I. Tame

Bestiarium


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herum. Starke Arme halten ihn. John streichelt Mika beruhigend über den Rücken.

      „Was ist nur los mit ihm?“, jammert Mika vorwurfsvoll. „Er bringt sich noch um; ganz bestimmt bringt er sich mit dem Ding jetzt um.“

      „Der hat sieben Leben“, brummt John ihm ins Ohr. „So schnell beißt der nicht ins Gras.“

      Mika löst sich aus der Umarmung. „Sechs! Jetzt hat er nur noch sechs Leben!“, korrigiert er John und wischt sich die vom kotzen roten wässrigen Augen. In diesem Moment stößt Luca zu ihnen. Auch sein Gesichtsausdruck spricht Bände.

      „Fahren wir?“, fragt er mit bitterer Stimme.

      Auch er scheint keine Lust mehr auf einen relaxten Tag im Biergarten zu haben.

      *

      Fast hätte Jackson Kenos Maschine übersehen. Keine zehn Kilometer weiter steht sie vor einer typischen Spießerkneipe, wie es sie zu Tausenden auf den Dörfern gibt. Braun getönte Butzenscheiben, ein dicker Filzvorhang in der Eingangstüre und das ‚DidudummDidudumm‘ eines Spielautomaten begrüßen ihn. Seine engen Lederklamotten und die verschwitzten blauen Haare sorgen für etliche abschätzige Blicke. Vereinzeltes leises Lachen dringt an seine Ohren. Keno sitzt in der hintersten Ecke auf einer Holzbank mit ‚hübschen‘ dunkelgrün gemusterten Polstern. Finster starrt er auf die zerkratzte Tischplatte, während er sich an einem Glas Wasser festhält. Jackson seufzt erleichtert auf.

      „Da bist du ja, Mann! Wieso haust du einfach ab? War doch klar, dass die sich alle aufregen würden. Das haben wir doch schon immer gesagt. Wenn wir mal richtig Gas geben, flippen die aus. Deine Worte. Und was hab‘ ich gesagt?“

      Kenos Blick verschmilzt geradezu mit seinem Glas. „Is‘ mir egal“, antwortet er murmelnd.

      „Genau!“ Jackson lässt sich stöhnend auf den Stuhl gegenüber sinken. Er sucht den Blick des Wirtes.

      „Auch ein Wasser!“, ruft er und zeigt dabei auf Kenos Getränk.

      „Wasser oder Wodka-Tonic?“, fragt der dicke Mann gelangweilt zurück.

      Jackson dreht sich blitzschnell wieder in Kenos Richtung.

      „Du besäufst dich hier? Bist du jetzt total durchgeknallt?“

      Keine Reaktion. Wie um Jacks zu provozieren, setzt Keno das Glas vorsichtig an seine lädierten Lippen und trinkt es mit vier großen Schlucken aus. Ohne in die Richtung des Wirtes zu blicken, hält er sein leeres Glas hoch und bestellt: „Noch einen!“

      „Kommt sofort! – Und du? Was willst du denn jetzt?“

      Jackson winkt ungeduldig ab. Er beugt sich flach auf die Tischplatte, um Kenos Blick zu erhaschen.

      „Ernsthaft, Alter?“, redet er auf Keno ein. „Du willst dich jetzt besaufen? Hier??“

      „Hey“, protestiert der fettleibige Wirt als er Keno einen weiteren Drink vorsetzt. „Wenn’s dir nicht passt, kannst du ja abhauen! Aber lass meine Gäste in Ruhe! Wenn er zahlt und niemanden anpöbelt, kann er so viel trinken wie er will.“

      Wortlos greift Keno in seine Jackentasche, fummelt einen Schein hervor – einen Fünfziger – und knallt ihn auf die Tischplatte. Mit der anderen Hand schiebt er den klimpernden Schlüssel seines Bikes in Jacksons Richtung.

      „Na bitte!“, kommentiert der Gastwirt zufrieden, greift nach dem Schein und stampft wieder hinter die Theke.

      Fassungslos starrt Jackson seinen Kumpel an. „Was soll das?“, redet er weiter auf Keno ein. Trotzdem nimmt er sicherheitshalber den Schlüssel an sich. „Ich mein, okay, John hat dir eine verpasst. Aber solltest du nicht lieber nach Hause und dich …“ Er unterbricht sich als Keno endlich den Blick hebt. Er scheint mit den Gedanken ganz woanders.

      „Tu‘ mir einen Gefallen, Jacks und verpiss dich, ja?“

      „Aber …“

      „Hau‘ einfach ab!“, beendet Keno ihre Konversation. Denn mehr ist ihm nicht zu entlocken. Sein Kopf senkt sich erneut und so bleibt er in der abgetakelten Kneipe sitzen. Stumm und in sich gekehrt.

      *

      Johns Handy klingelt. Jacks ist dran. Aufgeregt erzählt er von Cats Besäufnis. Seit dieser seinen ersten Drink vernichtet hat ist einige Zeit vergangen. Jackson ist bei ihm geblieben, obwohl kein Wort mehr aus dem sich besaufenden Kumpel herauszubekommen war. Er hat sogar ein Jägerschnitzel mit Pommes bestellt, in der Hoffnung, dass sich Keno davon bedienen würde.

      Doch der war lediglich nach einer dreiviertel Stunde aufs Klo gegangen. Als er zurückkam, hat er dem Wirt an der Theke etwas zugemurmelt. Ein weiterer Schein wechselte den Besitzer. Keno stieg auf Wodka pur um. Einige Minuten später stellte der Wirt eine Flasche und einen Eiskübel auf den Tisch. Ein frisches Glas und Knabberzeug folgten.

      In diesem Moment wurde Jackson klar, dass er hier alleine nichts ausrichten würde. John musste her … oder Mika. Einer von beiden würde den immer weiter in sich zusammen sinkenden Säufer schon zur Vernunft bringen.

      Bis John endlich in der Kneipe eintrifft und vor dem halb auf der Tischplatte liegenden Keno steht, vergeht noch eine ganze Weile. Jackson ist mittlerweile weg und John lässt sich auf den nun freien Stuhl sinken. Er bestellt eine Apfelschorle. Nachdem das orangefarbene perlende Getränk serviert wird, taxiert er die Liebe seines Lebens. Leise spricht er ihn an. Und irgendwie dringt seine tiefe Stimme zu Keno durch. Er hebt den Kopf und versucht diesen gerade zu halten. John weiß, dass er viel verträgt. Den Nullpunkt hat Keno noch nicht erreicht. Gott sei Dank.

      John seufzt, bevor er weiterspricht. „Was heute passiert ist, tut mir sehr leid. Niemals hätte ich gedacht, dass du es schaffst, mich so zu provozieren, dass ich dermaßen die Kontrolle verliere. Ich hätte dich nicht schlagen dürfen … auf keinen Fall! Wenn wir soweit in unserer Beziehung sind, dass ich auf dich so reagiere, dann läuft was gewaltig schief. Du hast schon zu viel Prügel eingesteckt, bist von so vielen Menschen gehasst und geschlagen worden …“ Betreten senkt John den Kopf. „Und jetzt schlagen dich auch noch die Menschen, die dich lieben. Das darf einfach nicht passieren!“

      „Schon gut!“, fällt Keno ihm nuschelnd ins Wort. Müde winkt er ab. „Das is‘ nich‘ schlimm, okay?“ Er nimmt einen weiteren tiefen Schluck. „Gar nich‘ schlimm!“, betont er, bevor er aufstößt. „Du bis‘ der einzige Mensch, der mich hauen darf. Fast der einzige …“ Er kichert in sich hinein. „Hauen, hehehe, geiles Wort. Hauen. Du darfst mich hauen!“ Kenos ganzer Körper zuckt unter seinem spontanen Lachanfall.

      John lächelt traurig. „Warum tust du das dem Kleinen an?“, hakt er nach.

      Seine Frage lässt Kenos Gegacker wie auf Knopfdruck verstummen.

      „Aaaah“, stöhnt er stattdessen mit nasaler Stimme. „Das …“ Er schenkt sein Glas erneut voll und wirft drei Eiswürfel hinein. „… das weiß ich natürlich selber nicht. Oder … doch! Ich weiß es, aber ich …“ Seine versoffenen glasigen Augen starren voller Schmerz zu John hinüber.

      „Ich trau‘ mich nicht, es ihm zu sagen“, flüstert er geheimnisvoll. Und wieder verschwindet ein halber Drink. John lässt ihn gewähren. Aus Erfahrung weiß er, dass es zwecklos ist, Cat zu maßregeln, wenn er so drauf ist … so selbstzerstörerisch.

      „Vielleicht ist er erwachsener als du denkst“, gibt John zu bedenken. „Vielleicht sogar erwachsener als du!“

      „Bestimmt!“, antwortet sein Gegenüber im Brustton der Überzeugung. „Jaa, er ist verdammt erwachsen geworden. Weiß gar nicht, ob mir das unbedingt gefällt.“

      Seufzend lehnt sich John zurück.

      „Du wolltest mir was sagen. Dann los! Raus damit. Du hast dir doch wohl inzwischen genug Mut angesoffen. Was liegt dir so schwer auf der Seele, dass du dich fast zu Tode fährst? Was, Cat?“

      Keno presst die Lippen aufeinander, dass ein einsamer Tropfen Blut seiner lädierten Lippe vom Mundwinkel Richtung Kinn sickert und schüttelt langsam den Kopf. Wie