Rosmarie Bernasconi und Peter Maibach

Sieben Berge


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es nicht.

      Sophie wurde immer mürrischer und unzufriedener. Die Arbeit machte ihr nach wie vor Freude, sie arbeitete auch mehr. «Ich bin beinahe schon wie Martina», schoss es ihr durch den Kopf. Aber in ihrem Leben ausserhalb des Reisebüros war es ihr einfach zu öde. Auch Martina fiel auf, dass Sophie immer durchsichtiger wurde.

      Einige Tage nach Sophies Rückkehr aus Lanzarote hatte Martina sie genug leiden gesehen: «Was ist eigentlich mit dir los?»

      Sophie zuckte zusammen. «Nichts. Wieso fragst du?»

      «Etwas stimmt nicht mit dir», hakte Martina nach.

      Sophie war den Tränen nahe. Sie wusste ja selber, dass etwas nicht stimmte. Sie wusste nicht so genau, was es war, das sie dermassen bedrückte, und jetzt hatte sie keine Lust, mit Martina darüber zu reden.

      «Ich weiss es selbst nicht, bitte, lass mich in Ruhe», meinte Sophie eine Spur zu energisch. Martina erschrak, schwieg betroffen.

      Nach einem quälenden Schweigen brach es aus Sophie heraus.

      «Mein Leben ist langweilig. Alle haben den Eindruck, dass ich ein ausgeflipptes Huhn bin. Eine, die immer einen Spruch auf den Lippen hat. Eine, die keine Probleme hat. So ein Mist. Verdammt noch mal, irgendetwas läuft schief in meinem Leben. Meine ehemaligen Schulkolleginnen sind verheiratet und haben Kinder und führen ein stinknormales Leben mit Haus, Hund, Mann und Geissen hinter dem Haus.» Sophie redete sich in Rage.

      «Dabei warst du doch in diesem Jahr bereits zweimal im Urlaub, davon können andere nur träumen. Keinen feurigen Spanier auf Lanzarote kennen gelernt?», schmunzelte Martina trotz der ernsten Situation.

      «Ach, die können mir gestohlen bleiben, die sind doch nicht für den Alltag.»

      Sophie sass mit hochrotem Kopf und zerzaustem Haar hinter dem Schreibtisch. Martina musste lachen, denn Sophie sah trotz aller Tragik einfach zu komisch aus. Schliesslich lagen sich die beiden Frauen mitten im Büro in den Armen und lachten befreiende Tränen. «Triff dich doch wieder einmal mit Jakob, der tut dir gut», meinte Martina, als sie die Sprache wiederfand.

      «Ach was, das hat doch nichts mit Jakob zu tun. Da bin ich mir sicher.»

      Aber gerade deshalb wohl dachte Sophie immer wieder an ihn.

      Es war immerhin schon über ein Jahr, seit sie sich das letzte Mal gesehen hatten. Genau, rechnete Sophie nach, damals, als sie gemeinsam zur Scherzlihütte gewandert waren. Damals hatte sie ihm von Max erzählt. Damals waren sie sich so nahe. Ja, damals.

      «Ach übrigens, Martina, ich überlege, ob ich im nächsten Frühling für ein Jahr nach Lanzarote will», lenkte sich Sophie von den Gedanken an Jakob ab.

      Martina war nicht weiter überrascht, denn sie ahnte, dass Sophie immer wieder ausbrechen und nach einer gewissen Zeit wieder zurückkehren würde. Der Job bei Maruc Travel jedenfalls war ihr sicher.

      «Du wirst hier immer einen Arbeitsplatz finden, wenn du zurückkommst, Sophie. Wann wirst du fliegen? Heute, morgen oder erst in einem Monat? Und was willst du dort machen? Millionäre angeln? Einen Liebhaber suchen? Als Sängerin auftreten?»

      «Behüte mich vor Sängerinnenkarrieren, aber einen Millionär angeln tönt doch gut. Eigentlich habe ich keine Ahnung. Ich werde mich treiben lassen, Spanisch lernen und die Insel erforschen. Es wird sich bestimmt etwas ergeben. Da habe ich keine Angst, und wenn ich wieder in einer Bar arbeiten muss. Feurige Ferien-Spanier gibt's sicher genug, hast du ja selber gesagt», meinte sie lächelnd.

      Damit war das Thema abgehakt. Martina würde sich einmal mehr nach einer Ersatzanstellung umsehen müssen, aber das hatte noch Zeit.

      «Wirst du Jakob vor deiner Abreise nach Lanzarote noch treffen?»

      «Das wäre schön, aber ich weiss nicht so recht. Sag mal ehrlich, Martina, wieso interessierst du dich dermassen dafür, ob ich Jakob treffe oder nicht? Gib zu, er gefällt dir!»

      «Nein, einfach so, ich kenne ihn ja gar nicht.» Ihre Augen bekamen einen eigenartigen Glanz, doch das sah Sophie nicht mehr. Sie war mit ihren Gedanken schon in Lanzarote und weit weg von Toss.

