bloß kein zweiter Telefonmarathon!

      „Neinnein“, wehrt er daher sofort ab. „Ich denke, das Konzept wäre schon …“ Er verstummt. Wie soll er es bezeichnen? In Ordnung? Interessant? Perfekt? Die einzelnen Reaktionen – vor allem der dominanten Kerle – kann er einfach nicht einschätzen. Zudem kann das, was dieser von Tharon ihm erzählt, alles und gar nichts bedeuten.

      David entscheidet sich für „… interessant für uns.“

      „Ich kann Ihnen wirklich nicht mehr verraten, David. Leider. Die Aufgaben richten sich ganz aktuell nach den teilnehmenden Charakteren. Psychologie spielt dabei eine große Rolle.“

      „Mhm, verstehe!“, lenkt David ein. „Was soll der Spaß denn insgesamt kosten?“

      „Pro Teilnehmer wird ein Grundbetrag von 100,00 Euro veranschlagt. Also 500,00 Euro für die ganze Gruppe. Das hört sich im ersten Moment nach viel Geld an, doch in dieser Gebühr sind alle Getränke enthalten, die während der Treffen verzehrt werden. Außerdem steht die Gesamtzahl der Treffen noch nicht fest. Das richtet sich nach … ach, also David. Glauben Sie mir einfach. Der Preis ist nicht überteuert. Und der Gewinn … darüber darf ich nun wirklich nicht reden.“

      Er lacht ein wenig gekünstelt und fragt schließlich nach.

      „Wenn Sie sich entschieden haben, dann bitte ich Sie höflichst um die Namen der Teilnehmer. Ansonsten müsste ich bedauerlicherweise das Gespräch beenden. Sie wissen ja, wie viele Leute versuchen, uns zu erreichen.“

      „Alles klar!“ David hat sich entschieden. Er wird sie anmelden. 100,00 Euro sollten für jeden Teilnehmer zahlbar sein.

      „Wir machen mit, Philippe!“

      „Das freut mich zu hören! Ihren Namen habe ich ja bereits: David Goldmann. Wen darf ich noch notieren?“

      „Ben Westphal, John Garland, Keno Catler und Mika Sundberg.“

      „Wunderbar. Ich notiere. Hmm, ja … ähm … das ist … das sind dann alles Herren, ja?“,