I. Tame

Bestiarium


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doch klar. Aber deine Verbindung zu gewissen Leuten ist für uns natürlich Gold wert. Wer hat dich denn letztlich überzeugt?“

      Geziert – mit abgespreiztem Finger – nimmt Edwina einen Schluck Tee, bevor sie antwortet.

      „Tja, weißt du, mein Lieber. Mit Gerüchten ist das immer so eine Sache. Die Aussage wird von einer Person A getätigt. Aber bis die Geschichte – zum Beispiel – bei mir landet, haben es wenigstens eine Handvoll Leute weitergegeben. Wer da was hinzufügt oder ausschmückt weiß ich natürlich nicht. Die Person allerdings, von der ich die gestrige Nachricht erhielt, ist zu hundert Prozent zuverlässig. Seine Informationen sind sehr glaubwürdig, da ich ihn wirklich schon lange persönlich kenne … und zu schätzen weiß. Dieser Freund also hat mir berichtet, er wüsste aus erster Hand – von einem Haushaltsangestellten in Texas – dass Edward wieder wach sei. Das ist aber auch schon alles. Ich kann euch leider nicht sagen, wie genau es um seinen Gesundheitszustand bestellt ist. Ob er zum Beispiel völlig bei Verstand ist. Oder ob er nur noch lallt wie ein Baby. Besagter Angestellter hat keinen Zutritt zu Edwards Privaträumen, in denen dieser allein von Maddie und einer persönlichen Krankenschwester gepflegt wird.“

      Edwina schüttelt frustriert den Kopf. „Eine wirklich unbefriedigende Nachricht. Sie kann natürlich alles bedeuten. Es könnte ihm so gut gehen, dass er auf den Beinen ist. Wir wollen es nicht hoffen und es scheint mir höchst unwahrscheinlich, aber möglich ist alles. Denn wenn er tatsächlich wieder zum ‚alten Edward‘ avanciert, dann …“ Jetzt blickt sie hilflos in die Runde. Ihre Stimme wird leise. „Glaubt mir, wenn er sich erholt, dann sinnt er auf Rache. Das ist so sicher wie das Amen in der Kirche.“

      „Wieso hältst du es für höchst unwahrscheinlich?“, hakt Mika nach.

      Ein wenig windet sich die gepflegte Lady, bevor sie antwortet. „Nun ja … Mika … das Gift, mit dem ihr ihn … also … welches ihm injiziert wurde … dabei handelt es sich um ein extrem toxisches Schlangengift. Nicht ausschließlich, doch wohl hauptsächlich. Es wurden einige andere Bestandteile hinzugemischt … teuflische Wirkstoffe, an deren Namen ich mich beim besten Willen nicht mehr erinnere. Fakt ist jedoch, dass bisher noch niemand bei klarem Verstand diesen Cocktail überlebt hat.“

      „Und das sagt … wer?“ Johns Frage ist rein rhetorisch. Während er sie stellt, nickt er vorausschauend.

      „George … ich habe ihn natürlich sofort kontaktiert. Er hat mich äußerst eindringlich beruhigt. Wir sollen uns keine Sorgen machen!“

      Edwina fährt sich nachdenklich übers Kinn. Eine ungewollt männliche Geste.

      „Er meinte – und ich zitiere wörtlich: Den Hurensohn sind wir für immer los, Edwina. Dieses Gift hat noch nie versagt! Das schwöre ich dir.“

      *

      Kaum schließt sich hinter ihnen die Eingangstüre des Bungalows, geht der Streit zwischen Keno und Mika weiter. Im Auto hatten sie sich demonstrativ angeschwiegen und ignoriert. Jetzt stehen sie sich im Wohnzimmer wie geifernde Hunde gegenüber.

      Kenos Augen blitzen wütend. „Was passt unserem Prinzen denn mal wieder nicht?“, fordert er Mika heraus. Dabei verschränkt er die Arme vor seiner Brust, als müsse er sich selbst davor schützen, handgreiflich zu werden.

      „Du weißt GENAU worum es geht“, ranzt Mika aufgebracht zurück. „Du benimmst dich wie früher. Damals hast du mich auch angelogen …“

      „ANGELOGEN?“, brüllt Keno zurück. „Ich hab‘ dich nie angelogen!“

      „Verschweigen ist auch eine Lüge!“ Mika zittert vor Empörung. „Ich bin kein kleines Kind. Behandle mich endlich wie einen Erwachsenen. Überlass‘ es MIR, zu entscheiden, ob ich irgendeine Nachricht verkrafte oder nicht. Du könntest deine Fürsorge darauf konzentrieren, mich aufzufangen, wenn ich es wirklich brauche. Wie …“ Mika verschluckt hastig den Rest des Satzes.

