Rosmarie Bernasconi und Peter Maibach

Sieben Berge


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bestaunte den wunderbaren Sternenhimmel, genoss die Wohltat, nur noch das Rauschen des Meeres zu hören.

      Wieso musste sie genau jetzt an Jakob denken? Plötzlich verspürte sie das Bedürfnis, sich mitzuteilen. Sie eilte ins Appartement zurück, suchte eine hübsche Karte aus ihrer grossen Sammlung und schrieb ein paar Zeilen an Jakob.

      Da sie schon dabei war, schrieb sie einen langen Brief an Martina, dafür nahm sie sich mehr Zeit:

      Liebe Martina

      Die Tage vergehen wie im Flug, und gemeldet habe ich mich schon lange nicht mehr. Ich habe schon beinahe ein schlechtes Gewissen, aber nur beinahe. Zuerst bedanke ich mich herzlich für die Gäste von dir, die auf die Inselrundfahrten mitkamen, und die vielen Grüsse, die du mir übermittelt hast. Besonders herzlichen Dank für die grosse Nussschokolade, die mir ein Gast mitbrachte. War köstlich und im Nu aufgegessen.

      Es ist Herbst geworden. Die Tage werden kürzer, und die Temperaturen sind angenehm mild geworden. In den Hotels wird bereits auf Winterbetrieb umgestellt. Einen feurigen Spanier habe ich nicht gefunden, auch keinen Touristen. Stell dir vor, ich hatte kaum Zeit, mich in den Bars rumzutreiben, und leider hat mir auch keiner wirklich gut gefallen. Mal ein kleiner Flirt mit dem Handwerker, der bei mir im Appartement eine defekte Stromleitung reparieren musste, aber nichts Ernstes. Oder mit Lars, dem blonden, gut aussehenden Schweden, einem jungen Kellner, der hier in einem gut gehenden Hotel arbeitet. Er gefällt mir, ist aber viel zu jung für mich. Es ist mir nicht langweilig geworden, und trotzdem vermisse ich unser Leben in Zürich, unsere Absacker in der Carltonbar. Manchmal treffe ich mich mit den Saisonangestellten und den Einheimischen in der Carasbar, aber das ist tatsächlich nicht dasselbe wie mit dir in der Carltonbar, es ist einfach anders. Ich denke auch viel an die Berge, an Toss und Jakob und Gian. Nein, ich glaube nicht, dass ich Heimweh verspüre. Ab und zu fühle ich mich etwas einsam. In den letzten Tagen ist Helga Adhira Hell ins Appartement nebenan gezogen. Ihr Alter ist schwer einzuschätzen, um die fünfzig. Sie erzählte mir von irgendwelchen spirituellen Kursen, die sie hier auf Lanzarote geben wird. Frag mich nicht, was sie darunter versteht. Sie kommt mir etwas verrückt vor. Von Geistheilen hat sie gesprochen, von Astrologie und Tarot. Ich habe kaum etwas begriffen und auch nicht mehr zugehört, denn wenn sie mit Sprechen beginnt, redet die wie ein Wasserfall, dann schalte ich einfach ab. Kannst du dir das vorstellen?

      Sie fasziniert mich und andererseits bin ich froh, sie auf Distanz zu halten. Ich finde, sie ist nicht ehrlich.

      Aber glücklicherweise gibt es nicht nur seltsame Gestalten hier. Die Landschaft, die Krater, die Lava – es ist wirklich eine spezielle und energetisch aufgeladene Insel. Meine Kamera habe ich immer mit dabei, denn es gibt so viele Motive hier, wenn man von den touristischen Trampelpfaden abweicht. Ich könnte dauernd auf den Auslöser drücken. Wenn das Fotografieren nur nicht so teuer wäre. Jetzt wird die Arbeit etwas weniger, und so werde ich wohl vermehrt auf Fotopirsch gehen können.

      Die Bus-Chauffeure sind nett, und ich verstehe mich ausgezeichnet mit ihnen, nein, nicht was du denkst. Sie sind alle verheiratet und haben Familie. Auch César ist nicht zu haben und zudem wäre er zu alt für mich. Ich habe recht gut spanisch gelernt. Übrigens trage ich nun die Haare ganz kurz und knallrot, so sehen mich die Reisenden immer.

      Ich freue mich, von dir zu lesen, und bin gespannt, was es bei dir Neues gibt.

      Mit lieben Grüssen – Sophie

      Als sie fertig war, verpackte sie den Brief liebevoll, und morgen würde sie ihn als Erstes auf die Post bringen.

      Sophie suchte sich eine bunte Postkarte aus mit einer Badenixe. Sie dachte an Gian und stellte sich vor, wie er im Hirschen sitzen und ihre Karte stolz herumzeigen würde:

      Lieber Gian, mir geht es gut. Ich hoffe, dir geht’s auch gut. Lanzarote würde dir sehr gefallen. Hast du keine Lust, mich zu besuchen? Du hättest ein Bett zur Verfügung in meinem kleinen Appartement, und Martina könnte dir die Reise zusammenstellen. Ist das nicht eine gute Idee?

