Christiane Weller / Michael Stuhr

Gesamtausgabe der "silent sea"-Trilogie


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weit und der Kopf eines jungen Manns erschien. „Ich wollte nur fragen ...“

      „Verpiss dich!“ Adrianos Kopf ruckte herum.

      „’tschuldigung.“ Der Kopf verschwand und die Tür schloss sich wieder.

      „War das mein Geschenk?“, wollte Dolores wissen. „Der sieht ja richtig süß aus. Ist der Körper genauso hübsch wie der Kopf?“

      „Nimm ihn dir!“, lachte Adriano. „Nimm dir, wen du willst und nasch ein wenig dran rum. Du wirst mit allen zufrieden sein.“

      „Nur naschen?“ Dolores tat enttäuscht. „Wieder nur Häppchen? Ich müsste langsam mal wieder richtig volltanken.“

      „Hör auf zu quengeln“, grinste Adriano, nahm eine CD aus dem Regal und betrachtete das Cover. „Bleib du bei deinen Häppchen, die halten dich genauso frisch.“

      „Machen aber nicht satt“, nörgelte Dolores weiter. „Schau mal hier: Schon wieder eine neue Falte!“, dabei zeigte sie mit dem Finger auf ihren makellos glatten Augenwinkel. Sie sah bestenfalls aus wie zwanzig, eher jünger.

      „Oh je, du wirst alt“, stellte Adriano fest, ohne überhaupt hinzusehen. Gelangweilt schob er die CD wieder zurück an ihren Platz.

      „Ja!“, bestätigte Dolores mit jämmerlicher Stimme. „Hilf mir!“

      „Du nervst!“ Adriano verzog das Gesicht zu einer angewiderten Grimasse.

      „Dann hilf mir und ich gebe Ruhe. Schenk mir einfach den Jungen oder meinetwegen auch ein Mädchen!“

      „Wag es nicht, dich selbst zu bedienen!“, warnte Adriano, ohne sich zu ihr umzudrehen. Man hat uns alle zusammen gesehen. Wir könnten auffallen.“

      „Und wenn ich es doch tue?“ Dolores sah ihren Bruder mit einem lauernden Lächeln an.

      „Ich warne dich!“ Adriano fuhr zu ihr herum. „Mach besser keinen Fehler! Ich bin hier der Boss! Denk immer daran, und denk an die Sweetwater-Bay. Da kommen wir beide nämlich hin, wenn du so weitermachst!“

      „Jetzt spiel dich bloß nicht so auf, bloß weil du älter bist.“

      „Das ist nun mal so!“

      „Gerade mal hundertdreißig Jahre, was ist das schon?“

      „Wegen dieser hundertdreißig Jahre hast du die Revolution versäumt“, stellte Adriano grinsend fest und fuhr spielerisch mit dem Finger über den Fensterrahmen. „Schade! Das war schon ein besonderer Moment, als Marie Antoinettes Kopf in den Korb plumpste. Ich hatte einen Platz direkt in der ersten Reihe und habe sogar ein paar Spritzer ihres Bluts abbekommen.“

      „War’s lecker?“

      „Sie war fast vierzig. Ich bitte dich! Ich habe sowieso nie verstanden, was dieser König an ihr so toll fand.“

      „Versuch nicht abzulenken.“ Dolores stand auf, ging ebenfalls zu dem deckenhohen Panoramafenster und stellte sich neben ihren Bruder. Ein paar Sekunden lang sah sie über den Hafen hinweg in die Ferne. „Auch wenn Richter Gomez mir das Jagen verboten hat: Ich will, verdammt noch mal, wenigstens einmal wieder richtig satt werden! Alle dürfen sich nach Herzenslust bedienen und für mich bleiben immer nur die Reste.“

      „Selbst schuld!“, stellte Adriano fest und hob kurz die Schultern. „Auf jeden Fall müssen wir vorsichtig sein. - Erinnerst du dich noch an die Diego-Affaire? Ich war damals ja direkt dabei, in Santander. Der kleine, gierige Nasenbohrer hat’s übertrieben, genau wie du, und was war? Eltern, Polizei, Presse, Pfarrer, alle tagelang in höchster Aufregung. Zum Glück konnten wir die Leiche der Kleinen noch rechtzeitig verschwinden lassen. Sie gilt heute noch als entführt und vermisst. Wir können uns solche Eskapaden einfach nicht erlauben, sonst fliegen wir irgendwann mal auf!“

      Dolores wandte sich vom Fenster ab und sah Adriano auffordernd an. „Hast du jetzt ein ordentliches Geschenk für mich, oder nicht?“

