Richard R. Bernhard

Herrschaft der Hyänen


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Leisetreterei kann man nicht die Höhen ersteigen. Freilich brauchen wir Produkte … aber etwas Großmaul … etwas Angeben, selbstbewusstes Auftreten, ein wenig Prahlen und Aufschneiden, eben Public Relations, gehören auch dazu, um die wahre Größe zu erreichen. Das Mittelmaß schafft es selten zur Größe, Mittelmaß ist grauenhaft langweilig.“

      „Man muss seine Grenzen kennen.“

      „Ein Unternehmer muss einen Traum und einen starken Willen haben, sein eigenes Imperium zu schaffen.“

      Jan Beckstein war nicht zu bremsen, mit Begeisterung, verstärkt mit starker Gestik, malte er seine Zukunftsvisionen aus. Walter Beckstein unterbrach ihn.

      „Junge, du bist ja ein Größenwahnsinniger.“

      „Papa, mit Demut, mit Gut-Freund hat es bisher selten einer zur ersten Liga in der Welt geschafft. Ich – Kleinprogrammierer – habe gigantische Gedanken, ich weiß, was ich will. Ja, größenwahnsinnige Künstler stürmen die Bühne in der Hoffnung, die Größten in der Welt zu werden – warum nicht auch ein Unternehmer in der Wirtschaft? Ich nehme den Kampf auf. Ich habe Lust zur Macht. ... Der kleine schmächtige David, dieser Winzling in der Bibelgeschichte hat auch den großen Goliath besiegt – militärische Stärke allein waren wohl nicht ausreichend.“

      „Aber Junge, du hast doch ein gutes Einkommen mit deiner gediegenen kleinen Firma. Du brauchst kein Risiko einzugehen.“

      „Ich will nicht nur Layouts für Leiterplatten entwerfen oder Platinen fertigen, ich trachte nach Großartigem. Und jetzt wirst du sicher fragen, woher nimmst du das Geld für die Umsetzung der Visionen, der vollmundigen Pläne? Ich sage es dir – den Weg zur Macht kann nur Geborgtes ebnen. Ein Visionär muss Dinge tun, die andere vielleicht verwerfen. Ich sage mir, wer sich hinten anstellt, zeigt nur, dass er nichts wert ist. Der Börsengang ist schon angekurbelt. Meine Leute arbeiten bereits am Businessplan.“

      Seit mehreren Wochen ging es auf der Vogelfelsburg sehr geschäftig zu. Die Mannschaft wurde aufgebläht. Ein großer Stab von Mitarbeitern verfasste Dokumente für die Prüfung der Börsenreife. Freie Mitarbeiter wurden hierfür beschäftigt.

      Ein externer IPO-Berater wurde verpflichtet, das Unternehmen zu prüfen. Er wurde für eine erste Beratung eingeladen. Der Raum war gefüllt mit den Mitarbeitern der Firma. Der IPO-Berater äußerte sich: „Ich werde meist nur mit der Abkürzung vorgestellt. Manche werden fragen, was heißt IPO – ja englisch … Initial Public Offering – also das erstmalige Angebot der Aktie eines Unternehmens – vielleicht einfach Börsengang.“

      Er fuhr fort: „Börse – das Wort kommt aus dem Niederländischen und heißt einfach 'Geldbeutel'. Der Mann auf der Straße fragt vielleicht: 'Was spielt sich an der Börse ab?' Dazu brachte die Rundfunkanstalt ARD neulich eine Anekdote unter 'Die besten Lehmann Sprüche': Wird ein Bauer gefragt, was Börse ist, sagt er: 'Ich hatte zwei Hühner und habe einen Hahn dazu genommen. So wurden es immer mehr Hühner und Eier, und ich war ein reicher Mann! Dann kam eine Flut, alle sind ersoffen. Ach – hätte ich nur Enten gehabt! Siehst du, das ist Börse.'“

      Langsam und sehr betont sprechend, erläuterte der IPO-Berater was im Börsenreifetest enthalten sein soll. Reizworte wie Darstellung des Unternehmens … unternehmerische Vorhaben … Strategie … Ziele ... Businessplan … Produkt- und Wettbewerbsanalyse … Stärken-Schwächen-Analyse … technologische Situation … Finanzanalyse ... und weitere Leitworte wirbelten in den Raum.

      „Sie werden entsprechend den gegebenen Schwerpunkten eine umfassende Dokumentation erarbeiten, die von Wirtschaftsprüfern detailliert der Kontrolle unterzogen wird“, sagte der gut bezahlte Berater zu den Anwesenden.

