Christiane Weller / Michael Stuhr

Gesamtausgabe der "silent sea"-Trilogie


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irgendwie und kam ins Stolpern. Alle am Tisch brüllten vor Lachen und Adriano grinste mit einem Zwinkern beifallheischend in die Runde. Er verlangsamte das Tempo und jetzt klappte es besser. Nebenbei brachte er es auch noch fertig, dem Kellner einen Hunderter in die Brusttasche seines Sakkos zu stecken und abzuwinken, als dieser das Wechselgeld herausgeben wollte. Der Mann verbeugte sich knapp mit unbewegtem Gesicht und wandte sich dem Nachbartisch zu.

      Adriano hatte das Mädchen mit seiner Tanzeinlage inzwischen völlig in Besitz genommen, anders konnte man es nicht nennen. Er führte nicht nur, man konnte es förmlich sehen, wie er das Mädchen unter seine Gewalt brachte. Es wirkte, als würde ein junges, kleines Kätzchen mit einem ausgewachsenen, schwarzen Panther tanzen. Die Menschen an den Tischen rundum wurden aufmerksam.

      Adrianos Gesicht strahlte eine tierhafte Wildheit aus, als er das Mädchen auf engstem Raum fest umschlungen hielt und herumschwenkte. Es machte ihm Spaß, im Mittelpunkt des Interesses zu stehen. Sein strahlend helles Raubtiergebiss blitzte zwischen seinen vollen Lippen hervor und er fing an, laut mitzusingen: „Und da nahm sie seinen ...“

      Plötzlich brach die Musik ab und alle Augen richteten sich auf die Bühne. Einer der Organisatoren der Misswahl hatte wohl bemerkt, dass das Vorprogramm musikalisch etwas aus dem Ruder lief und diskutierte nun lebhaft mit dem DJ. Der kramte hastig eine andere CD aus seinem Bestand und legte sie ein.

      Adrianos Gesicht verfinsterte sich und das Lächeln erlosch wie ausgeknipst. Ohne einen Moment zu zögern ließ er das Mädchen los, drehte sich um, flankte auf den fast einen Meter hohen Catwalk und ging mit schnellen Schritten auf die beiden streitenden Männer zu.

      Mittlerweile kam wieder einer der ruhigen, fast schon seichten, typischen Vorprogrammsongs aus den Lautsprechern, so konnte man nicht verstehen, was auf der Bühne gesprochen wurde. Dass es aber nicht gerade ausgesuchte Höflichkeiten waren, die Adriano den beiden Männern an den Kopf warf, war deutlich zu sehen. Der DJ hielt ihm seine CD hin, aber Adriano schlug ihm die silbrig glänzende Scheibe aus der Hand, so dass sie in hohem Bogen über den Bühnenrand hinausflog und im Sand landete.

      Die Diskussion wurde immer hitziger, die Gesten immer aggressiver. Der Manager zeigte Adriano mit einer Handbewegung an, dass er die Bühne verlassen solle, und als der nicht sofort reagierte, machte er den Fehler, ihn ein wenig in Richtung der Laufstegkante zu schubsen. Wie ein Blitz aus heiterem Himmel fuhr ihm Adrianos Faust ins Gesicht.

      Der Mann taumelte zwei Schritte zurück und hielt sich beide Hände vor das Gesicht. Adriano wandte sich ab, sprang von der Bühne und gab seinen Leuten das Zeichen, ihm zu folgen.

      Einige schütteten noch hastig ihre Drinks in sich hinein, andere ließen ihre Gläser einfach stehen, aber alle standen auf und folgten ihm, als er den Strand verließ. Ein junger Mann hob mit verschämtem Grinsen die CD auf, wischte sie an seiner Kleidung kurz ab und folgte eilig der Gruppe.

      Der Mann auf der Bühne hatte seine Hände inzwischen wieder heruntergenommen und sah dem Trupp ziemlich fassungslos nach. Zwar lief ein dünner Blutfaden aus seiner Nase, aber allzu hart schien der Schlag nicht gewesen zu sein. Eine junge Frau eilte herbei und reichte ihm ein Papiertaschentuch.

      Der Mann presste das Tuch an sein Gesicht und gab dem DJ mit der freien Hand ein Zeichen. Die Lautstärke wurde heruntergefahren und New York, New York erklang aus den Lautsprechern.

      Die Menschen an den Tischen wandten sich von der Bühne ab und begannen, den Vorfall zu bereden, während Adriano und seine Leute den Strand verließen. Niemand machte auch nur den geringsten Versuch, ihn aufzuhalten. Dieser junge Krieger hatte offenbar ziemlich heißes Blut, und keiner von ihnen hatte Lust, sich auch noch einen Schlag auf die Nase einzufangen.