      Keno lässt automatisch die Arme sinken. Er kennt Mika einfach zu gut. Und darum weiß er eigentlich schon, was sein aufgebrachtes Gegenüber sagen will. Vor Enttäuschung verpufft ein guter Teil seiner Wut. „Wie … wer?!“, fragt er tonlos.

      Mika starrt ertappt zu Boden. Doch einige Sekunden später fängt er sich und erwidert Kenos entsetzten Blick.

      „Du weißt genau, dass ich von John rede“, erklärt Mika ernst. „Ich kann es nicht ändern, Keno … aber John ist immer da, wenn du abhaust. Er hält mich, wenn du mich …“

      „… fallen lässt?“, beendet Keno den Satz mit einer Frage.

      Vorsichtig tritt Mika einen Schritt näher. „Sei nicht böse auf mich“, redet er in versöhnlichem Tonfall weiter. „Rede stattdessen endlich wieder mit mir. Wie lange ist es her, dass wir ein wirklich gutes Gespräch geführt haben, hm? Seit wann ziehst du dich schon zurück? Immerhin länger als dieses Gerücht kursiert. Ich hab‘ dir gesagt, dass ich dich liebe.“ Pathetisch legt er eine Hand flach auf seine Brust. „Ich liebe dich wirklich von Herzen. Aber du darfst mich nicht einfach so stehen lassen, ohne dass ich weiß, was mit dir los ist. Und mit John redest du auch nicht.“

      Das kann Keno gar nicht haben. Jemand führt ihm vor Augen, was er tut oder nicht tut. Was daran falsch ist oder richtig. Aber vor allen Dingen, dass er John angeblich falsch behandelt. Solche Vorhaltungen mag er überhaupt nicht. Sofort entflammt sein Zorn.

      „Was zwischen John und mir ist, wirst DU nie verstehen!“, faucht Keno böse zurück. „Also halte dich aus meiner Beziehung zu ihm raus, okay?“

      „Das wird er nicht!“, ertönt Johns Stimme hinter ihnen. „Er gehört jetzt zu uns und eines merk‘ dir …“

      John tritt näher und packt Keno mit festem Griff im Nacken. Er zwingt ihn, den Kopf zu drehen.

      „Ich werde unter keinen Umständen dulden, dass du hier einen Keil zwischen uns drei treibst. Und was auch immer passiert …“ Er holt tief Luft. „… es gibt dir erst recht keinen Grund dermaßen auszuflippen, dass du dich auf diesem scheiß Motorrad fast umbringst. Kapierst du eigentlich, was du uns damit antust? Wie geil es ist, dir zuzusehen, wie du fast den Abgang machst?“

      Mit einem heftigen Schubs lässt er Keno los. Der reibt sich leise fluchend den Nacken.

      „Halt die Klappe, Cat!“, übergeht John seine Reaktion. „Mika hat Angst um dich – nicht mehr und nicht weniger. Und du lässt ihn einfach stehen. Du machst dich lustig über ihn und gibst einen Scheißdreck auf seine Gefühle!“ Von meinen mal ganz abgeseh’n, fügt er in Gedanken hinzu.

      „Das mach‘ ich nicht.“ Aus dem eben noch kratzbürstigen Tonfall wird in Sekundenschnelle ein bestenfalls bockiges Murmeln. „Das wollte ich nicht“, ergänzt Keno noch leiser.

      Mit dem gleichen ungläubigen Gesichtsausdruck starren John und Mika den sich schämenden Kerl in Grund und Boden.

      „Ich … wollte das … also, Mika … ehrlich … dir wehzutun ist das Allerletzte was ich will.“ Endlich nimmt er Blickkontakt auf. Einige wirre Haarsträhnen hängen vor seinen Augen, deren Blick Mika geradezu verbrennt.

      Ich find‘ ihn immer noch unglaublich sexy, gesteht sich Mika ein. Keine Macht der Welt wird mich je daran hindern, diesen Chaoten zu lieben; auch er selbst nicht. Hab‘ ich ihm das nicht schon mal irgendwann gesagt? Unwillkürlich legt sich ein leises Lächeln auf seine Lippen. Na klar, damals beim ‚Crypt‘. Als er Keno als Zeichen seiner Liebe einen handfesten Blowjob verpasst hatte. Jetzt hallt Mikas damalige Äußerung in seinem Kopf nach. Nichts auf dieser verdammten Welt – nicht einmal du – wird mich davon abhalten dich weiter zu lieben. Du wirst es nicht schaffen, mich wegzuschicken, solange auch du noch irgendwas für mich empfindest.“

      Mika grinst. Ja, das hat alles noch Gültigkeit. Und ihm wird endlich klar: nicht Keno muss sich ändern, sondern er selbst. Er wusste doch immer, worauf er sich mit ihm einlässt. Mika nimmt sich vor, künftig anders mit seinem wilden Geliebten umzugehen.

      Sein kommentarloses breites Grinsen lässt John und Keno ebenfalls automatisch ihre Mundwinkel