      „Ich besorg dir eins.“ Adriano gab auf und legte ihr kurz die Hand auf die Schulter. „Lass uns erst eine Runde mit dem Boot drehen. Nasch ein bisschen, und heute Abend ziehen wir dann los.“

      „Du nimmst mich mit? Versprochen?“

      „Versprochen! Du kriegst dein Geschenk. Noch vor Mitternacht.“

      „Ein Mädchen!“, forderte Dolores. „Ich will ein Mädchen!“

      „Auch das!“, nickte Adriano und verzog das Gesicht. „Wenn du bloß endlich Ruhe gibst. Ist’s gut jetzt?“

      „Ach, Adriano, jetzt sei doch nicht so. Denk doch mal an die alten Zeiten.“

      „Das tue ich öfter.“

      „Du hast viel vergessen.“

      „Vielleicht. Vielleicht ist es auch gut so.“

      „Wie auch immer. Du weißt ja: wenn du mich brauchst, ich bin da.“

      Adriano sah sie einen Moment lang nachdenklich an. „Zu weit weg, zu lange her“, sagte er, wandte sich der Doppeltür zu, die hinaus auf die Empore über dem Achterdeck führte und stieß die Flügel auf. „Hey!“, rief er vom Kopf der Treppe aus den jungen Leuten zu, die unten auf dem Achterdeck warteten. „Seid ihr bereit?“ Aufmunternd breitete er die Arme aus. Er war wieder ganz der oberflächliche Playboy, den er sich als Rolle ausgesucht hatte.

      „Bereit!“, kam es vielstimmig von unten zurück.

      Adriano stieg mit schnellen Schritten die Stufen empor, die auf die Brücke der Killerbee führten, und Dolores konnte im Salon an seinen Schritten hören, dass er zum Steuerstand ging. Sekunden später sprang der erste der beiden Superdiesel an, die der Killerbee zu einer Spitzengeschwindigkeit von mehr als achtzig Stundenkilometern verhalfen. Der Boden des Salons vibrierte leicht.

      Die zweite Maschine erwachte mit dumpfem Grollen ebenfalls zum Leben, während ein Mann der Besatzung die Taue von den Pollern löste und schnell an Bord sprang.

      Sofort schob die ganz in Schwarz und Gelb gehaltene Killerbee sich von der Kaimauer weg und durchkreuzte langsam das Hafenbecken. Mit der Hafenmeisterei war nicht zu spaßen, da hielt sich sogar Adriano an die Vorschriften.

      Kaum hatten sie jedoch das Ende der Hafenmole erreicht, wurde die Killerbee schneller. Langsam steigerte Adriano die Geschwindigkeit, bis die Yacht mit Fullspeed mehr über, als durch die Wellen schoss.

      Auf dem Achterdeck wurden die ersten Flaschen geöffnet, und als die Killerbee nach knapp zwanzig Minuten im offenen Meer stoppte, waren die Passagiere schon bester Laune.

      Adriano kam vom Steuerstand hinab und auch Dolores gesellte sich zu den leicht angetrunkenen Gästen. Es war serviert. Die Party konnte beginnen.

       09 AUF DEM CATWALK

      Ich stehe oben auf der Treppe, die in unsere sogenannte Garderobe hinabführt und bin wütend auf mich selbst. Warum muss ich mich ausgerechnet vor Celine so blamieren? Dabei habe ich noch Glück gehabt, denn um ein Haar wäre ich ihr direkt vor die Füße gepurzelt. Ich mag gar nicht daran denken.

      Als sich mein Zittern etwas gelegt hat und ich das Gefühl habe, wieder ein Bein vor das andere setzen zu können, ohne die komplette Bühne zu zerlegen, folge ich Celine zur Garderobe. Warum fällt mir jetzt nur die Prophezeiung von Didier wieder ein?

      Zwischen den wehenden Zeltplanen in unserem Garderobenzelt sind Bänke aufgestellt, auf denen wir unsere Sachen ablegen können. Es ist wahnsinnig heiß hier drin und Pauline belegt für uns eine Bank in der Nähe der etwas nach oben gerollten Zeltwand, wo es luftiger ist.

      Das Licht ist optimal, zumindest für Leute, die sich nicht im Spiegel sehen wollen. Davon gibt es sowieso nur einen einzigen und der hat die ungefähre Größe eines Gästehandtuchs. Gut, dass wir uns schon vorher geschminkt haben.

      Celine quält sich mit fünf anderen Mädchen vor diesem winzigen Rechteck ab, um ihr Augen-Make-up