Christiane Weller / Michael Stuhr

Gesamtausgabe der "silent sea"-Trilogie


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damals hatte ich aus der Wut heraus eine ganze Menge Schub entwickelt, von dem dann wieder Einiges verloren ging, aber mittlerweile habe ich wirklich ein ganz gutes Verhältnis zu meinem Körper entwickeln können. Vor allem hängt das damit zusammen, dass ich im Besitz eines Gutachtens bin, das ich von Hervé, einem Jungen von meiner Schule bekommen habe. Wir waren eine zeitlang zusammen und er hatte es mich spüren lassen, dass er mich wirklich anziehend findet.

      Etwas zu anziehend dann zuletzt. Schon bald wollte er mehr, als ich im Moment zu geben bereit war, und ich fürchte, er ist immer noch ein wenig beleidigt. Trotzdem war es eine schöne Zeit, und was immer auch passiert: zusammen mit Hervé habe ich viel über meinen Körper erfahren.

      Das Oberteil-Problem hat für mich also keine Bedeutung mehr, und ich kleide mich im Urlaub so, wie mir im Moment zumute ist, und wie es meiner Meinung nach gerade passt. Und jetzt soll ich mich aufbrezeln, um möglichst vielen Leuten zu gefallen. Felix hat schon Recht: das ist ein ziemlich komischer Gedanke. Am Strand laufe ich den ganzen Tag lang rum, wie die Freundin von Tarzan, und jetzt kommen die Leute, um mich im Badeanzug zu sehen. Irre!

      Trotzdem, ich werde es versuchen! Was habe ich schließlich zu verlieren, außer meinem Ruf, meinem Stolz und meiner Würde? Mit diesem tröstlichen Gedanken schlafe ich endlich ein.

       06 SILBERPERLEN

      Die frühe Morgensonne brach durch die gläsern scheinende Wasseroberfläche und warf durch die Schatten der kleinen Wellen tanzendes Licht auf den sandigen hellen Meeresboden. Es war die schönste Stunde des Tages. Nichts störte die Stille des Meeres. Nur das gedämpfte Tuckern eines eilig in den heimatlichen Hafen zurückkehrenden, kleinen Fischerboots drang bis in die Tiefe. Er liebte diese Momente, bevor der Tag wirklich begann.

      Sacht schwebte er in dem noch morgendlich kühlen Wasser dahin, als er aus den Augenwinkeln eine Bewegung am Ufer wahrnahm. Schnell tauchte er tiefer hinab, schob sich hinter die Felsen und sah - sie. Die Reflexe auf der leicht bewegten Wasseroberfläche konnten seinen geübten Blick nicht täuschen. Es war das Mädchen aus dem Restaurant.

      Vorsichtig einen Fuß vor den anderen setzend, tastete sie sich bis zur Taille ins Wasser. Ihre Zehen spielten leicht im Sand. Silbrige Sandkörner stiegen dabei auf und lockten einen Schwarm kleiner Fische an. Während ihre schlanken, feingliedrigen Hände die Wasseroberfläche in Tausende von Lichtreflexionen zerteilten, schritt sie langsam voran. Feine Sandfontänen stiebten vor ihren Füßen auf und glitzerten in der sachten Morgensonne, während sie langsam wieder zu Boden sanken. Stille umgab sie, während sich an ihrem Körper Millionen von kleinen schimmernden Luftbläschen bildeten die an ihr hafteten wie ein schillernder Anzug, der das Licht der Sonne in allen Farben brach.

      Sie wippte leicht mit den Zehen. Das geflochtene, dünne Lederbändchen an ihrer Fessel rutschte bei dieser Bewegung unter den Fußknöchel. Die Muskeln ihrer Schenkel spannen sich. Plötzlich sprang sie hoch und glitt mit dem Kopf zuerst in einer Kaskade von unzähligen, funkelnden Bläschen unter die Wasseroberfläche. Mit kräftigen Zügen schwamm sie ein gutes Stück kurz unterhalb der Wasseroberfläche, während ein Schwarm von Luftperlen von ihrem schlanken Körper abglitt. Ihre offenen, blonden Haare umgaben schimmernd ihren Kopf. Sie glitten bei jedem Schwimmstoß zurück, um sich dann wieder sonnenglitzernd aufzufächern.

      Geschmeidig drehte sie sich auf den Rücken und ließ sich von den Wellen sacht wiegen. Vom Grund aus schien es, als sei sie in Silber getaucht, so viele, hellschimmernde Luftperlen umgaben leuchtend die dunkle Silhouette ihres Körpers.

      Er konnte den Blick nicht von ihr wenden. Er spürte in sich das Verlangen, sie jetzt zu umfassen, sie zu umschlingen, ihren weichen, zarten und doch so kräftigen Körper zu spüren. Ihm lief ein Schauer über den Rücken. Er wusste, dass das nicht gehen konnte. Dass er vielleicht niemals einen Menschen den er liebte, so innig würde berühren können.