      Er schmetterte noch weitere nebulöse Begriffe den braven Zuhörern entgegen:

      „Nach Abschluss der Konditionsverhandlungen wird eine Bank als Konsortialführer beauftragt, die die Wertpapiergeschäfte abwickelt. Eine Agentur sorgt anschließend für die Finanzkommunikation, sie stellt eine Pressemappe zusammen und schreibt eine Equity Story, in der die Erfolgsgeschichte Ihres Unternehmens von der Vergangenheit in die Zukunft projiziert wird. Diese Vermittlungsstelle verfasst Pressemitteilungen, mit denen sie an die Öffentlichkeit tritt. Sie wird eine Presse-Road-Show organisieren und so Ihr Unternehmen im Kapitalmarkt bekannt machen. So soll dann eine positive Medienpräsenz bewirkt werden. Finanzjournalisten werden mit Darstellungen der Strategie, der Philosophie, der Visionen des Unternehmens das Interesse der Investoren wecken und so eine möglichst hohe Nachfrage nach Aktien auslösen.“

      Dann unterbrach Jan Beckstein spontan und warf ein, hier werde er tatkräftig mitarbeiten, Visionen habe er genügend. Nun müssten alle fleißig die geforderten Dokumente erarbeiten. Alle Mitarbeiter würden zu günstigen Konditionen das Wertpapier erwerben können und einen großzügigen Rabatt erhalten.

      Auf der Burg hatten die Mitarbeiter, die an den Dokumenten für den Börsengang schrieben, ihre Hausaufgaben gemacht. Die Pressemappe mit den umfangreichen Mitteilungen für die Presse-Road-Show lag vor.

      Die Pre-Marketing-Phase begann. Im Bookbuilding-Stadium wurden die Wertpapiere platziert, die Zeichnungsfrist und die Spanne für den Emissionspreis festgelegt.

      Am Vorabend des Börsenganges wurde die Belegschaft in den Rittersaal geladen. Im weiten Halbkreis waren im Raum um den Kamin, in dem Holzscheite brennend knisterten, so Tische gestellt, dass eine größere Parkettfläche noch frei blieb. Florian Dalheim, Vice President der Firma, die rechte Hand von Jan Beckstein, sein Gehilfe, sein engster Vertrauter, sein emsig schaffender, unermüdlich arbeitender Organisator, Kalkulator, Rechnungsführer und Controller sollte die Mannschaft informieren. Er trat auf das Parkett. Aber Jan Beckstein, mit einem leichten Lächeln auf seinem spitzbübischen Gesicht, riss das Wort an sich. Von der freien Parkettfläche, den Kamin im Rücken, verkündete Jan Beckstein großsprecherisch seine Träume. „Ihr könnt alle sehr froh sein, in einer Spitzenfirma zu arbeiten, weit und breit gibt es keine Konkurrenz. Ab morgen können wir endlich alle unsere Visionen, unsere Geschäftsträume, unsere Wünsche und Hoffnungen erfüllen. Gemeinsam sind wir stark. Wir werden einen fulminanten Start an der Börse hinlegen. Das Interesse an unseren Aktien ist riesengroß. Und ihr könnt alle zum Vorzugspreis Aktien erwerben.“

      Jan Beckstein schritt zu der neben dem Kamin postierten Ritterrüstung, griff sich den Helm und stülpte ihn sich über, nahm das große Schwert und gestikulierte damit. Bei heruntergeklapptem Visier verkündete er: „Jetzt werden wir in vorderster internationaler Liga mitspielen, wir werden gegen die Konkurrenz kämpfen.“ Seine Stimme war dumpf wahrnehmbar. Dann hob er das Visier: „Auf geht’s zu einem prächtigen Börsenstart.“

      An diesem Abend wurde gefeiert. Seitlich an der Fensterwand war ein üppiges Büfett mit erlesenen kulinarischen Spezialitäten aus dem renommierten Feinschmeckerlokal der Kreisstadt aufgebaut. Es gab Köstlichkeiten, die sich privat kaum einer gönnte. Alle waren in Vorfreuden-Stimmung. In der angrenzenden, im rustikalen Bauernstil eingerichteten Bar konnte sich jeder reichlich mit Bier und anderen Getränken versorgen. Es kam prächtige Stimmung auf. Alle fühlten sich als Mitglied eines Bundes Gleichgesinnter. Es wurde spät, ehe der Letzte gegangen war.

      Am Folgetag – am ersten Handelstag der Aktie – wurde Jan Beckstein vom Gezwitscher der Vögel geweckt, er hatte verschlafen. Eilig zog er sich an, band einen 'Kulturstrick' um, der farblich nicht recht zum Anzug passen wollte und fuhr nach Frankfurt a.M. zur Börse, in die Stadt, über die Luther als ‚des Reiches Gold- und Silberloch‘ des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation aufgrund des gigantischen Zahlungsverkehrs wetterte. Der damalige hohe Umfang finanzieller Transaktionen führte zur Knappheit der ‚guten‘ Münzen, die zum Einwechseln nicht ausreichten. Stattdessen wurden minderwertige Sorten in den Handel gebracht. Um diese Zeit entstand das Börsenwesen. So konnte sich im sechzehnten Jahrhundert Kaiser Karl V. die Stimmen deutscher Kurfürsten mit der in jener Zeit ungeheuren Summe von weit über einer dreiviertel Millionen Gulden – teils in bar, teils als Wechsel für seine Wahl kaufen. Das handelbare Wertpapier war eingeführt.

      Während sich Jan Beckstein sonst nur um die großen Themen zu kümmern brauchte, war er in dem Fall einer Verspätung schlecht auf die praktischen Einzelheiten