      Ein paar Leute drängten sich zwischen den Stühlen hindurch und besetzten den überraschend frei gewordenen Tisch. Das erste Mädchen kam hinter dem Vorhang hervor und ging den Catwalk entlang. So langsam bewegte sich wieder alles im Rahmen der Normalität. Nur das plötzlich ertönende dumpfe Wummern eines Automotors auf dem Parkplatz ließ erahnen, dass Adriano und seine Clique das Feld räumten. Zwischen den Stämmen der Pinien hindurch war zu erkennen, dass ein schwarzer Geländewagen sich mit grollender Maschine durch die Parkreihen schob. Direkt dahinter fuhr ein roter Kleinwagen älteren Baujahrs.

      Plötzlich gab der Fahrer des Geländewagens Vollgas. Die Räder drehten durch und eine Staubwolke wirbelte auf. Wie von der Sehne geschnellt schoss das schwere Fahrzeug auf die Ausfahrt zu und prallte dort um ein Haar mit einem Wohnmobil zusammen, das gerade auf den Parkplatz einbog.

      Eben noch war die Strecke völlig frei gewesen und plötzlich kam da dieses schwerfällige WoMo um die Ecke geschaukelt. Laut fluchend riss Adriano den Wagen nach rechts, trat voll auf die Bremse und kam quer zur Fahrtrichtung genau zwischen dem Zaun des Parkplatzes und einem Pinienstamm zum Stehen. Als eines der Mädchen auf dem Rücksitz erschreckt aufschrie, war alles schon vorbei.

      Der Fahrer des Wohnmobils hatte überhaupt noch nicht reagiert. Erst als der rote Nissan Sunny aus der Staubwolke kam und ebenfalls auf ihn zu schoss, trat er auf die Bremse. Keine Sekunde zu früh, denn der Nissan kam nur knapp einen halben Meter vor der Stoßstange des WoMos zum Stehen.

      Das Mädchen am Steuer des kleinen Wagens legte ohne Zeit zu verlieren den Rückwärtsgang ein und machte Platz, sodass das Wohnmobil wieder anfahren und behäbig weiterschaukeln konnte. Es war ja niemandem was passiert. Wozu also aussteigen und diskutieren?

      Kaum war der Weg wieder frei, kam Adrianos Wagen rückwärts aus dem Gebüsch geschossen, und die Fahrt ging weiter, als sei sie nie unterbrochen worden. Adriano ließ das schwere Fahrzeug den engen Schotterweg so schnell entlang schießen, dass es in den Biegungen fast ins Schleudern geriet.

      „Mann, fahr doch mal langsamer!“, beschwerte sich das Mädchen, das eben aufgeschrien hatte. Es war Adrianos Tanzpartnerin vom Strand.

      Urplötzlich trat Adriano voll auf die Bremse, sodass der Wagen auf dem knirschenden Schotter schlingernd zum Stehen kam.

      „Raus!“, war alles, was er sagte.

      „Aber ich habe doch nur ...“, versuchte das Mädchen zu protestieren.

      „Raus!“, wiederholte Adriano mit ruhiger Stimme. „Oder soll ich dir helfen?“

      „Dreckskerl!“, sagte das Mädchen ohne besonderen Nachdruck in der Stimme. Es klang mehr wie eine Feststellung. Es griff nach dem Türöffner und war blitzschnell aus dem Wagen, der sofort wieder anruckte.

      Der kleine Nissan kam heran und stoppte. „Was ist los?“, wollte die Fahrerin wissen.

      „Der spinnt total!“, stieß das Mädchen hervor. „Wenn er sich umbringen will, dann soll er das mal alleine machen. Ich bin raus!“

      „Nun fahr endlich weiter!“, forderte der Junge auf dem Beifahrersitz.

      „Willst du mit?“, bot die Fahrerin dem Mädchen an. „Wir rücken ein bisschen zusammen, dann geht’s.“

      „Komm, los, weiter!“, kam es vom Rücksitz.

      „Lass nur“, winkte das Mädchen ab, „ich geh zum Zelt.“ Den zweiten Teil des Satzes hörte die Fahrerin aber schon nicht mehr. Schließlich hatte Adriano gesagt, dass er sie alle zu einem Yachtausflug einladen wolle, und der Geländewagen hatte schon wieder einen gehörigen Vorsprung. Dass Adriano keine Minute auf sie warten würde, wenn sie sich verspäteten, war allen im Wagen klar, also mussten sie sich beeilen. Wann hatte man schließlich mal die Gelegenheit, an Bord einer Zwanzigmeteryacht über das Mittelmeer zu rauschen?

      „Meinen Glückwunsch zum neuen Lebensjahr“, begrüßte Adriano seine Schwester, die auf der breiten Rundcouch lag und auf den großen Flachbildschirm schaute, der in einer Ecke des Salons angebracht war. Die Killerbee, Dolores´ Yacht, war in jeder Beziehung mit der neuesten Technologie ausgestattet.

      „Adriano!“ Die junge Frau auf der Couch richtete sich auf und schaltete den Fernseher aus. „Ich hab schon gedacht, du kommst nicht mehr. Hast du mir was mitgebracht?“

      „Sei nicht so gierig!“ Adriano strich die schwarzen, lockigen Haare seiner Schwester