bulligen Leibes mit dem breiten Oberkörper und strammen Muskelpaketen überdecken. Sein Auftreten strahlte Schonungslosigkeit und Machtstellung aus.
Nachdem Rohrbachs Frau vor einem Jahr verstorben war, begann sich eine Freundschaft zur Nachbarin Rohrbachs, Eleonore Bürgel, zu entwickeln. Sie wohnte erst seit kurzem in dem Haus ihrer verstorbenen Schwiegereltern. Kleine Freundschaftsdienste förderten die Verbundenheit. Rohrbach verschnitt in Abständen die Gehölze oder mähte die kleine Rasenfläche am Haus der Nachbarin. Beide freuten sich gemeinsam über ihre Vorgärten mit Buschwerk, kleinen Bäumen und Blumen an den Rändern. Allerdings bestand ein großer Unterschied in deren Gestaltung, ja es gab regelrechte Kontraste. Während Rohrbach zwar Mut zur Farbe zeigte, besaß er aber keine Begabung für ein Zusammenspiel der Farben. Ähnlich wie bei anderen Bewohner im Dorf war sein Vorgarten, in Anlehnung an die Bauerngärten, ein knallbunter Malkasten. Bei ihm bekämpften sich quasi die Farbkontraste. Bei ihm leuchteten die gelben Flecken beschwingt, warm, hell wie die Sonne. Und vom Nachbarn wuchsen weitere Gelbblüher zu ihm herüber.
Anders in Eleonore Bürgels Gartenfläche, in der Grün Grund- und teilweise Hauptton war. Die zartgebaute, feingliedrige Bürgel trug ihr angegrautes Haar meist hochgesteckt. Sie bewegte sich graziös wie ein Ballettmädchen, sie hatte glatte gepflegte Haut. Stets war sie chic, farblich stilgerecht abgestimmt gekleidet, so wie es ihrem ehemaligen Beamtenstatus entsprach. Nie sah man sie in abgetragener Kleidung. Auch tagsüber legte sie leicht Rouge auf und betonte ihre Lippen farblich. In Punkto Gartengestaltung zeigte sie ein feines Gefühl, wie sie die vielen Grüntöne miteinander kombinieren, aufeinander abstimmen und zu einem betörenden Höhepunkt entwickeln konnte. Andere Farben waren nicht tabu, Weiß-, Grau- und Silbertöne gemischt mit vielfältigen Abstufungen von Grünschattierung entwickelten sich buchstäblich zu einer Sinfonie. Für Eleonore war Grün das Sinnbild für Leben, für Hoffnung, für Magie. Sie hätte über Grün Vorträge halten können, sie spürte in Grün eine zauberische, geheimnisvolle Ausstrahlung. Sie meinte, Grün beruhige das Auge und das Gemüt. Gelb war für sie nicht elegant genug, auf sie wirkte Gelb aufdringlich, bestimmend, grell, auf ihrem Sofa durfte kein gelbes Kissen liegen.
Das Wochenende verbrachten Bürgel und Rohrbach gemeinsam. Sie kochte für ihn. Er erledigte kleine Aufträge zur Instandhaltung. Rohrbach war von Natur aus etwas zurückhaltend, ein blendender Erzähler war er nicht. Also berichtete Eleonore Bürgel bei den Zusammenkünften über ihre aktive Arbeitsphase als Richterin am Kreisgericht. Nun befand sie sich wie Rohrbach im Pensionsalter. Nach dem Tod ihres Mannes habe sie wochentags in Kassel gewohnt, ihre Tochter sei in Amerika und ihre Schwester wohne südlich im Allgäu.
Rohrbach konnte nun am Thema anknüpfen und erzählte von seiner Tochter, die in Köln wohne und in einem Unternehmen der Computerbranche arbeite. Im Abstand von ein bis zwei Wochen komme sie immer zu ihm, übernachte bei ihm, schaue kritisch in seinen Kleiderschrank, rangiere ältere Kleidungsstücke aus und gehe mit ihm auch moderne Sachen einkaufen. Sie habe einen Blick dafür, wie er sich chic und adrett kleiden solle. An seinem Haushalt habe sie nichts auszusetzen - sie bestätige, Sauberkeit, Ordnung, Wäsche habe er im Griff.
Am Montagmorgen lief Rohrbach im Tal über Grasstoppeln immer seinem Jagdhund nach, der die Richtung zum Bach einschlug. Bei solchen Alleingängen sann er oft über alte Fälle seiner Kriminalpraxis nach. Im Tal am Fuß der Burg auf dem Fahrweg neben dem Bach kam er meist an der gusseisernen Tür des ehemaligen Bergstollens der Burg vorbei, in dem im vorigen Jahrhundert im Winter Eis aus den umliegenden Bächen und Teichen für die Kühlung im Sommer eingelagert wurde. Der Blick auf diese Tür erinnerte ihn stets an seinen ersten Fall als junger Kriminalist. Jugendliche, die die Verriegelung zum Stollen erbrochen hatten, fanden darin ein Skelett von einem jungen Mann, der, wie sich herausstellte, nach dem Krieg als Fremdarbeiter bei den Bauern tätig war. In einer Auseinandersetzung mit seinem ‚Brötchengeber‘ wurde er niedergeschlagen und lebendig in den Stollen gesperrt, wo er verdurstete und verhungerte.
