Christiane Weller / Michael Stuhr

Gesamtausgabe der "silent sea"-Trilogie


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Titel ein, den ich singen könnte. „Ich besitze gar keinen Badeanzug“, sage ich stattdessen. „Und wenn man dazu High Heels tragen muss, so was hab ich auch nicht.“ Betroffen schauen wir uns an.

      Schließlich meint Pauline „Macht euch mal darüber keine Gedanken, Badeanzüge kann ich euch leihen, damit bin ich bestens ausgestattet, leider. Und was die High Heels betrifft, wenn wir keine auftreiben können, peppen wir einfach mit Schmuck und Nagellack eure Füße auf und ihr geht auf Zehenspitzen. Dazu schicke luftige Schals und coole Sonnenbrillen und euer Outfit ist perfekt. Wir haben ja schließlich ein bisschen Kapital, oder?“

      Aufmunternd blickt sie in die Runde und fügt bestimmt hinzu: „Morgen früh treffen wir uns alle bei mir. Jede bringt mit, was sie hat. Auch Freizeitklamotten. Wäre doch gelacht, wenn wir nicht für jede von euch was Passendes zusammengestrickt bekommen!“

      Alle nicken, nur Felix schüttelt den Kopf, während sie sich Sand von einer Hand in die andere rieseln lässt. „Lustiges Land. Crazy!. An der Strand alle halbnackt und für Misswahl anziehen! Real funny, denkt ihr nicht so?“

      „Wie soll so jemand aus England das auch verstehen?“, ertönt es da neben uns.

      Celine hat sich mal wieder heimlich herangepirscht! Was kann man von der auch anderes erwarten?

      „Es kommt bei so einer Wahl doch nicht nur auf den Körper an, sondern auch darauf, wie man sich präsentiert! Und wie man sich sonst so gibt! Aber von so was habt ihr ja keine Ahnung. Seid nicht zu enttäuscht, wenn ihr nur die hinteren Plätze belegt“

      „Aber du machst doch auch mit, also ist der allerletzte Platz sowieso schon vergeben“, kichert Fleur, ohne sich zu Celine umzudrehen.

      Wir prusten los und Celine wirft den Kopf in den Nacken. „Wir werden ja sehen, ob ihr morgen auch noch so eine große Klappe riskiert. Ich an eurer Stelle würde mir genügend Taschentücher einpacken, wegen der Tränchen.“

      „Na dann vergiss du mal morgen deine Papiertüte nicht. Du wirst sie dringend brauchen.“

      „Wozu das denn?“

      „Um sie über den Kopf zu ziehen natürlich. Wer sieht schon gern Verlierer? Und für dich ist der Heimweg dann auch nicht so peinlich.“

      „Oh“, wirft Felix noch ein, „oben zwei Löcher in der Tüte machen, für deine Augen, weißt du. Vielleicht kommt da ein Baum und peng!“

      Celine hat genug von uns und schreitet hoch erhobenen Hauptes von dannen. Wegen der vielen Sandkuhlen und der Dunkelheit ist es aber mehr ein Davonstolpern.

      „Vergiss nicht, für den Intelligenztest zu üben, Celine Chérie!“, ruft Fleur ihr noch hinterher

      Wieder prusten wir los, bis Pauline meint: „Hört mal Mädels, ganz im Ernst: die sieht saugut aus und wenn ihr gegen die eine Chance haben wollt, solltet ihr langsam mal an euren Schönheitsschlaf denken, sonst taumelt ihr morgen da rum wie die Zombies.“ Also bereden wir nur noch das Nötigste und verabreden uns für den nächsten Morgen um Neun.

      Gemeinsam machen wir uns auf den Weg zurück zum Neptune, wo unsere Kinderzelte auf uns warten.

      Ich gehe ein Stück weit mit Felix zusammen über den nur schwach beleuchteten Campingplatz. „Wer ist der schöne Mann, nahe euch am Tisch?“, fragt sie mich plötzlich. „Er konnte nicht nehmen die Augen von dir.“

      „Was für ein Mann denn?“ Ich habe davon überhaupt nichts bemerkt.

      „Jung, schlank, hübsch, dark hair. Du hast ihn nicht gesehen?“

      „Äh, nein“, antworte ich. „Keine Ahnung, wer das gewesen sein könnte.“

      „Es ist sicher, er mag dich. Hat dich gesehen und peng, er war hin. Er konnte nicht ignore you. Ich sah es.“

      „Wie willst du dir denn morgen deine Haare machen?“, lenke ich ab. Natürlich bin ich neugierig, wer das wohl gewesen sein könnte, aber schließlich will ich morgen Miss-Teen-Beach werden, das geht jetzt vor. Also rede ich mit Felix über Frisuren und Kleidung, bis wir uns in der Mitte des Campingplatzes trennen.