      «So, nun ist aber genug für heute. Feierabend! Morgen ist auch noch ein Tag. Komm, wir gönnen uns einen Feierabenddrink.» Martina nahm ihren Stapel Reiseunterlagen und schmiss ihn in ihre Schublade. Sophie tat es ihr gleich, und so verliessen sie nach einem kurzen Blick in den Spiegel und auf den aufgeräumten Tisch das Büro und spazierten Richtung Carltonbar.

      •••••

      In Sophies Gedanken spielte Toss, ihr Dorf, eine immer grössere Rolle. Seltsam, früher war es ihr zuwider, ins enge Dorfleben zurückzukehren. Aber seit sie oft im Ausland oder in der Stadt lebte, zog es sie stärker nach Toss zurück. Jakobs Eltern, die Erlers, hielten ihr das alte Zimmer in der Casa Anderegg frei, und sie konnte ein- und ausgehen, wie es ihr beliebte. Irgendwie gelang es Sophie aber nicht, Jakob im Dorf anzutreffen, entweder war er auf Geschäftsreise, oder wichtige Termine hielten ihn andernorts fest. Doch jetzt, kurz vor der Abreise und dem langen Aufenthalt in Lanzarote, wollte sie Jakob und Gian mit ihrem Besuch überraschen und Abschied von ihren Männern nehmen. Aber es war wie verhext. Sophie hatte sich ein paar Tage früher als geplant aus dem Geschäft verabschiedet und war mit Martinas Wagen nach Toss gefahren. Jakob war nicht im Dorf, stellte sie fest. Ihre Enttäuschung überraschte sie selber am meisten. Auch Gian war nirgends.

      «Die beiden sind heute ans Sechseläuten nach Zürich gereist. Gian hat ein paar Reisechecks gewonnen, und den Böögg wollten sie schon lange einmal explodieren sehen», bedauerte Mutter Erler. «Sie übernachten bei einem Studienfreund von Jakob. Es reicht nicht mehr auf das letzte Postauto, und mit dem Auto nach Zürich, lieber nicht!»

      Sophie zuckte die Schultern. Dann halt nicht.

      «Ich verspreche dir, ich werde Gian und Jakob deine Abschiedsgrüsse übergeben», tröstete sie Jakobs Mutter. «Du kannst aber bis morgen warten, dein Zimmer steht immer für dich bereit! Sie kommen mit dem Elfuhr-Postauto, bleib doch zum Nachtessen hier.»

      Doch Sophie hatte keine Lust, in Toss auszuharren, und fuhr schon bald wieder zurück. Nachdenklich betrachtete sie sich im Rückspiegel, bevor sie losfuhr. «Es muss wohl eben nicht sein», stellte sie enttäuscht fest.

      •••••

      Einmal mehr war es Sophie nicht gelungen, Jakob zu treffen. Auch Gian hätte sie gerne noch vor ihrer Abreise nach Lanzarote gesehen. Der eigenwillige Gian mit seiner Bauernschläue fehlte ihr. Oft war sie mit Gian vor der Scherzlihütte auf der Bank gesessen, sie hatten ins Tal hinuntergeschaut und über Gott und die Welt philosophiert. Er erzählte ihr jeweils die neuesten Dorfgeschichten, und so war sie stets auf dem Laufenden, was in Toss geschah. «Immer weniger bleiben im Dorf, viele gehen weg, und junge Leute kommen keine mehr nach», hatte Gian beim letzten Besuch geklagt.

      Das Leben in Toss und die Liebe zum Dorf verband die beiden, von Kind auf hatte Gian sie durch das Leben begleitet. Geheiratet hatte er nie, erinnerte sich Sophie. «Ich mag alle Frauen», pflegte er jeweils zu sagen. Er spürte, dass zwischen Sophie und Jakob mehr war, doch dies hätte sie nie zugegeben, und er sprach sie auch nicht darauf an.

      Sophies Gedanken schweiften nach Zürich. In der Reiseagentur wich sie dem Thema Jakob aus. Auf bohrende Fragen hatte sie keine Lust. Obwohl Martina neugierig war, respektierte sie Sophies Schweigen. Für Sophie war Jakob einfach ein guter Freund, auch wenn sie sich selten sahen, mehr nicht, basta!

      Das Datum der Abreise nach Lanzarote kam viel zu schnell. Wie immer waren die letzten Tage davor hektisch, Tausende Sachen mussten noch erledigt werden und wurden immer dringender. Im Büro herrschte eine gereizte Stimmung, denn für Martina und Sophie nahte ein weiterer Abschied, und beide mochten keine grossen Szenen. So erledigte Sophie ihre letzten Pendenzen, so gut es eben ging. Martina verzichtete darauf, einen Ersatz für Sophie einzustellen, sie rechnete fest damit, dass Sophie bald einmal zurückkehren würde. Bis dahin würde sie es bestimmt alleine schaffen.

      «Wir bleiben in Kontakt», äusserte Sophie aufrichtig, als sie das Büro am letzten Arbeitstag verliess.

      «Klar