I. Tame

Bestiarium


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selbstverständlich lehnt sich Mika gegen den starken Körper hinter sich.

      Kenos Blick ruht wehleidig und gleichzeitig leer auf dieser Szene. Er lässt sich seine Emotionen nicht anmerken.

      Jetzt beginnt John ebenfalls, an Mika herum zu zwicken. Wie unter kleinen Elektroschocks zuckt dieser zusammen, kichert und windet sich. John hingegen grinst Keno breit an.

      „Dieser blonde Aal hier wird uns jetzt einen Kaffee machen. Das kann er nämlich sehr gut. Währenddessen seh‘ ich mir mal die Katastrophe an, die du Verband nennst. Okay?“

      Gleichzeitig lässt er Mika los.

      „Na gut“, seufzt Mika theatralisch und verlässt eilig den Raum. Seine feuchten Augen wischt er schnell mit den Handballen trocken. Er atmet tief durch. Nicht nur die Kitzelattacken haben ihn so mitgenommen. Dass Keno seine Liebeserklärung mit keinem Wort erwidert hat, trifft Mika wie ein Schlag ins Gesicht. Warum benimmt er sich bloß so komisch? Früher hat er mich mit Liebe überschüttet … auch verbal. Und jetzt? Kein Wort. Noch nicht mal ein gemurmeltes „Ich dich auch“.

      Mika schluckt schwer. „Ich krieg’s schon noch raus, nur Geduld“, flüstert er auf dem Weg zur Küche.

      *

      Zwei Tage später ist Wochenende. Absinth – Jacksons bester Kumpel – hütet das Café Bohne. Das hat er schon oft getan, damit sich Mika sorglos auf den vor ihm liegenden Samstag freuen kann. Endlich wollen sie mal wieder was zu dritt unternehmen. Da soll ein neuer Biergarten eröffnet haben. Das Wetter ist freundlich und sonnig bei 22°. Der ideale Tag, um ein kühles Getränk im Grünen zu genießen.

      Einen Wermutstropfen hat die Sache allerdings. Als sie vorgestern ihren Kaffee geschlürft und Keno beim Verschlingen des Auflaufs zugesehen hatten, setzte dieser seinen treuesten Dackelblick auf und fragte, ob Jackson und Luca nicht auch mitkommen könnten. Er würde so gerne mit seinem Motorrad fahren. „Echt! Soo gerne!“ Und überhaupt wäre es doch sicher viel amüsanter, wenn sie mit Freunden was unternähmen. Freunde?, hatte Mika gedacht. Unsere Freunde sind sie ja nun nicht gerade. Aber da er den sanftmütigen Luca gut leiden kann und Keno momentan ohne Jackson quasi im Sterben liegt, lenkte er achselzuckend ein. John war sowieso mit allem einverstanden. Doch er konnte es sich nicht verkneifen, Keno zu ärgern.

      „Ja, super“, gab er – cool wie immer – zurück. „Luca ist echt niedlich. Wie eine freundliche hübsche Version von dir. Vielleicht könnten Jackson und ich über einen Tausch verhandeln. Was meinst du, Mika?“

      Kenos böses Funkeln in den Augen war die ganze Zeit über nicht gewichen. Johns Gelassenheit ist legendär; fast genauso wie seine Fähigkeit, Cat damit auf die Palme zu bringen.

      So sitzen sie nun zu dritt in ihrem fetten 5er BMW und warten darauf, dass Keno und Jackson endlich fertig werden. Gefühlte Ewigkeiten zurren und zippen die beiden Biker an irgendwelchen Schnallen herum. Auch ihre Maschinen checken sie immer wieder.

      John sitzt hinterm Steuer, Mika fläzt sich auf dem Beifahrersitz und Luca schmiegt sich genüsslich in die Polster der Rückbank. Man könnte ihn tatsächlich mit Keno vergleichen. Seine Haare sind lang und braun, ähnlich wie Kenos. Doch er ist schlanker als dieser. Und seine Gesichtszüge sind feiner. Außerdem hat Luca ein völlig anderes Naturell. Er ist eher von der ruhigen und zurückhaltenden Sorte.

      Endlich bekommen Mika und John auch mal Lucas und Jacksons Wohnsitz zu sehen – wenn auch nur von außen. Wirklich ein herrliches Gebäude. Eine typische Vorstadt-Villa. Alles wurde großzügig angelegt. Riesige Fenster und Flügeltüren, die über entsprechend umfangreiche Terrassen in den Garten führen. Garten? Von wegen. Das fällt schon in die Kategorie ‚Park‘. Luca ist die Bewunderung der Beiden ziemlich peinlich. Jackson hat das Haus von seiner Großmutter geerbt. Nach deren Tod beschlossen er und Luca, hier zu leben. Lucas Praxis befindet sich in den unteren Räumen. Sein Ruf als spiritueller Heiler machte in Loewenherz schnell die Runde. Mika hat schon mit einigen Menschen gesprochen, die auf Lucas Fähigkeiten Stein und Bein schwören. Dieser ist dennoch bescheiden und herzlich … solche Charakterzüge gefallen Mika ungemein.