      Die Nacht ist schrecklich. Ich wälze mich auf meiner Luftmatratze hin und her. Was muss ich morgen machen? Auf was habe ich mich da eingelassen? Mit den anderen zusammen schien ja alles noch ganz einfach, aber jetzt hier so ganz allein im Zelt sieht das schon anders aus. Nebenan liegt mein leise schnarchender Bruder in seiner Schlafkabine. Der ist mir im Moment auch keine große Hilfe beim Einschlafen.

      Was, wenn die anderen nun alle die passenden Schuhe finden? In meiner Größe werden auf dem ganzen Campingplatz keine aufzutreiben sein, da kann selbst Monsieur Bardane nicht helfen. Ich habe Schuhgröße 42! Und dann auch noch singen! Was soll ich denn bloß singen? Mir fällt kein passender Titel ein, bei dem ich irgendwie überzeugen könnte. Obwohl ich zu Hause im Schulchor mitsinge, habe ich überhaupt kein Vertrauen in meine Stimme als Solosängerin. Was für einen Titel soll ich nehmen, mir fällt absolut nichts ein und in einem dieser Halbträume, wie sie manchmal kurz vor dem Einschlafen kommen, sehe ich mich unbeholfen barfuß über den Catwalk stolpern und ins Publikum kotzen.

      Schweißgebadet fahre ich hoch. - Nein Lana, das war nur ein Traum, versuche ich mich zu beruhigen.

      Wieder wälze ich mich hin und her und das Geratter in meinem Kopf hört nicht auf: Ich bei einer Miss-Teen-Beach-Wahl! Einen Moment lang will die alte Panik wieder nach mir greifen:

      Es gab da zwei drei Jahre, in denen die Ferien ein echtes Problem für mich waren. Besonders unsere alljährlichen Familienurlaube hier am Strand von Port Grimaud waren der reinste Horror. Es ist nun mal nicht einfach, wenn man sich als hässliches Entlein im Pfauengehege fühlt.

      Hier sind nämlich die hübschesten Mädchen bloß mit einem Tanga-Slip bekleidet am Strand und im Wasser unterwegs, und wenn man sie so ansieht, bleiben eigentlich kaum noch Fragen offen. Genau da liegt – oder besser lag – mein Problem. Ich dachte nämlich eine zeitlang, dass ich da irgendwie mithalten müsse und dazu fühlte ich mich absolut nicht in der Lage.

      Ich war immer schon ziemlich groß für mein Alter und sehr schlank, wenn man es nett ausdrücken will. Dürr hätte es eher getroffen und da nützen einem auch die längsten Beine nichts, ganz im Gegenteil. Es tut der Seele nun mal nicht gut, wenn man vom eigenen Bruder - der kleinen Ratte – jahrelang Storch gerufen wird. Dazu kommen dann noch meine hellblonden Haare, die ich brünett viel hübscher finden würde und meine helle Haut, die absolut keine Sonnenbräune annehmen will.

      Und dann auch noch das Oberteil-Problem: Hier an der Côte d’ Azur ist es eher üblich, keines zu tragen. Was mich anging, hätte ich damit kein Problem haben sollen, denn bis zu meinem fünfzehnten Lebensjahr hatte ich im wahrsten Sinne des Wortes nichts zu verbergen. Während andere Mädchen schon aussahen wie richtige Frauen und mit den Jungs am Strand rumalberten, hockte ich mit Oberteil oder T-Shirt abseits und hoffte, dass man wenigstens vermutete, ich könnte so etwas wie einen Busen haben. Noch schrecklicher wurde es aber, als sich dann endlich wirklich was tat. Plötzlich hatte ich das Gefühl, alle würden nur in meine Richtung starren.

      Am liebsten hätte ich mich vor der ganzen Welt versteckt. Ich war mir vorgekommen wie das Beutetier bei einer Treibjagd. Ich war einfach noch nicht bereit dafür gewesen, die Aufmerksamkeit zu genießen, die man einer jungen Frau entgegenbringt, und jeder Kontakt mit einem Jungen hatte mich zur knallroten, stotternden Idiotin werden lassen.

      Na, ja. Immerhin nenne ich nun einen halbwegs respektablen Busen mein eigen und mittlerweile habe ich begriffen, dass das nichts Besonderes ist und dass alle Frauen so was haben – sogar größer – wie mein charmanter Bruder mir mal meinte mitteilen zu müssen. Danke dafür! Da war ich dann gleich wieder zwei Tage lang mit Oberteil unterwegs gewesen, was niemand verstand, außer Didier - der kleinen Ratte - und mir.

      Ganze zwei Nächte habe ich deswegen geheult, aber dann, am zweiten Morgen, kam eine andere Lana aus dem Kinderzelt. Es war nicht mehr die, die am Abend verzagt und voller Selbstzweifel auf ihre Luftmatratze gekrochen war, sondern eine, die bereit war, es mit der Welt aufzunehmen. Niemand – ich wiederhole: