kommt mein Bericht.“
Sie verließen den Leichenfundort. Die Spurensicherung suchte das umliegende Gelände ab, aber der Regen hatte weitere Spuren verwischt.
Auf der Rückfahrt war Hebestreit gesprächiger. Zwar sah man ihm an, dass er über Unannehmlichkeiten sinnierte, aber er unterbrach sein Grübeln, als ihn Rohrbach nach seinen Problemen befragte.
„Ach, Herr Rohrbach, ich lebe getrennt von meiner Frau. Und diese Woche sind meine beiden Kinder bei mir.“
„Das ist doch fein.“
„Nun das sagen Sie, es gibt schon Ungereimtheiten mit ihnen. Gestern kam ich spät nach Hause. Ich öffnete die Wohnungstür, keine Kinder zu sehen. Ich rief. Keine Antwort, alles war still. Ich suchte die Zimmer ab. Im Kinderzimmer hockten beide Kinder, der jüngere Bub der Sexta und die ältere Gymnasiastin, vor ihrem Computer und schwebten gedanklich im digitalen Kosmos. Ich versuchte mit ihnen zu kommunizieren, aber beide reagierten nicht. Zwar konnte ich deren körperliche Hüllen erblicken, doch auf meine Aufforderung: ‚Kommt ihr bitte, wir wollen gemeinsam zu Abend essen. Helft ihr mir dabei? - Keine Resonanz.“
„Ja, die heutigen ‚Digital-Natives‘ sind nicht mehr vom Computer wegzukriegen.“
„Nun ja, ich ging in mein Zimmer und verständigte mich mit ihnen über das digitale Kommunikationsmittel. Bedächtig, fast wie geistesabwesend kam einer und nach einer Pause der andere Abkömmling in die Küche. Ich fragte, ob einer die Spülmaschine ausräume und Tisch decke – aber keine Mithilfe. Als ich Jonas aufforderte, Vokabeln zu wiederholen und neue zu lernen, meinte er, die Bücher seien in der Schule unter der Bank – also auch eine Methode, die Null-Bock-Mentalität auszuleben. Schweigend saßen sie am Tisch. Die Computersüchtigen schlangen einige Brocken hinunter und verschwanden kauend, mit einer Möhre in der Hand, um schnell wieder zu ihrem Medium zu gelangen.“
„Wenn ich meine Enkel auffordere, Vokabeln auch mal aufzuschreiben, bekomme ich zur Antwort, wir würden im digitalen Zeitalter leben, da brauche man nicht mit der Hand zu schreiben.“
„Ich war innerlich erbost, dass noch Essbesteck, Teller, Brocken, Brösel auf den Plätzen lagen und die Spülmaschine nicht ausgeräumt war. Die kleinen Aufträge wurden nicht erfüllt.“
„Ist diese Haltung nun Produkt der Erziehung?“
„Ich frage mich schon, ob die Dinge des Alltags für meinen Nachwuchs nicht wichtig sind. Ständig sind sie auf Verweigerungskurs. Herr Rohrbach, wie sollen selbstständige Wesen heranwachsen, wenn sie nicht lernten, ohne fremde Hilfe praktische Fertigkeiten zu erwerben, die im Leben der Menschen gebraucht werden. Wie sollen sie zu funktionierenden Mitgliedern unserer Gesellschaft werden?“
Rohrbach schwieg, er wollte nicht belehrend wirken, für ihn war es ein Erziehungsproblem.
Obwohl er nahezu vierzig Jahre Erfahrungen und Erlebnisse in der Kriminalistik vorweisen konnte und manche schlimmen Fälle an Verbrechen gesehen hatte, ließ ihn der Anblick von Folteropfern nicht unberührt.
Er war zurück in seinem Dorf. Seinen versäumten Morgenkaffee musste er umwidmen in Vier-Uhr-Kaffee. Nach dem sein Hund über die Wiesen gesaust war und die Dorfstraße entlang rannte, leinte er ihn am Fallrohr der Dachrinne der Landbäckerei Kuster an. Er hatte vorher seine Hemd gewechselt und andere Oberbekleidung angezogen. Er hatte seine wollene Trachtenjacke mit Hirschhornknöpfen übergezogen, aber nicht zugeknöpft. Es war mildes Wetter. So brauchte er keine Mütze. Seine grauen Haare trug er sehr kurz, fast als ‚Bürste‘. Er war mit schwarzen Jeans und einem hellblauen T-Shirt bekleidet. Er stieg die drei Stufen hoch und öffnete die Ladentür, die einen ‚Kling-Klong-Ton‘ von sich gab und so einen neuen Kunden ankündigte. Heidelore Kuster, die Bäckersfrau, kam in der blau umrandeten weißen Schürze, um die Ecke aus der Küche.
„Heidelore – obwohl der Tag bereits fortgeschritten ist, wünsche ich dir einen wunderschönen Resttag“, grüßte Rohrbach.
„Arno, ich grüße dich.“
„Ich nehme heute ein halbes Landbrot und zwei Knüppel-Brötchen mit. Aber zuerst trinke ich meinen täglichen Kaffee bei dir, gib noch etwas Kakao darauf und lege einen Croissant und ein süßes Streuselteilchen dazu.“
„Du siehst heute aber sehr flott aus.“
„Ja, meist kleidet mich meine Tochter ein, und sie empfiehlt mir trendige Sachen. Ich solle nicht immer die alten Sachen abtragen. Wozu ich sparen würde. Als ehemaliger Beamter könne ich mir flotte Kleidung leisten. Heute habe ich mich an meine ländlich konventionelle Tracht erinnert.“
Frau Kuster stand in ihrer weißen Schürze hinter der Verkaufstheke und bereitete den Kaffee und den süßen Imbiss vor.
Im Dorf sprachen die Einwohner einfach von 'Heidelore', wenn sie über ihren Besuch beim Bäcker berichteten, denn ihr Vorname war relativ selten und erweckte gemeinsam mit ihrer Rede- und Ausdrucksweise Assoziationen zur ehemaligen Zugehörigkeit zum niederen Landadel.
Gern pflegte sie ihre Schwatzsucht, sie beherrschte den Klatsch als eine Form der gesellschaftlichen Unterhaltung, sie gab absichtsvoll Informationen über nicht anwesende Personen weiter, ohne sie bloß zu stellen. Viele ihrer Nachrichten hatten hohen Neuigkeitswert. Von ihr konnte man schnell – quasi in Kurzform – das Neueste zum Dorfleben, zu Leiden verschiedener Einwohner, zu Ehestreitigkeiten oder Geburten, zu nächtlichen Krawallen der Russen, zu Partys am See oder zu ausgebüxten Kühen oder Pferden erfahren. Wenn in manchen Ecken des Dorfes die Wert- und Normvorstellungen verletzt wurden, konnte sie ihren Klatsch besonders würzen. Für sie war es sozialer Kitt, eine Art gemeinschaftliche Unterhaltung, wenn sie die Neuigkeiten und Enthüllungen über die Dorfgemeinschaft verbreitete.
Während die junge Frau Kuster nur selten, vielleicht vorwiegend als Vertretung im Laden gesehen wurde, ließ es sich die kleinwüchsige, etwas mollig erscheinende Seniorin Kuster nicht nehmen, täglich die frischen Waren zu verkaufen und so den Kontakt zur Dorfgemeinde zu halten. Sie färbte ihre Haare, trug sie meist halblang oder auch hochgesteckt.
Stets band sie eine weiße Schürze um, die blau eingesäumt und an den Ecken abgerundet war.
Sie schnitt das frische Steinofenbrot durch und schob mit hochgestellter, leicht gekrümmter Hand die Brotkrumen zusammen, strich sie auf die andere hohle Hand und führte sie zum Mund. Etwas abseits lagen noch Streuselbröckchen, sie vereinigte diese ebenfalls zu einem kleinen Häufchen und genoss die süße Leckerei.
Während sie Kaffee und Gebäck servierte, fragte sie Rohrbach, welche neuen Fälle er gerade bearbeite. Aber er gab darauf keine Antwort.
In den Mittagsstunden des Folgetages stand Hebestreit im Obduktionssaal des rechtsmedizinischen Institutes neben der entkleideten Leiche. Er bekam einen mündlichen Bericht über die äußere Leichenschau.
Auf dem gesamten toten Körper der männlichen stark entstellten Leiche waren grausame Foltermerkmale sichtbar. Der Gerichtsmediziner wies auf Blutergüsse, Schwellungen, Verletzungen, Verbrennungen hin. Schläge mit Schlagstöcken, Stromeinwirkung an Rücken und After schienen als Folter angewandt worden zu sein.
Er öffnete die Augenlider:
„Das Opfer hat eine Iris-Heterochromie, also verschiedene Augenfarben, Störungen in der Pigmentierung.“
„Ist das eine Krankheit?“
„Das macht nicht krank und wird nicht durch Geschehen im Körper hervorgerufen, meist angeboren, die Sehschärfe wird auch nicht beeinträchtigt.“
Hebestreit informierte telefonisch Rohrbach über die Ergebnisse der Obduktion.
Kapitel 3
Im fernen Altai.
Am Waldrand vor einem felsigen, unbewaldeten Abgrund pausierten die Jagdfreunde. Sie aßen von ihrem Proviant und sprachen über bisher ausgebliebenes Jagdglück. Durch ihr Fernglas beobachteten sie Maralhirsche in der Ferne.
Der hünenhafte, sportlich-schlanke,