Dieter Landgraf

Sandras Rache


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diesem Gespräch vergehen zwei Jahre, in denen sich

      Felicitas und Jörg zu diesem Thema mehrmals unterhalten. Zu einer offenen Aussprache mit ihrer Adoptivtochter können sie sich nicht durchringen.

      Dann hat Sandra Geburtstag – es ist ihr Achtzehnter.

      Felicitas gestaltet liebevoll den Geburtstagstisch, als ihr Ehemann das Wohnzimmer betritt. Völlig unerwartet von Jörg Kuhlmann eröffnet sie ihm mit ernster Miene: „Wir sagen es ihr heute … ich kann nicht mehr länger mit der Unwahrheit leben … sie ist jetzt Erwachsen und ich hoffe, dass sie uns verstehen kann … ich meine damit, dass wir es ihr erst jetzt offenbaren.“

      „Damit meinst du, dass wir ihr mitteilen, wer ihre leibliche Mutter ist.“

      „So ist es … hole doch bitte das Medaillon mit dem Bild von Paula Pattberg aus der Schatulle … ich möchte es mit zu den Geschenken legen.“

      Sie entzündet die Kerzen auf der Geburtstagstorte und ruft laut: „Happy birthday, liebe Sandra … du kannst kommen.“

      Voller Vorfreude auf die Geschenke kommt das Geburtstagskind die Treppen heruntergelaufen. Wie ein kleines Kind läuft sie um die Geburtstagstafel und ruft mehrmals lachend: „Hurra … jetzt bin ich erwachsen … hurra … jetzt bin ich erwachsen!“ Dann pustet sie die Kerzen aus und widmet sich den Geschenken. Als erstes hält sie den knöchellangen Rock an ihre Hüften und tanzt damit durch die Wohnung.

      „Der ist wunderbar … so einen habe ich mir schon immer gewünscht … danke“, und umarmt ihre Eltern herzlich.

      Interessiert öffnet sie einen Briefumschlag und schaut verwundert Felicitas und Jörg an. Der Umschlag enthält einen Bankauszug auf ihren Namen. Jörg Kuhlmann erklärt ihr dazu: „Wir haben jeden Monat Geld für dich zurückgelegt … damit kannst du dein zukünftiges Studium finanzieren und bist in dieser Hinsicht zumindest unabhängig.“

      „Ich weiß gar nicht, was ich dazu sagen soll … das ist ja ein richtiges kleines Vermögen … ich meine, wenn ich das mit meinem Taschengeld vergleiche.“

      Felicitas sagt: „Wir wissen, dass du sehr sparsam bist, deshalb kannst du auch ganz allein darüber entscheiden, wie und für was du es verwenden möchtest.“

      Dann entdeckt Sandra das Medaillon. Vorsichtig öffnet sie das Deckelchen und ruft völlig verwundert: „Das Bild von mir kenne ich gar nicht“, und wendet sich ihrem Vater zu, „wann und wo hast du mich denn fotografiert … davon habe ich gar nichts mitbekommen.“

      Felicitas äußert sich mit etwas unsicherer Stimme: „Die Frau auf dem Bild bist nicht du … es ist Paula Pattberg und sie ist deine leibliche Mutter … wir haben

      dich als Säugling adoptiert.“

      Verdutzt schaut Sandra ihre Eltern an und begreift erst nach einer gewissen Zeit die Tragweite dieser Bemerkung. Dann nimmt sie den fragenden Blick ihrer Eltern wahr. Alle vorherigen Bedenken und das Zittern und Bangen von Felicitas waren umsonst. Sandra legt das Medaillon mit dem Bildnis ihrer leiblichen Mutter zur Seite. Sie spürt die Unsicherheit von Felicitas, umarmt sie ganz heftig und sagt: „Du bist meine wirkliche Mama und wirst es auch immer bleiben … die Frau auf dem Bild ist mir fremd … sie war es doch, die mich nicht haben wollte … für uns ändert sich überhaupt nichts … nun macht doch nicht so ernste Gesichter … schließlich habe ich Geburtstag … meinen Achtzehnten … den wollen wir doch richtig feiern … mit meinen Freundinnen und weiteren Bekannten steigt die Fete am Wochenende … heute dagegen sind wir ganz in Familie.“

      Fröhlich und gut gelaunt sitzen die drei am Abend zusammen und erzählen sich angeregt so manche lustigen Ereignisse, die es auf dem Weg zum Erwachsenwerden gegeben hat. Keiner verschwendet auch nur einen Gedanken an das heikle Thema Adoption. Felicitas ist darüber überaus glücklich. So einfach, wie Sandra mit der Situation fertig geworden ist, hat sie es sich in ihren kühnsten Träumen nicht vorgestellt. Leider waren es nur die ersten, spontanen Reaktionen von Sandra. In den nächsten Tagen und Wochen ertappt sie sich mehrere Male, wie sie das Medaillon in die Hand nimmt und das Bild von Paula Pattberg liebevoll betrachtet. In Sandra wächst immer mehr das Verlangen, die Frau auf dem Bild persönlich kennen zu lernen. Eines Morgens am Frühstückstisch überrascht sie ihre Eltern mit der Frage: „Hättet ihr etwas dagegen, wenn ich die Frau auf dem Bild im Medaillon besuche … ich würde schon gerne wissen, was sie jetzt macht und vor allem, warum sie mich damals nicht behalten wollte.“

      Es fällt ihr sichtlich schwer, sie als ihre Mutter zu bezeichnen.

