I. Tame

Bestiarium


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als du mich benutzt hast wie einen Mülleimer?“

      Genervt verdreht Keno die Augen. „Meine Güte, jetzt stell‘ dich doch nicht so an. Als hätten wir nicht schon oft …“

      „Du weißt genau, was ich meine!“ Mikas Stimme ist kalt wie Eis. Und sein Blick durchbohrt Keno gnadenlos.

      Der drückt sich auf den Ellbogen ab und blickt stumm zurück. Dann steht er mühsam auf. Seine Bewegungen werden von einem Ächzen begleitet. Als er sich vor Mika aufbaut, starrt dieser ihn immer noch wütend an. Keno kann Mikas Blick nicht standhalten. Die Enttäuschung hinter seiner Wut ist zu offensichtlich. Also stemmt er die Hände in die Hüften und fixiert stattdessen Mikas Schulter. Einige Sekunden später presst er hervor:

      „Mann … Mika … Zweihundertfünfzig! Das musst du dir mal vorstellen. Fuck! Das ist wie fliegen. Das ist … einfach der Wahnsinn!“

      *

      John hält sich schützend die Hände über die Ohren, während er die Ellbogen auf der Tischplatte abstützt.

      „Geht das auch was leiser, Mann?“ Gequält hebt er den Blick. „Also, er hat dich gefickt und dabei ‚250‘ gestammelt?“ Selbst das Stirnrunzeln fällt John schwer. Wann wirkt endlich mal diese dämliche Tablette? Wenigstens geht es Ben heute genauso. Hah!

      Nervös setzt sich Mika ihm gegenüber an den Tisch.

      „Rede ich chinesisch, oder was?! Der ist mit dieser Teufelsmaschine 250 gefahren. Kapierst du das nicht?!“ Unwillkürlich schwillt Mikas Stimme erneut an.

      John seufzt. „So’n Quatsch. So schnell fährt selbst unser Irrer nicht.“

      Mika springt nervös auf und zapft sich seinen dritten Kaffee. „Hast du ‘ne Ahnung. Wenn der so ein Geschoss unterm Hintern hat, schon. Ich hab’s gegoogelt. Seine Maschine bringt über 300 Kilometer Spitzengeschwindigkeit pro Stunde. Lass dir das mal auf der Zunge zergehen.“

      Seine Hand zittert, als er nach der Tasse greift.

      „Der fährt sich tot mit dem Teil, John“ murmelt er ängstlich, während er Zucker in das Gebräu schaufelt.

      „Und du stirbst den Diabetiker-Tod, wenn du so weiter machst!“, grunzt John zurück.

      Genervt legt Mika den Kopf schief. „John“, ermahnt er sanft den verkaterten Kerl.

      John winkt ab und beschließt, noch ein Aspirin einzuwerfen. Er kramt in der Küchenschublade und zerrt einen Blister aus der Packung.

      „Sobald ich wieder klar denken kann, red‘ ich mit ihm, versprochen!“, murmelt er abwesend vor sich hin, während er sicherheitshalber zwei weitere Tabletten einwirft.

      Mika starrt in seinen Kaffee. „Danke dir“, presst er erleichtert hervor.

      *

      Kurze Zeit später öffnet sich die Haustüre und fällt anschließend mit leisem Klicken wieder ins Schloss. Ein lautes Poltern. Das war der Helm, der auf den Boden knallt. Die schwere Jacke fällt unüberhörbar hinterher. „Aufhängen!!“ zu brüllen hat sich Mika längst abgewöhnt. Keno macht sowieso was er will. Die unförmige Jacke an den Haken zu popeln oder gar an einen Bügel zu hängen … kommt gar nicht in Frage. Jetzt keucht er, weil er sich bücken und die schweren Stiefel ausziehen muss.

      Das ging aber schnell, fällt Mika noch auf, als Keno in die Küche humpelt.

      Abwehrend hebt er beide Hände. „Nicht aufregen, meine Lieben. Nix passiert. Hab‘ mir nur ein wenig beim Rennen gegen Jacks den Knöchel aufgeschrammt. Wir waren in der Kiesgrube. Und nein … keine Angst … meinem Motorrad ist nichts passiert. Jacks hat mir eine alte …“

      Mika richtet sich pfeilschnell auf. „Aufgeschrammt?“, unterbricht er misstrauisch den fröhlich plappernden Heimkehrer. Er senkt den Blick. Eine zerfetzte Socke rahmt den blutigen rechten Fußknöchel wie ein perverser Bilderrahmen ein. Die rechte Ferse hinterlässt bei jedem Schritt einen unübersehbaren Abdruck auf dem Küchenboden.

