I. Tame

Bestiarium


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er in das allgemeine Gekicher ein. „… Und John programmiert sich die Finger wund … wofür? Wenn wir tatsächlich ausreichend Kohle haben …“, fährt Mika fort.

      Keno winkt großspurig ab. „Ausreichend? Ist ja wohl untertrieben!“

      „… Also …“ Mika zuckt mit den Schultern. „Was hindert uns eigentlich daran, mehr Zeit für uns selbst und miteinander zu verbringen?“

      Keno presst nachdenklich die Lippen aufeinander. „Mich befriedigt die Arbeit mit Edwina schon … hilflosen Menschen zu einem neuen Leben verhelfen ist einfach geil … doch ich glaub, ich könnte einen Urlaub vom Leid anderer dringend brauchen.“

      „Das glaub‘ ich auch!“, pflichtet John inbrünstig bei. „Noch vor zwei Monaten warst du so eine süße Schlampe! Und jetzt bist du nur noch genervt und sofort auf Hunderttausend, wenn wir dir quer kommen.“

      „Und du brauchst bald ‘ne Brille, wenn du weiter so viel vor der Glotze hängst“, wirft Mika spontan ein.

      „Jaa“, gibt John zögernd zu. „Kevin und ich liegen gerade in den letzten Zügen eines größeren Projektes. Danach ist erst mal wieder Pause. Doch so ganz kann ich ihn nicht hängen lassen. Er ist ein alter Kumpel von der Schule und mehr auf die Kohle angewiesen als ich.“ John zuckt entschuldigend mit den Schultern.

      „Schon“, hakt Mika nach. „Aber du kannst doch nicht dein ganzes Leben danach ausrichten, dass ein Kumpel von dir ständig genug Geld hat. Vielleicht könntest du auch einen Gang zurückschalten und …“

      Es klingelt.

      „Fuck! Das ist der Typ wegen dem Motorrad“, flucht Keno und springt auf.

      Sie unterbrechen ihre Kaffeerunde, um gemeinsam den Verkauf über die Bühne zu bringen. Keno ist relativ gefasst. Als der Kaufvertrag unterschrieben ist, atmet Mika erleichtert auf. Er hat’s tatsächlich getan, seufzt er innerlich. Gott sei Dank!

      Kapitel 6

      Am nächsten Tag geht Mika beschwingt zur Arbeit. Der ‚Familienrat‘ hat es voll gebracht. Warum haben wir das nur vernachlässigt?, denkt er, während er einen Kontrollblick über die Tische des Cafés schweifen lässt. Nachdem der Käufer – stolz wie Oskar – mit seinem neuen Motorrad aus der Einfahrt geknattert war, hatten sie noch bis in den Abend hinein geredet. Keno war gar nicht so geknickt, wie befürchtet. Nach seinem vorangegangenen Gejammer hatte Mika mit einem anderen Verhalten gerechnet. Umso leichter fanden die Drei wieder in ihr Gespräch und bald stand fest: es muss mehr Abwechslung in ihr Leben kommen. Ihre Erleichterung über den glücklichen Ausgang des Horrors mit Edward vor etwa einem Jahr machte sie sehr selbstgenügsam. Dagegen ist eigentlich nichts einzuwenden. Mehr davon täte sicherlich vielen Menschen gut. Doch der nächste Schritt in den langweiligen Alltag ist nur einen Moment davon entfernt.

      Während Mika die ersten Getränke vorbereitet, grübelt er. Hatte er nicht schon einmal hier gestanden und sich seufzend gefragt, ob das Leben nichts anderes für ihn bereit hält? Kellnern könnte ich auch in Acapulco. Aber ich muss ja überhaupt nicht arbeiten, wenn ich nicht will. John hat Recht. Ich hab‘ mich verändert. Früher war das ‚Bohne‘ mein Ein und Alles. Doch die Welt dreht sich weiter. Und so beschissen einige Erfahrungen mit Edward waren … grundsätzlich hat mir doch vieles an diesem Leben gefallen.

      Eine leise Röte schleicht sich auf Mikas Wangen. Vor sich selbst kann er es inzwischen zugeben: Eine Hure zu sein hat ihn auch befriedigt. Zwar nicht immer, doch …

      In diesem Moment betritt David das Café und reißt ihn aus seiner Grübelei. Sofort geht für Mika die Sonne auf. Sein bester Freund hat die Gabe, ihm zu jeder Zeit ein geborgenes Gefühl zu geben. Die mehr als zehn Jahre Altersunterschied spielen da keine Rolle. David ist sein Bester. Für ihn würde Mika durchs Feuer gehen.

      Sie umarmen sich und drücken sich einen schnellen Kuss auf den Mund. Da es recht leer ist, setzen sich beide an einen freien Tisch am Fenster.

      „Was machst du denn schon hier? Musst du nicht arbeiten?“, fragt Mika, während er in seinem Milchkaffee herumrührt.

      „Wir machen Inventur“, erklärt David und hört sich an, als würde er sagen: „Ich könnte kotzen“. Ein Löffel Zucker rieselt in seine Tasse. „Da muss jeder mithelfen – auch die Leute vom Vertrieb. Dafür kann ich aber was später kommen. Die Zeiten wurden unter uns aufgeteilt.“

      Mika strahlt. „Schön, dass du mich besuchst!“

      „Jaaa“, erwidert David, beugt sich vor und kneift Mika in die Wange. „Und du bist richtig gut drauf. Das freut mich. Hat sich dein Knallkopf schon etwas beruhigt?“

      Mika lacht laut und nickt. „Hat er! Seit seiner sehenswerten Entschuldigung reißt er sich mächtig am Riemen. John hat ihm den Kopf zurecht gerückt.“

      „Dann ist alles wieder gut?“

      „Alles gut! Er hat gestern sogar sein Motorrad verkauft!“

      „Nein!!“ David reißt theatralisch die Augen auf. „Das glaub‘ ich nicht!“

      „Doch! Hat er!“

      „Nie im Leben! Was will er denn jetzt machen? Neben seinem heißgeliebten Jackson her joggen?“

      Sie prusten beide über die gehässige Bemerkung. Mika presst sich unwillkürlich die Hand vor den Mund. Doch das Gekicher ist nicht zu stoppen.

      „Du bist echt gemein!“, gackert er schließlich. „Das hat er für John und mich getan.“

      David lehnt sich entspannt zurück. „Wohl mehr für dich und John. Da spielt die Reihenfolge eine große Rolle.“

      „Ist doch egal“, winkt Mika ab. „Hauptsache, er gibt nicht mehr den Durchgeknallten auf der Autobahn!“

      David nickt ernst. Natürlich kennt er die Geschichte bis ins kleinste Detail.

      „Da hast du Recht!“ Er hebt die Tasse und prostet seinem Freund zu. „Und John?“, fragt er nach dem nächsten Schluck. „Geht’s dem auch gut?“

      Er versucht, die Frage so nebensächlich wie möglich klingen zu lassen. Doch Mika kennt David einfach schon zu lange.

      Daher fragt er süffisant: „Wiesoo? Hast du Sehnsucht nach ihm?“

      Ein verlegenes Lächeln gibt Mika die Antwort. Gleichzeitig fährt sich David mit einer Hand durch die streichholzkurzen weißblonden Haare.

      „Ach, weißt du … mal ein wenig Abwechslung wäre doch nicht schlecht.“

      „Du Luder!“ Gespielt entrüstet boxt Mika seinen Freund gegen den Oberarm. „Ich dachte, der Undertaker sorgt für genug Abwechslung in deinem Leben!“

      Prompt geht das Gekicher von vorne los. Über Mikas neuen Spitzname für Ben amüsieren sich beide immer wieder prächtig. Schließlich wischt sich David einige Lachtränen aus den Augenwinkeln.

      „Ja … Nein … Naja“, stottert er und sucht dabei in seiner Jeansjacke nach einem Taschentuch. „Ben ist immer noch der König der Unterwelt und ich bin sein Sklave!“

      „So soll es ja auch sein!“, grinst Mika und kratzt den letzten Milchschaum aus seiner Tasse. „Doch wir können ja mal eine Session zu fünft planen. Wird bestimmt lustig, Keno zu beobachten, sobald sich Ben mir nähert.“

      „Ach! Guck mal hier!“, unterbricht ihn David und wedelt mit einem dunklen länglichen Blatt herum. „Kennst du das schon? Die Dinger liegen im ‚Kolosseum‘ aus. Alle sind ganz neugierig drauf.“

      Er reicht Mika den Flyer. In bunten Lettern vor schwarzem Hintergrund steht dort:

       Spiel‘ mit mir

       und entdecke das Tier in dir

       Das scheue …