      „Natürlich nicht … sie hat dich schließlich geboren … aber du weißt doch nicht, wo sie wohnt … vielleicht ist sie verheiratet und trägt einen anderen Namen … wir haben von ihr niemals wieder etwas gehört“, gibt Felicitas zu bedenken.

      „Ach, das wird schon nicht so schwer sein … ich gehe aufs Jugendamt … die helfen mir bestimmt weiter … gut wäre es, wenn du mir dein Auto geben könntest … mit dem vom Papa werdet ihr doch mal eine Tag über die Runden kommen“, sagt sie lachend und hofft auf Zustimmung.

      „Das ist wohl das kleinste Problem … natürlich bekommst du es.“

      Vergnügt und voller Zuversicht begibt sich Sandra auf die Suche nach ihrer leiblichen Mutter. Sie ist gespannt, wie diese jetzt aussehen wird und warum sie von ihr zur Adoption freigegeben wurde. Vor allem möchte sie auch erfahren, wer ihr leiblicher Vater ist. Darüber konnten ihr Felicitas und Jörg bisher überhaupt keine Auskunft geben. Auch die Eltern von Paula Pattberg interessieren Sandra. Schließlich sind es ihre Großeltern. Vielleicht wissen sie gar nicht, dass es mich gibt - überlegt sie – aber das sind alles nur Phantastereien – erst muss ich erkunden, von wem ich abstamme und alles Andere wird sich bestimmt daraus ergeben. Der erste Weg führt sie zu dem Jugendamt. Dort erfährt sie die letzte Adresse von ihrer Mutter, die diese dem Amt vor fünfzehn Jahren mitgeteilt hat und den Namen ihres leiblichen Vaters. Sie bedankt sich für die Informationen. Auf weitere Unterstützung verzichtet sie – schließlich gibt es ja noch das Internet, dort werde ich schon alles Notwendige finden – sind dabei ihre Überlegungen.

      Besuch beim leiblichen Vater

      Die Adresse ihrer Mutter ist eine Wohnung in Akazienaue. Den Namen hat sie bisher noch niemals gehört. Mit Hilfe des Routenplaners erfährt sie die Entfernung und die Lage des Ortes. Den Besuch dahin verschiebt sie auf das Wochenende – der Weg scheint ihr doch zu weit zu sein, um für den Besuch bei der ihr fremden Frau nur wenige Stunden zur Verfügung zu haben. Schließlich muss sie auch damit rechnen, dass Paula Pattberg nach der langen Zeit, die seit der letzten Angabe der Wohnadresse vergangen ist, nicht mehr dort wohnt. Vielleicht ist sie gezwungen, noch eine andere Stadt oder Gemeinde aufzusuchen, um die Frau, die sie geboren hat, kennen zu lernen. Als Erstes will sie deshalb ihrem leiblichen Vater einen Besuch abstatten. Die Adresse ist schnell ermittelt. Der Leiter des Institutes für Tierernährung, Dr. Benjamin Apenzeller, ist auf der Webseite der Universität leicht zu finden. Im Institut erfährt sie seine Wohnadresse und noch am Abend steht sie vor dem Einfamilienhaus. Mit leichtem Herzklopfen betätigt sie den Klingelknopf. An der Haustür erscheint ein gut situierter älterer Herr. Vielleicht so Ende Fünfzig, schätzt sie. Eigentlich zu alt, als dass es ihr leiblicher Vater sein könnte – Paula Pattberg war doch damals noch so jung, als sie mich geboren hat – überlegt sie kurz.

      „Ich möchte zu Dr. Apenzeller … können sie mir helfen?“

      „Der, nachdem sie fragen, steht vor ihnen … was wollen sie denn von mir … für Studenten bin ich nur am Institut zu sprechen … und sie kenne ich überhaupt nicht“, tönt es ihr in einem arroganten und abweisenden Ton entgegen.

      „Weswegen ich komme, hat nichts mit der Universität zu tun … es ist eine reine Privatangelegenheit … könnten wir das nicht lieber im Haus besprechen … es ist wichtig.“

      „Kann ich mir nicht vorstellen … aber ich möchte nicht unhöflich sein … dann kommen sie eben herein … aber ich sage es ihnen gleich vorher … viel Zeit habe ich nicht“, brummt er unwillig. Als sie sich