      „Wird’s bald mal!“, mault John durch sein geöffnetes Seitenfenster. Grinsend schreitet Cat in voller Montur auf sie zu und beugt sich auf der Fahrerseite zu ihnen herunter.

      „Kann sich nur noch um Stunden handeln“, frotzelt er vergnügt. „Fahrt doch schon mal. Wir holen euch locker ein.“

      Mit einem schnalzenden Geräusch täuscht John eine Kopfnuss in Kenos Richtung vor. Er setzt sich gerade und startet den Wagen.

      „Das ist doch mal ein Wort. Evel Knievel gibt uns sogar einen Vorsprung. Wie gnädig!“ Süffisant verzieht John einen Mundwinkel. „Wir treffen uns am Biergarten!“

      Mika hört noch Kenos arrogantes „Ha Ha“, doch da rollt der schwere Wagen bereits Richtung Eingangstor.

      „Jetzt hast du was gesagt“, murmelt Mika vorwurfsvoll.

      „Dieses Großmaul“, grient John. „Bis die beiden sich frisiert und ihr Tutu anhaben, ziehen wir uns schon ein ‚Kühles Blondes‘ rein.“

      „Warum musst du ihn immer so reizen?“, mault Mika zurück.

      John tätschelt beruhigend den nervös zappelnden Oberschenkel des Kleinen.

      „Weil er nichts anderes erwartet. Wenn ich immer nur nett wäre, dann würde er denken, ich bin krank.“

      „Ach soo“, schaltet sich Luca von hinten ein. „So machst du das! Das merk‘ ich mir! Könnte auch bei Jacks funktionieren!“

      Sie lachen und flachsen weiter herum, während der BMW wie ein elegantes Flaggschiff über die Autobahn gleitet. Es herrscht kaum Verkehr, so dass sie auch auf der rechten Fahrspur ziemlich schnell vorankommen.

      Fünf Minuten später hat John gerade noch Zeit ein „Nicht erschrecken“ hervorzustoßen.

      WWWUUMM! WWWUUMM! Wie zwei zornige Hornissen schießen die Motorräder links an ihnen vorbei.

      Mika sitzt kerzengerade vor Schreck. Auch Luca beugt sich nervös nach vorne.

      „Sind die noch ganz dicht?“, haucht er geschockt.

      Innerlich schreit John sämtliche Flüche auf Englisch, die er kennt. Doch nach außen bewahrt er die Fassung und schüttelt lediglich tadelnd den Kopf.

      Hundert Meter weiter erkennt man die aufleuchtenden Bremslichter der Motorräder. Sie lassen den Wagen näher kommen. Schließlich wedeln sie spielerisch um den BMW wie, als würden sie mit dem Schwanz wackeln. Schließlich fahren beide Biker nebeneinander vor ihnen her. Lässig stemmt Keno zwischendurch die linke Hand in die Hüfte und wendet seinen Kopf immer wieder Jackson zu.

      „Unterhalten die sich etwa?“ Mikas Empörung kennt keine Grenzen. „Die machen ein Kaffeekränzchen mitten auf der Autobahn.“

      Doch schon wedeln sie wieder in Schlangenlinien um den BMW herum. Keno vor und Jackson hinter ihnen.

      Ohne dass Mika und die anderen darauf geachtet hätten, zieht in diesem Moment ein silberner Porsche Carrera links an der Fahrzeuggruppe vorbei. Keno gibt Jackson daraufhin ein kurzes Zeichen. Er hebt die rechte Hand und lässt den Zeigefinger kreisen. ‚Mir nach‘ soll das wohl bedeuten. Jackson dreht kurz auf und befindet sich im Nu neben Keno. Dann nehmen die beiden Biker die Verfolgung des schnellen Sportwagens auf.

      John atmet tief durch. Diese hirnlosen Arschlöcher! Dieser und ähnlich zornige Sätze schießen ihm durch den Kopf, während er ebenfalls Gas gibt, um die Rasenden nicht vollends aus den Augen zu verlieren.

      „Was machen die da?!“ Mika ist völlig entsetzt. Er kann nicht fassen, welches Szenario sich vor seinen Augen abspielt. Jetzt erkennt man an der Fahrweise des Porsche, dass der Fahrer verunsichert ist. Jackson bremst bereits ab und zieht auf die rechte Spur. Doch Keno bedrängt ihn sichtlich von hinten.

      Die meisten Porsche-Fahrer verfügen naturgemäß über einen relativ dünnen Geduldsfaden. Aber statt einfach Gas zu geben und die lästige Fliege hinter