       07 OLDIES UND NAGELLACK

      Total verschwitzt und wie gerädert fahre ich um halb acht aus einem unruhigen Schlaf. Langsam, ganz langsam kommt die Erinnerung an den gestrigen Abend zurück und an das, was heute passieren soll: Ich soll mich vor aller Welt blamieren, steht heute auf dem Programm.

      „Quatsch!“ fluche ich laut vor mich hin und schäle mich ächzend aus meinem Bettzeug, das sich bei meinem nächtlichen Hin- und Hergewälze mindestens fünf Mal um meinen Körper gewickelt hat.

      Ich schlüpfe in meine Bikinihose, schnappe mir mein Badehandtuch von unserer Wäscheleine und schlurfe nicht gerade energiegeladen zum Strand. Das Einzige, was mir jetzt helfen kann, wieder fit zu werden, ist ein Bad im kühlen, morgendlich stillen Meer.

      Der Strand ist völlig leer. Mein Handtuch lasse ich neben den Badelatschen achtlos in den Sand gleiten und gehe langsam ins Wasser. Es ist so still, die Wasseroberfläche bewegt sich zu dieser frühen Morgenstunde kaum. Nur ein sachtes Plätschern der Wellen am Strand, das man auch hören kann, wenn man sich ganz still auf dem Rücken treiben lässt. Deswegen liebe ich den Morgen so sehr. Der ganze Strand gehört zu dieser frühen Stunde mir allein.

      Am Horizont sehe ich ein kleines Boot, das eilig auf Port Grimaud zu tuckert. Sonst ist es ganz still. Langsam gehe ich weiter und zerteile dabei die Wasseroberfläche mit den Händen. Der Sand unter meinen Füßen ist weich und geschmeidig. Spielerisch bewege ich die Zehen, um die kleinen neugierigen Fische anzulocken, die sich begierig auf den aufgewirbelten Sand stürzen und mir vor lauter Eifer auch manchmal ein bisschen in die Zehen kneifen.

      Ich lasse die kleinen Räuber hinter mir, wobei ich tief einatmen muss, weil mir die Kühle um meine Brust einen Schauder über den Körper treibt. Ich stoße mich ab, tauche mit dem Kopf zuerst ein und schwimme ein gutes Stück unter der Wasseroberfläche. Schließlich drehe ich mich auf den Rücken und lasse mich treiben. Arme und Beine ausgebreitet, den Blick in den blauen Himmel gerichtet. Meine Ohren sind unter Wasser und ich höre das gedämpfte Tuckern des kleinen Fischerboots.

      Alles ist so friedlich. Ich könnte stundenlang so treiben. Es hat schon etwas Meditatives, dieses Schweben in dem mich leicht wiegenden Wasser. Aber trotzdem fühle ich mich nicht so unbefangen wie sonst, denn ich habe das merkwürdige Gefühl, dass mich jemand beobachtet. Es ist nicht unangenehm, eher ungewöhnlich, und es ist mir fast so, als hätte ich heute Nacht etwas Ähnliches geträumt. Ich versuche mich zu erinnern, aber die Träume sind fort und verblasst.

      Mit ein paar schnellen Zügen schwimme ich an das Ufer zurück und schaue mich dabei um. Niemand ist zu sehen, ich bin hier ganz allein.

      Lana, nimm dich zusammen, du bist noch nicht bei der Miss-Wahl, keiner beobachtet dich und du solltest das alles nicht zu Ernst nehmen, schimpfe ich mich, während ich meine Sachen zusammensuche und barfuß zur Dusche laufe, um mir das Salzwasser vom Körper zu spülen.

      Alle sitzen schon vor unserem Wohnwagen an dem wackeligen kleinen Campingtisch und frühstücken. Ich lege das Badehandtuch über meinen blau-weiß gestreiften Klappsessel und lasse mich lustlos hineinfallen.

      Dank des guten Vorrats, den Maman in unseren Wohnwagen gestopft hat, muss ich heute noch nicht mit der Blauen Elise in den Ort fahren. Das ist auch gut so, denn ich kann mich vor Aufregung kaum auf den Beinen halten, geschweige denn einen Roller sicher durch das tägliche Verkehrschaos auf der Küstenstraße steuern.

      „Nun iss doch was Chérie“, drängt meine Mutter mich. „Du fällst dort sonst noch um, das willst du doch nicht, oder?“

      Als ich sehe, wie Didier sein rattiges Grinsen aufsetzt, siegt mein Verstand. ‚Du wirst mich nicht zusammenklappen sehen, mein Lieber!’ Aufseufzend nehme ich mir ein Croissant, bestreiche es mit Konfitüre und quäle es mir lustlos in meinen protestierenden Magen. Geht doch!

      Nach dem Frühstück treffen wir uns wie verabredet bei Pauline. Fleur sieht auch nicht besser aus, als ich mich fühle. Nur Felix tänzelt wieder fröhlich um uns herum. „Ihr werdet schon sehen, alles wird great!“, behauptet sie.

      „Ja klar, und peng“ meint Fleur müde.

      „Habt