dem Ofen stand eine Pfanne, in der Speck und Zwiebeln angebraten und danach Eier eingerührt wurden. Nach dem Essen saßen sie noch beisammen, sprachen über die Erlebnisse des Tages und streckten sich anschließend auf den Schlafpritschen aus.
Sascha schlief im hinteren Teil seines abseits stehenden Gefährts.
Als am folgenden Morgen die ersten Lichtstrahlen durch das kleine Fenster in die Hütte drangen, waren zwar von den Jagdfreunden keine Schlafgeräusche mehr zu hören, aber keiner wollte als erster aufstehen. Jeder wartete, dass der Nachbar das Bett verließ und Feuer in dem eisernen Ofen in der Ecke machte. Öffnen der Ofenklappe, dann der Ofentür – nicht umgekehrt. Das Wasser im Teekessel musste zum Sieden kommen – frischer Teeaufguss, ausgiebiges Frühstück. Was übrig blieb, wurde in den Rucksäcken mitgenommen. Sie überprüften die Ausrüstung, besprachen die Marschroute und komplettierten die Kleidung.
Für den Jäger gab es zwei Tageszeiten, an denen er auf jagdlichen Erfolg hoffen konnte. Morgens – wenn der Tag begann – jagte er in die ‚Sonne hinein‘ - am Abend nutzte er das letzte ‚Büchsenlicht‘, die letzten Sonnenstrahlen.
Vor der Hütte hörten sie ein Auto. Konstantin – der Jagdführer – holte sie im Geländewagen ab, um sie zu Futterstellen und aussichtsreichen Jagdgebieten zu fahren und ihnen Stellen relativ hoher Wilddichte zu zeigen.
Konstantin Mautner, Endfünfziger mit Dreitagebart und schwarzem, kurzem Oberlippenbart trug den gesamten Tag eine Karakulmütze. Sie hatte die Form eines Schiffchens und war aus dem Fell des Karakul-Schafs gefertigt. Er hatte sie schräg nach hinten aufgesetzt, so dass vorn die dunklen Haare heraus schauten. Die Jackentaschen an der abgewetzten, erdfarbenen Joppe waren ausgebeult. Sie fuhren etwa eine Stunde. Konstantin stellte den Spritfresser seitlich auf einer verbreiterten Stelle eines Waldweges ab, alle stiegen aus und nahmen ihre Ausrüstung mit.
Sie marschierten über Hügel, kraxelten über felsiges Gelände, überquerten Grasflächen mit Buschwerk und kamen in lichten Mischwald. Nun wurde der Wald dichter.
Für Dalheim begann mit dem Wald ein anderer Raum – mehr als nur ein Standort von Bäumen. Er war für ihn ein friedvoller Ort der Schönheit, Romantik und Ruhe. Schon als Kind konnte er stundenlang im Wald umherstromern.
Konstantin und Sascha führten die Jagdtouristen über Waldsteppenflächen. Sascha erläuterte die unterschiedlichen Vogelarten, die in der Luft kreisten oder auf einzeln stehenden Bäumen saßen.
Dalheim genoss den freien Raum des fernöstlichen Waldes. Der angeblich im Mann verankerte Jagdtrieb steuerte ihn. Nicht das Töten von Tieren, das er eher als unangenehm empfand, diktierten seine Handlungen beim Jagen, sondern die Emotionen beim Beobachten, Auflauern, Nachstellen, Überlisten und letztlich das ‚Besitzen‘ bestimmten sein Jagdmotiv. Der Tod des erlegten Tieres war nur das unausweichliche Resultat am Ende eines erfolgreichen Jagdtages.
In der Heimat war die Romantik der Jagd im Rückzug. Hier – in den Weiten der Gebirgslandschaft spürte er das Gefühl der Urwüchsigkeit und der Unberührtheit. Er wünschte sich die Erhaltung dieser Naturbelassenheit. Ein Gefühl der Unbeschwertheit erfasste ihn.
Sie gingen weiter auf einem Waldweg, den hohe Sibirische Lärchen einsäumten. Ein leichter Gegenwind blies aus Richtung des angesteuerten Jagdreviers. Allmählich erwachte die Natur. Über dem Wald sah man Vögel Flugbahnen ziehen. Konstantin erläuterte, an der orangen Bänderung an der Unterseite erkenne man den Sperber.
Es waren kaum Geräusche wahrzunehmen. Das Knacken der Äste unter den Jagdstiefeln der Jäger war weithin zu hören, denn in der Früh schien im Wald totale Stille zu herrschen. Um eine erfolgreiche Jagd zu haben, musste man dem Ort sehr nahe kommen, wo das Wild ruhend seine Nacht verbracht hatte. Mit Vorsicht pirschten sich die Jäger auf schmalen Pfaden durch den Wald. Mit dem Feldstecher nahmen sie die Vorgänge an den von Konstantin betreuten Futterplätzen in Augenschein. An Wildschweinen hatten sie kein Interesse. Großwild sahen sie an diesem Morgen nicht. Aber am Nachmittag erlegten sie Sibirische Steinböcke und Federwild, das sich am Balzplatz aufhielt.
