I. Tame

Bestiarium


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      (Teilnehmerzahl begrenzt)

      Mika wendet das Blatt. Auf der Rückseite steht lediglich eine Handy-Nummer. Unten rechts … ganz klein … erkennt er einen bunten Joker.

      „Und?“, fragt er stirnrunzelnd. „Was soll das sein?“

      „Keine Ahnung“, gibt David zu. „Keiner weiß, was sich genau dahinter verbirgt. Das macht die Leute verrückt. Bisher hab‘ ich lediglich von einigen Bekannten gehört, dass sie da angerufen haben und abgewiesen wurden. Die Nachfrage scheint dermaßen groß zu sein, dass nicht jeder angenommen wird. Immerhin können wohl bis zu sechs Leute auf einmal teilnehmen.“

      „Ja, aber … Teilnehmer wofür?“ Mika zuckt abschätzig mit den Schultern und legt den Zettel auf den Tisch. „Kein Schwein kann erkennen worum es überhaupt geht. Da hält sich einer vom Marketing wohl für ganz besonders schlau!“

      David lacht auf. „Das ist doch der Witz. Die machen die Leute damit erst mal heiß. Wenn es sich rumspricht, dann rennen denen die Interessenten die Bude ein. Sollen wir auch mal anrufen?“

      Während er fragt, zückt David bereits sein Handy. Er wählt und lauscht.

      „Besetzt“. Enttäuscht zieht er eine Schnute und tippt auf die rote Taste. „Schade! Wär‘ doch super, wenn wir da gemeinsam teilnehmen würden.“

      „Ben und Keno!“, gibt Mika abgeklärt zurück. Doch dann grinst er verschmitzt. „Das könnte wirklich lustig werden. Ruf‘ nochmal an!“

      David drückt die Wahlwiederholung. „Scheiße! Immer noch besetzt! Ich versuch’s später nochmal. Ich muss jetzt auch langsam los, mein Süßer!“ David steht auf und streift seine Jacke über.

      „Ich sag‘ dir Bescheid, okay?“

      Auch Mika erhebt sich und stellt automatisch die Tassen zusammen. „Alles klar! Kann ich den Flyer haben? Bin gespannt, was meine beiden Helden dazu sagen. Das wäre endlich mal eine Abwechslung.“

      „Klar!“ David drückt ihm einen Schmatzer auf die Wange. „Ich hab‘ ja die Nummer. Bis später!“

      *

      Abends sitzen sie gemeinsam in der Küche.

      „Was soll denn DER Scheiß?!“, raunt Keno, bevor ein weiteres riesiges Apfelstück in seinem Mund verschwindet. „Bestimmt irgend so ‘ne Kinderkacke!“, urteilt er mampfend. „Genau das Richtige für die Teenies im ‚Kolosseum‘.“

      „Das weißt du doch gar nicht!“ Mika ist sauer. Er findet immer mehr Gefallen an Davids Idee. Und dass Keno seinen Vorschlag einfach so abbügelt, passt ihm schon gar nicht. Schließlich ist er der einzige von ihnen, der überhaupt mal eine Idee hat. Keno hält natürlich dagegen.

      „Weiß ich wohl! Das schreit doch danach, dass man den Leuten für irgendeinen Blödsinn fett Kohle aus der Tasche ziehen will. Steht da irgendwo eine …“ Er dreht das Blatt hin und her. „... offizielle Teilnahmegebühr, oder so was? Nein! Natürlich nicht! Ich wette mit euch, dass das eine Verarsche ist!“

      Kopfschüttelnd steht er auf und wirft die Überreste des Apfels in den Mülleimer.

      Mika verschränkt bockig die Arme vor der Brust.

      „Na und? Was kann das schon kosten?! Aber …“ Er schnalzt mit der Zunge und tippt sich mit dem Finger gegen die Stirn, als wäre ihm etwas Wichtiges eingefallen. „… entschuldige bitte. Ich hab‘ ganz vergessen, dass wir ja vorher erst unsere Essensmarken zusammenzählen müssen.“

      Keno baut sich vor ihm auf und stemmt die Hände in die Hüften. Vor Erstaunen steht sein Mund halb offen. Dann wendet er sich John zu, der die Diskussion – wie so häufig – stumm und grinsend beobachtet.

      „Was ist denn mit DEM los?!“, empört sich Keno. Dass seine Empörung nicht echt ist, erkennt man daran, dass er Mika ruppig durch die Haare fahren will. Zickig zieht dieser seinen Kopf weg.

      „Sklavenaufstand“, brummt John grinsend, bevor er sich zurücklehnt und Mika abschätzend betrachtet.

