Rosmarie Bernasconi und Peter Maibach

Sieben Berge


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      Dann schwieg Sophie wieder lange. Die Köstlichkeiten aus dem Lunchpaket von Mutter Erler waren in der Zwischenzeit alle verzehrt. Es blieben nur noch die leeren Verpackungen übrig. Um die Verlegenheit zu überbrücken, verstaute ich die Abfälle im Rucksack, ich würde sie zu Hause brav wieder abgeben. Ein bisschen wehmütig dachte ich zurück an die Zeit, als wir noch Kinder waren.

      «Dieses verrückte Huhn!» Ich mochte Sophie sehr. Sie war so anders, lebendig, quirlig und manchmal unbesonnen und unmöglich. Einfach nach London ausreissen, ich hätte das nie gekonnt und ich bewunderte sie dafür.

      «Weisst du, Jakob», riss mich Sophie aus meinen Gedanken und erzählte weiter:

      Zwei Tage nach meiner Ankunft in London machte ich es mir in der einfachen Unterkunft mit der Band gemütlich und freute mich auf meinen ersten Auftritt als Sängerin. Die Band war mir nicht fremd, Rolf, der Drummer, und Fritz, der Bassist, sind nette Kerle, und den Gitarristen kannte ich schon von Zürich her.Sophie lachte schrill und sah an mir vorbei.

      Es sollte alles anders kommen. Max erklärte uns: «Es gibt Schwierigkeiten mit dem Engagement. Der Veranstalter will uns nicht das bezahlen, was abgemacht wurde.»

      «Das sagst du doch immer?», wandte Rolf ein.

      «He Kinder, macht mal keinen Stress, es wird schon weiter gehen», versicherte uns Max.

      Für Max gab es nie ein Problem. Seine unbekümmerte und unbedachte Art brachten mich und die Band in diesem Moment an den Rand der Verzweiflung.

      «Ich fliege zurück nach Zürich, mir ist das alles zu viel», schrie ich ihn an.

      «Wer wird denn gleich hysterisch?», lächelte er verächtlich.

      «Und wie ging es weiter?»

      Sophie blickte mir jetzt geradeaus in die Augen und entgegnete nur: «Das ist aber eine lange Geschichte, magst du noch zuhören?»

      «Dir höre ich gerne zu. Erzähl weiter.»

      Sophie zog die Decke etwas fester um ihren Körper und lehnte sich an mich, während sie weiter berichtete.

      Rolf und Fritz solidarisierten sich mit mir, auch ihnen wurden die Lügen- und Frauengeschichten von Max zu viel. Es war nicht das erste Mal, dass er seine Kollegen in Schwierigkeiten brachte. Er erzählte ihnen jeweils von einem Superengagement, dabei spielten sie oft in dunklen, miesen Spelunken. Engagements, die wenig bis gar nichts einbrachten.

      Uns reichte es endgültig, und so warfen wir Max aus der gemeinsamen Wohnung und suchten nach neuen Möglichkeiten. In die Schweiz zurückzukehren, das gab mir mein Stolz in dieser Situation nicht zu. Was hätte Martina wohl gesagt? Rolf und Fritz waren fürsorglich, und jeder machte sich Hoffnung auf mich. Es war rührend, wie die beiden sich um mich kümmerten. Rolf mit seiner humorvollen und bodenständigen Art sprach mich mehr an als der kleine, dickliche Fritz. Die Besorgnis der beiden ehrte mich und gab mir ein gutes Gefühl. Aber mein Herz hielt Max nach wie vor gefangen; diesen Vaganten und Nichtsnutz, diesen Lümmel, diesen fiesen miesen Kerl.

      Sophie sprach sich in Rage, als sie an diese Zeit zurückdachte. Ich musste lächeln, als ich ihre sprühenden Augen und geröteten Wangen bemerkte. Das war es, was ich an ihr so liebte: ihr Temperament, ihre Lebendigkeit und ihre Ehrlichkeit.

      «Max, dieser Lügner, Hornochse, Idiot …» Sophie holte Luft und fuhr weiter.

      Einige Tage später tauchte Max vor unserer Wohnung auf. Wir waren auf dem Weg zu einem Auftritt.

      «Zu einem Auftritt? Aber Max war doch der Bandleader?» Ich sah Sophie forschend an.

      «Es ging auch ohne Max. Der Besitzer vom Irishpub war ein Freund von Rolf, der fragte uns für einen Auftritt an.»

      «Aber der Gitarrist fehlte doch?»

      «Nicht wirklich. Einen Ersatz für Max zu finden, war recht einfach. Der Pub-Besitzer stellte uns einen jungen talentierten Musiker vor, der hervorragend zu uns passte, und so war unsere Band auch ohne Max wieder komplett. Zeit zum Üben hatten wir alle, und das war gut so.»