      Mit lieben Grüssen – Sophie

      Zufrieden stand sie vor ihrem Appartement und betrachtete den Sternenhimmel. Für einen kurzen Moment hatte sie die Begegnung mit Helga Adhira Hell vergessen.

      Es war Spätherbst geworden. Die Tage waren nach wie vor angenehm, und die Nächte waren kühler geworden. Im Briefkasten lagen eine Postkarte von Martina und ein Umschlag mit dem Absender Gian. Neugierig riss sie den Brief auf und las noch im Stehen:

      Hallo Mädchen

      Deine Einladung hat mich sehr gefreut. Ich habe es mir lange überlegt, ob ich sie annehmen will. Jakob hat mich überredet, und so habe ich mich dazu entschlossen, dich zu besuchen. Wird ja höchste Zeit, dass ich das Meer sehe, wenn es alle so rühmen. Da es meine erste grosse Reise ist, habe ich lange gezögert. Jakob schaut zu meinem Haus und zur Scherzlihütte. Stell dir vor, ich fuhr zu Martina nach Zürich ins Reisebüro, und sie hat mich hervorragend beraten. Martina wäre auch gerne mitgekommen, ich hätte nichts dagegen gehabt. Sie ist eine patente Frau und sehr nett. Am liebsten wäre wohl auch Jakob mit nach Lanzarote mitgekommen, aber du weisst, er hat Verpflichtungen, und so wird er nun in Toss zum Rechten schauen, sodass ich am 25. November um 11.30 am Flughafen in Arrecife ankommen werde. Ich werde drei Wochen bleiben können, denn auf Weihnachten will ich wieder zu Hause sein und die Feiertage hier in Toss verbringen. Ich hoffe, dass ich dich nicht störe, sonst schlafe ich dann am Strand. Bis bald und liebe Grüsse

      Gian

      PS: Was muss ich zum Anziehen mitnehmen?

      Sophie las die handgeschriebenen Zeilen mehrmals. Sie freute sich wie ein kleines Kind auf Gian. Gian, der noch nie aus seinem geliebten Toss weiter als bis Zürich gekommen war, der noch nie mehr als zwei Tage von zu Hause weg war, würde sie besuchen. Der Gedanke liess Sophie wie ein kleines Kind herumhüpfen. Ein Lächeln huschte über ihr Gesicht. Sie malte sich aus, was sie mit ihm in diesen drei Wochen alles anstellen würde. Sie würde ihm die Insel zeigen. Sie würden gemütlich vor dem Appartement sitzen und ein Glas Wein trinken. Sie würde ihm von ihren Erlebnissen erzählen. Vielleicht würde sie ihn mit in ihre Stammbar, die Carasbar, zu ihren Kollegen mitnehmen. Sie musste Gian unbedingt mitteilen, dass er eine warme Jacke mitnehmen sollte, denn am Abend war es oft sehr kühl.

      Sie war so in Gedanken versunken, dass sie Helga Adhira Hell gar nicht kommen hörte. «Schönen guten Mittag. Sie strahlen wie die magische Sonne. Gibt's etwas Neues, gute Nachrichten, ich spüre es?»

      «Ja, ich freue mich, weil …»

      «Es ist so ein wunderschöner Tag heute, und ich muss noch in mein Zentrum. Heute kommt Carlos Ramon zu mir in die Sprechstunde.»

      «Der Schauspieler?»

      Helga Adhira war es für einmal peinlich, dass sie den Namen eines Kunden bekannt gab.

      «Ist es der Carlos Ramon …»

      «Ach, vergessen Sie's. Es ist mir einfach rausgerutscht.»

      «Aber der Carlos …»

      «Hacken Sie doch nicht darauf herum. Ist es denn so wichtig? Kennen Sie ihn?»

      «Eigentlich würde es mich …»

      «Machen Sie sich einen gemütlichen Nachmittag am Strand, das wird Ihnen gut tun.»

      «Ja, das werde …»

      «Also Kindchen, dann muss ich mal. Meine Kunden warten.»

      «Ja, ich freue mich auf …»

      «Ich wünsche Ihnen einen schönen Nachmittag.»

      Sophie hatte keine Chance, Helga Adhira Hell ihre Freude über den bevorstehenden Besuch von Gian mitzuteilen. Nun, sie wird es wohl schon wissen, als Hellseherin, grinste Sophie vor sich hin.

      Aber dennoch, langsam aber sicher ging ihr diese Schnepfe wirklich auf den Geist. Und so was nannte sich Heilerin und Beraterin, die interessierte sich ja überhaupt nicht für andere. Sophie zog sich ärgerlich in ihr Appartement zurück. Sie verscheuchte die Gedanken an ihre ohne