Konstantin versprach, die Trophäen zu präparieren und für den Transport vorzubereiten. Sie lauerten Sibirischen Braunbären auf. Dalheim hielt Ausschau nach Tieren mit prächtigen Geweihen, er wollte imposant wirkende Trophäen mit nach Hause nehmen. Maral, Elch oder Steinbock müssten doch vor die Büchse zu kriegen sein.
Während einer Rast kamen noch andere Jagdhelfer hinzu. Sie bestaunten Dalheims englische Jagdwaffe, besonders Konstantin beäugte sie mit gierigem Blick.
Noch an diesem Tag gerieten die Jagdfreunde in die Fänge Konstantins und seiner Kumpanen.
Kapitel 4
Als Rohrbach die Anzeige über den tragischen Tod der deutschen Jäger im Altai las, dachte er sofort an die Burg-Firma im Ort und an Dalheim, den Direktor für Finanzen. Er kannte ihn und war mit dem Chef der Firma befreundet. Er war auch mit dem Chef der Tal-Firma, dem Vater, freundschaftlich verbunden. Rohrbach erinnerte sich in diesem Moment an die ein Jahr zurückliegenden Vorgänge der zwei Firmen im Ort - die Tal-Firma und die Burg-Firma - wie sie von den Einheimischen genannt wurden. Vater und Sohn Beckstein waren jeweils die Chefs.
In der Firma des Vaters, der Tal-Firma, befanden sich die Labors für Biotechnik, rote Biotechnologie, medizinische Analytik. Es wurden Biosensoren und Biochips entwickelt und produziert. Walter Beckstein, ein Mann in den Sechzigern mit Schnauzbart und etwas strähnigem, rotblonden Kopfhaar führte seine Firma nach einem strengen, despotischen Regime. Meist war er mit einem gestreiften Jackett und blauen abgetragenen Jeans gekleidet. Am Hosenbund hing ein Schlüsselbund mit verschieden großen und kleinen Schlüsseln und einem kleinen Glöckchen. Bei jedem Schritt waren Klimper- und Bimmelgeräusche zu hören. Schon von weitem sollte so der Chef angekündigt werden. Beckstein senior hielt das Geld zusammen – privat wie in der Firma. Der Kauf eine Maschine für die Produktion war stets eine langwierige Prozedur mit zahlreichen Vergleichen anderer Anbieter. Es folgten zähe Verhandlungen mit den Herstellern der Maschinen und systematisches Suchen nach Schwachstellen, um den Preis noch drücken zu können.
Er sparte auch im privaten Bereich. Es war schon eine Sensation, wenn er in einem neuen Jackett erschien. Jacken, Hosen, Strickjacken, Schuhe wurden über Jahrzehnte getragen. Diese Einstellung färbte auch auf die Belegschaft ab, so dass diese in einfacher, strapazierfähiger, ja rustikaler Kleidung zur Arbeit erschien
Auf dem Berg – in der vom Sohn geleiteten Burg-Firma – wurden Geräte für die Messtechnik und Bilderkennung gefertigt. Jan Beckstein, ein großer sportlicher Mann, Anfang Dreißig, meist mit leicht zerzausten Haaren, zeigte sich meist in salopper Haltung. Beckmann junior hatte keinen Berufsabschluss. Als Gymnasiast schrieb er verschiedene Computerprogramme, die an Großfirmen verkauft und als gut eingeschätzt wurden. So nahm er sein erstes Geld ein. Aus dem schlaksigen Jugendlichen wurde ein von seinen Ideen Getriebener. Er machte Geld, viel Geld. Er träumte von schnellen sportlichen Autos. Die Firma entwickelte sich prächtig. Die Zahl der Mitarbeiter wuchs kontinuierlich. Es standen mehrere Porschefahrzeuge in seiner Garage, ein Privatflugzeug ergänzte den Fuhrpark.
In der Burg-Firma wurden die zugehörigen Quelltexte, Zwischencodes, die Maschinensprache und Computerprogramme geschrieben.
Beides zusammen – Präparat der Tal-Firma plus Messeinrichtung der Burg-Firma – ergaben das Produkt.
Vater Beckstein rügte seinen Sohn: „Jan, deine Firma ist ein 'Krämerladen', du brauchst weltmarktfähige Produkte.“
„Papa, täusche dich mal nicht. Du orientierst dich kurzfristig, ich habe Visionen. Wir arbeiten dran, Weltmarktführer zu werden. Schon bald wirst du unseren leuchtenden Schweif am Himmel der Finanzwelt sehen.“
Ein Lächeln zog über Walter Becksteins Gesicht, es war wohl mehr ein spöttisches Lächeln, ein Belächeln. Er hielt die Träume seines Sohnes für Spinnereien.
„Junge, du setzt Instinkt über den Verstand.“
„Ich will das große Glück, … Selbstverwirklichung … Global-Player