      «So viel erlebt, davon hast du mir auf deinen Postkarten nie etwas geschrieben.»

      «Es war eine Zeit, an die ich mich nicht so gerne erinnere. Und zudem hätte ich tausend Postkarten schreiben müssen, um dir alles zu berichten», lachte Sophie. «Aber wart, ich will dir die Geschichte von Max noch fertig erzählen», sagte sie entschlossen.

       Kapitel 4

      Eines Abends, wir waren auf dem Weg zum Pub, stellte sich Max mir in den Weg und betrachtete mich mit seinem lüsternen Blick.

      Rolf registrierte dies und stellte sich vor Max und schlug ihm die Faust ins Gesicht. Ich war überrascht und sprachlos. Max blutete aus der Nase, und plötzlich lag er am Boden. Fritz kicherte vor sich hin. «Wir müssen einen Krankenwagen rufen», schrie ich. «Ach was, der steht von alleine wieder auf», meinten Fritz und Rolf gleichzeitig.

      So ganz wohl fühlte ich mich nicht. Ich begriff die Welt nicht mehr. Max war gar nicht so beliebt, wie er uns immer einreden wollte. Rolf und Fritz gingen aber auch nicht gerade zimperlich mit ihm um. Er tat mir schon fast leid.

      Einen Moment später schlug Max die Augen wieder auf und schaute mich mit einem elenden Hundeblick an. Wir drei lümmelten um ihn herum und grinsten. Er stand auf, lächelte mich schief an, und bereits war mein Körper wieder in Wallung. Nun würde das ganze Theater wieder von vorne beginnen. Wir würden uns lieben und heisse Liebesnächte verbringen. Ich würde warten und hoffen. Nein, Jakob, genau das wollte ich nicht mehr. Rolf und Fritz beschützten mich gut.

      Wir drehten ab und zogen davon, liessen Max wortlos stehen. Uns war’s einfach nur noch egal, wie es ihm ging. Max rief mir noch nach: «Sophie, ich brauche dich, bleibe bei mir. Du bist die Einzige.» Das war schon fast bühnenreif, aber ich fiel nicht auf sein Flehen rein.

      Eines Abends, nachdem wir bereits einige Male im Pub aufgetreten waren, recht erfolgreich übrigens, tauchte Max mit einem blutjungen Mädchen am Arm im Lokal auf. Nein, sie war nicht blond. Aber mit ihren langen Beinen und in verführerischen High Heels war sie ein Blickfang für viele Männer. Max und seine Neue schmusten vor meinen Augen. Wären nicht andere Leute da gewesen, hätte er sie wohl ausgezogen und auf der Stelle auf den Tisch gelegt. Max sah triumphierend zu mir auf die Bühne.

      Du glaubst nicht, Jakob, obwohl ich eigentlich froh war, ihn loszuhaben, brannten mir alle Sicherungen durch, und ich schrie ins Mikrophon: «Verschwinde, du Schwein, ich will dich nicht mehr sehen. Vögle die Schlampe nicht vor meinen Augen.» Ich schrie und schrie. Zwei Sicherheitsleute stürmten auf die kleine Bühne und begleiteten mich in die Garderobe. Entsetzlich beschämend war das. Max und seine Tusse liessen voneinander ab und sahen etwas konsterniert in die Runde. Er tat nichts zur Aufklärung bei. Rolf und Fritz stürzten sich auf Max und droschen auf ihn ein, wie damals vor der Wohnung. Die Gäste mischten sich in die Schlägerei ein, und innert kürzester Zeit stand der ganze Pub in Aufruhr. Die einen verliessen fluchtartig das Lokal, andere standen einfach da und schauten zu.

      Es schien mir wie ein böser Traum, und ich befand mich mittendrin. Es war mir so peinlich. Die Sicherheitsleute beruhigten mich, währenddessen verliess Max mit seiner Begleitung das Lokal. Der Abend war gelaufen und meine Karriere als Sängerin in diesem Augenblick zu Ende.

      Die andern Bandmitglieder redeten auf mich ein und baten mich, weiterzumachen. Ich ärgerte mich so über mein dämliches Benehmen und lehnte energisch ab. Die Grizzlyboys haben die Band bald einmal aufgelöst. Ich bin ziemlich schnell aus der gemeinsamen Wohnung ausgezogen. Das Kapitel Band war für mich endgültig zu Ende. Ich blieb dann noch drei Monate in London und nahm eine Stelle als Serviererin in einer gemütlichen Cafeteria an der Abbey Road an.

      Rolf besuchte mich ab und zu in der Cafeteria. Wo Max mit seiner Schlampe gelandet ist, weiss ich bis heute nicht, und es interessiert mich auch nicht mehr. Als ich London verliess, suchte ich wieder Kontakt zu