      „Aufgeschrammt?!!“ Das war schon ein wenig lauter. „Du blutest wie ein Schwein!“

      Keno winkt lässig ab, setzt sich eine Wasserflasche an den Hals und trinkt mit gierigen Schlucken. Als er absetzt, rülpst er zufrieden. Sein Blick fährt amüsiert über Johns desolate Erscheinung.

      „Na? Du bist wohl auch nichts mehr gewohnt, was? Hat Ben dich gestern unter den Tisch gesoffen?“

      John verzieht höhnisch den Mund. „Was lässt dich vermuten, dass Ben noch lebt?“, gibt er arrogant zurück. Anschließend grinsen sich beide kurz an.

      Mika springt auf und knallt einmal mit der flachen Hand auf die Tischplatte. „Hallo!! Bin ich hier der Einzige, der halbwegs normal ist?“

      Keno humpelt an Mika vorbei und steuert sein Zimmer an. Er lässt seinen Geliebten einfach stehen. Wie zur Salzsäule erstarrt, reißt Mika empört Augen und Mund gleichzeitig auf. Fassungslos weist er mit flacher Hand in Kenos Richtung.

      „Ist das normal?! Der jagt mit diesem Geisteskranken durch die Kiesgrube und zieht noch nicht mal seine Stiefel an.“ Mikas Empörung steigert sich zur Hysterie. „Was hätte alles passieren können? Ein Wunder, dass sein Fuß noch dran ist!“

      Derweil ertönt ein äffendes „Mimimimimi“ aus Kenos Richtung. „Reg‘ dich ab, Bambi. Bring‘ mir lieber was zum Desinfizieren.“

      John nähert sich Mika behutsam mit erhobenen Händen.

      „Schsch, beruhig‘ dich, ja? Ich rede mit ihm!“, raunt er und erreicht damit wenigstens, dass sich Mika nur noch schwer atmend gegen die Tischplatte lehnt. Die Arme verschränkt er vor der Brust. Eine trotzige und schützende Geste in einem.

      Auch John atmet tief durch. Na, dann wollen wir mal, spricht er sich selbst in Gedanken Mut zu. Er hat wirklich keinen Bock auf eine Auseinandersetzung dieser Art. Doch seit sie zu dritt leben, kommt man eben nicht immer um solche Diskussionen herum. Schon gar nicht mit so einem sturen Esel wie Cat. John schreitet zielstrebig Richtung Badezimmer. Mit Desinfektionszeug und Verbandsmaterial bewaffnet betritt er Kenos Zimmer. Der verzieht gerade leidend das Gesicht, als er die Reste der Socke über seinen rechten Fuß schält. John schließt hinter sich die Türe.

      Vor seinem Chaoten kniend breitet er ein Handtuch unter seinem Fuß aus.

      „Musste das sein?“, knurrt John, ohne nach oben zu blicken. „Was ist los mit dir?“

      Cat lässt sich hinterrücks in sein Bettzeug sinken. Mit „Euer Weibergetue geht mir voll auf den Sack!“ hat er alles gesagt. Jetzt hebt John doch seinen Blick.

      So, so. Weibergetue, wiederholt er in Gedanken, bevor er das scharf riechende Desinfektionsmittel einfach über den blutigen Knöchel gießt. Ein durchdringender Schrei und Keno sitzt wie eine Eins auf dem Bett.

      „Du Arsch! Geht das auch was vorsichtiger?“, mault er lautstark.

      „Wer ist jetzt hier das Weib?“, erwidert John ruhig. Er drückt Keno die Flasche in die Hand und steht auf. „Glaubst du, ich mach‘ dir hier die Florence Nightingale und lass mich auch noch blöde anmachen?“, poltert er los. „Du benimmst dich wie ein völlig durchgeknallter Idiot. Bilde dir bloß nicht ein, dass Mika und ich uns das noch lange gefallen lassen.“

      „Aaah“, jammert der Held in Leder lauthals. „Was ist das? Salzsäure?“, zischt Keno zwischen zusammengepressten Zähnen hervor.

      John stemmt die Hände in die Hüften. „Irgendein Chlorreiniger!“, grinst er hämisch. „Schön drauf damit. Vor allem auf die Stellen, an denen die Haut in Fetzen hängt.“

      Kenos ganzes Gesicht verzieht sich vor Schmerz und Ekel.

      „Kannst du das nicht zu Ende bringen? Wenn ich mich jetzt noch die ganze Zeit vornüber beuge, wird mir endgültig schlecht.“

      „Oooh, echt?“ heuchelt John gespielt erstaunt zurück. „Weißt du was?“

      Mit