      „Warum bist du denn gleich so sauer?“, fragt er ihn süffisant. „Du kennst doch die Queen. Die will erst mal richtig eingeseift werden. Da ist kein Platz für Eigenwilligkeit.“

      Keno ballt die Faust in Johns Richtung. „Ich geb‘ dir gleich ‚Queen‘ … will einer ein Bier?“, fragt er nahtlos. Das Thema scheint für ihn damit erledigt zu sein.

      John hebt seine Hand.

      „Und du?“, wendet sich Keno vom Kühlschrank aus Mika zu.

      Wütend springt Mika so abrupt auf, dass sein Stuhl dabei fast umkippt.

      „Wisst ihr was? Ihr könnt mich beide mal am Arsch lecken. Erst heißt es ‚Wir müssen unbedingt mehr miteinander unternehmen‘, ‚Wir verbringen überhaupt keine Zeit mehr zusammen‘. Und dann komm‘ ich mit einer super Idee und ihr benehmt euch wie zwei alte gelangweilte Säcke! Wenn ihr keinen Bock habt … bitte schön! Dann such‘ ich mir zusammen mit David und Ben eben ein paar andere Leute.“ Im Stechschritt verlässt er die Küche. „Kann ja wohl nicht so schwer sein“, hören die beiden Zurückbleibenden ihn noch maulen, bevor seine Zimmertüre laut hinter ihm ins Schloss fällt.

      Gleichzeitig knallt Keno Johns Bierflasche auf den Tisch.

      „Dieser kleine Pisser!“, faucht er und wühlt in der Küchenschublade nach einem Flaschenöffner.

      John lächelt vor sich hin.

      „Also, ich weiß ja, dass du das anders siehst“, knurrt er schließlich und kneift seine Augen leicht zusammen. „… Aber mich macht sein Verhalten ganz schön geil!“

      Keno öffnet die Flaschen. „Was macht DICH nicht geil?!“, erwidert er murmelnd und grinst schon wieder.

      *

      Mika ist wütend wie schon lange nicht mehr. Diese Wut staut sich schon seit einiger Zeit in ihm auf. Ständig wird er bevormundet. Immer ist er der ‚Kleine‘, ‚Bambi‘, oder ‚Minimoy‘. Da kann er gar nicht drüber lachen. Ihm reicht’s langsam! Er kommt mit einem witzigen Vorschlag, einfach mal den Alltag aufzulockern und rennt damit natürlich wieder gegen eine Wand. Wie selbstverständlich wird er dabei nicht ernst genommen. Und wie immer führt Keno das große Wort. Wozu haben sie ihren ‚Familienrat‘ eigentlich abgehalten? Wozu? Es kommt ja doch nichts dabei rum.

       Ich bleib‘ der kleine Doofmann, Keno kocht sein eigenes Süppchen und rückt erst mit der Sprache raus, wenn alles den Bach runter geht. Ansonsten benimmt er sich wie der von allen gewählte Haushaltsvorstand. Und John? Ja, der lehnt sich zurück und knurrt ein „Reg‘ dich nicht so auf!“. Das variiert natürlich. „Reg‘ dich nicht auf!“ „Reg‘ dich ab!“ „Mach‘ dich locker!“ Es kotzt mich dermaßen an, dass die mich nicht für voll nehmen. Aber ich bin’s ja selber schuld. Ich muss mich öfters durchsetzen; mich einfach mal in den Mittelpunkt rücken. Aber nein! Keno und sein Motorrad waren natürlich wichtiger! Ich bin ja so blöd und mach‘ mir immer erst um die anderen Sorgen. Das ist so typisch für mich!

      Hektisch räumt er irgendwelches Zeug von einer Ecke seines Zimmers in die andere, nur um beschäftigt zu sein. Dabei wischt er ab und zu zornige Tränen aus seinem Gesicht. Ich hab‘ so viel Verständnis für Kenos Emotionen und vergess‘ dabei einfach meine eigenen Bedürfnisse. Ich bin so bescheuert! Und dann … dann ärgere ich mich zu Tode.

      Nachdem die gröbste Wut verraucht ist, lässt sich Mika erschöpft auf sein Bett fallen. Er packt sein Kopfkissen und umklammert es innig.

      „Dämliche Wichser“, murmelt er beleidigt und knibbelt dabei am Kissenbezug herum. Fast wäre er eingeschlafen, als sein Handy klingelt. David.

      „Hey“, legt er los, kaum, dass Mika das Gespräch angenommen hat. „Ben macht mit bei dieser Bestiariumssache. Wie sieht’s bei dir aus?“

      „Ach … Scheiße“, mault