Rohrbach eilte seinem Hund hinterher am Bach entlang, als sein Handy summte. Hebestreit war am Apparat.
„Hallo Herr Hebestreit, hatten Sie ein erholsames Wochenende?“
„Ja, ja, alles o.k.“, versuchte Hebestreit die rhetorische Frage abzuwimmeln.
„Die Kollegen des Kriminalamtes unseres benachbarten Bundeslandes informierten mich, dass sie einen stark misshandelten Toten gefunden hätten.“
„Wo?“
„In einem abgestürzten Auto in einem Tal. Wir können zur Vorstellung des Berichtes zur Obduktion kommen. Möchten Sie mitkommen?“
„Ja, sehr gern.“
„Gut. In einer Viertelstunde bin ich bei Ihnen.“
Rohrbach stürmte nach Hause. Gerade als er schwitzend ankam, hielt auch schon das Auto Hebestreits.
Er stieg ein, seinen Hund platzierte er zwischen seinen Beinen auf der Gummimatte. Nach wenigen Minuten meinte Hebestreit:
„Können Sie mal ein wenig das Fester öffnen. Es riecht etwas streng. Haben Sie Knoblauch gegessen? Der Geruch kommt aus allen Poren.“
„Es lässt sich wohl nicht verbergen. In der Regel bin ich allein in meinem Haus. Knoblauch soll ja so gesund sein.“
„Ich mag das Zeugs nicht.“
Nach einiger Zeit des Schweigens fragte Rohrbach, ob der Tote ähnliche Körperverletzungen wie der kürzlich Gefundene habe. Sie werden es gleich feststellen, erhielt er zur Antwort.
Kurze Zeit später standen sie im Sektionssaal. Der Saal machte einen düsteren Eindruck. Die hellbraunen Fliesen reflektierten sofort das Erscheinungsbild vergangener Jahrhunderte. Formalindämpfe verstärkten die Assoziationen zum toten Gewebe. Die hiesigen und die geladenen Fachleute versammelten sich im Halbkreis um den abgedeckten Toten. Der Gerichtsmediziner schlug das Tuch zurück. Auf den Gesichtern mancher Anwesenden widerspiegelte sich das Entsetzen beim Anblick des zugerichteten Toten, der anscheinend vor dem Tod grauenvoll gequält worden war. Er hatte asiatisches Aussehen und war nicht sehr groß. Der Forensiker erläuterte, die zahlreichen, massiven Verletzungen seien nicht durch den Absturz des Autos verursacht worden. Das Opfer sei wohl vorher enorm gefoltert und dann in ein Schrottauto gesetzt worden, das dann zum Absturz gebracht wurde.
Der Gerichtsmediziner zeigte auf abgeschnittene Finger, verbrannte Fingerkuppen, ein Dutzend von Hämatomen, auf Quetschungen der Brustwarzen mit einer Zange, auf Brandzeichen. Der Mediziner drehte den Geschundenen um, so dass die massenweise auf dem Rücken zugefügten, ausgefransten Wunden sichtbar wurden. Fleischstücke waren herausgerissen. Er erklärte:
„Es wurde die im Spätmittelalter angewandte Foltermethode des gespickten Hasens praktiziert. Hierbei wird das Opfer mit einer Stachelrolle, die mit Metallspitzen besetzt ist, bearbeitet. Im Mittelalter wurde der zu Folternde mit dem Rücken auf die Walze gelegt, auf einer Streckbank fixiert, dann wurde die Walze hin und her bewegt. Bei den Hexenprozessen sollte dies der Wahrheitsfindung dienen.“
Das Folteropfer wurde wieder auf den Rücken gedreht. Beim Öffnen der Augenlider wurden zwei unterschiedlich gefärbte Augen sichtbar. Das Opfer habe eine Iris-Heterochromie erläuterte der Gerichtsmediziner und er habe noch einen Befund der toxikologischen Untersuchung des Blutes. Er zeigte auf das Chromatogramm eines physikalisch-chemischen Trennverfahrens, bei dem ein Peak auf Terpentinöl hinwies. Es wurde direkt in die Blutbahn injiziert. Früher haben Nachrichtendienste dies als Verhörmethode angewandt, die Leute bekämen Fieber und Wahnvorstellungen und würden dabei Informationen freigeben.
Nach Abschluss der Berichterstattung zur Obduktion trafen sich die Kriminalisten im Büro des Kommissariats. Die Spurensicherung gab noch ihren Report ab.
Kriminaltechniker Dirk Becker erörterte salbungsvoll: „Wir wissen, kein Täter kann einen Tatort verlassen, ohne Spuren zu hinterlassen. Und physikalische Beweismittel können nicht verschwinden. Das Autowrack war außen abgewischt worden, doch am rostigen Rand der Tür konnten wir Reste von Fingerabdrücken sicherstellen, aber eben nur Reste. Die groben Merkmale – die Schleifen und Bögen – konnten wir erfassen. Die feinen Erkennungsmerkmale – die Minutien – konnten nicht einwandfrei vom Scanner