Christiane Weller / Michael Stuhr

Gesamtausgabe der "silent sea"-Trilogie


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liebt er nicht so much. Er macht immer ganz grimmige Augen, so als möchte er mich von der Welt wünschen.“

      „Ach quatsch!“ Weiter komme ich nicht, denn Pauline winkt uns aufgeregt von der Bühne her zu. Wir hören, wie mehrere Fanfarenstöße ertönen.

      Felix springt auf und streckt mir lächelnd die Hand hin. Ich ergreife sie und sie zieht mich aus dem Sand. Einen kurzen Moment stehen wir ganz dicht voreinander und lächeln uns an. In dieser stummen Verbundenheit vergehen ein, zwei lange Sekunden. - Wir müssen los. Schnell klopfen wir uns gegenseitig den Sand von den Kleidern und gehen gemeinsam zur Bühne zurück.

      Ich mag Felix, denke ich plötzlich mit einem ganz warmen Gefühl. Sie ist echt nett und könnte eine gute Freundin sein. Schade, dass sie so weit weg wohnt.

      Die Assistentin ist schon ganz nervös, als wir im Garderobenzelt ankommen, weil immer noch ein paar Mädchen fehlen. „Mon Dieu, wo treiben die sich bloß alle rum?“ ruft sie verzweifelt aus und eilt mit hochgerecktem Kopf hektisch im Garderobenzelt hin und her, wie eine aufgeschreckte Gänsemama.

      Kurz darauf sind dann auch die letzten Nachzügler da, und endlich ist es so weit: Wir marschieren alle nach der Melodie von We are the Champions im Abstand von zwei Metern hintereinander auf die Bühne, dann über den Catwalk und wieder zurück. All die stolzen Mütter und Väter im Publikum johlen, klatschen und rufen begeistert und machen Fotos von uns. Es fühlt sich wirklich richtig gut an, nach dieser Musik zu laufen. Wir Mädchen strahlen alle um die Wette. Mir pocht das Herz bis zum Hals vor Freude, denn ich sehe nicht nur die Begeisterung in den Gesichtern meiner Eltern. Sogar Didier winkt mir zu. - Und dann sind da auch noch ein paar lachende, schwarze Augen am Rande des Platzes neben einer Pinie.

      Wie es uns gesagt wurde, stellen wir uns auf der Bühne nebeneinander auf und die Musik bricht abrupt ab. Stille breitet sich aus. Alle, die eben im Publikum begeistert aufgesprungen waren, setzen sich wieder auf ihre Plätze und schauen gebannt zur Bühne. Der DJ lässt einen langen Trommelwirbel ertönen. Eines der Jurymitglieder erhebt sich und kommt mit einem Mikro in der Hand zu uns auf die Bühne. Der Trommelwirbel wird leiser.

      „Meine Damen und Herren, liebe Mädels, es ist uns wirklich nicht leicht gefallen, eine Entscheidung zu treffen, denn ihr wart wirklich alle klasse!“ Damit wendet er sich uns zu, klemmt sich das Mikrofon unter den Arm und klatscht in die Hände.

      Begeistert fällt das Publikum in seinen Applaus ein. Vereinzelt sind Pfiffe und Rufe zu hören, und er dreht sich wieder von uns weg.

      „Dennoch können nicht alle den ersten Platz belegen, wie sie sicher verstehen werden. Nur drei von diesen wirklich bezaubernden Mädchen können heute Abend im Les Sables bei der Endausscheidung zur Wahl der Teen-Miss-Port-Grimaud teilnehmen. Beginnen wir mit Platz drei.“ Er räuspert sich und sortiert seine Blätter „Den dritten Platz belegt nach Entscheidung der Jury ...“ Hier macht er eine kleine Kunstpause, in der der Trommelwirbel wieder lauter wird. Mit erhobener Stimme fährt er fort, „... die hübsche Celine aus Orleans! Meine Damen und Herren bitte einen Applaus für Celine!“ Mit einer Geste bedeutet er Celine, zu ihm zu kommen. Die folgt der Aufforderung mit hochrotem Kopf, nicht ohne mir ein triumphierendes Grinsen zuzuwerfen. Sie trägt immer noch ihre High Heels. Da hat’s aber jemand nötig!

      Der Moderator wartet ab, bis Celines Applaus verebbt. „Fahren wir fort, mein sehr verehrtes Publikum. Auf Platz zwei sieht die Jury eine Schönheit, die aus dem hohen Norden zu kommen scheint, tatsächlich aber eine waschechte Parisienne ist und eine unglaublich bezaubernde und natürliche Ausstrahlung hat. Auf grazilste Art und Weise hat sie uns hier - barfuß wohlgemerkt - High Heels vorgetäuscht. Sie ist intelligent, kann wunderbar singen und auch tanzen. Den zweiten Platz belegt ...“ Wieder erklingt der Trommelwirbel und mir wird mit einem Mal ganz schwindelig, denn ich höre tatsächlich ein laut gerufenes „Lana!“

      Mit wackeligen Knien gehe ich nach vorne und sehe meinen Vater auf den Stuhl springen. Mein Bruder und meine Mutter machen es ihm nach. Alle drei klatschen und skandieren laut: „Lana, Lana, Lana ...“

      Lächelnd schüttelt der Mann von der Jury meine Hand. Ich halte sie ihm hin, als gehöre sie gar nicht zu meinem Körper, starre ihn an und fühle mich wie im Traum. Das Publikum jubelt mir zu. Mir, Lana Rouvier!

      Ich? Das kann nicht sein, das ist alles, was ich denken kann. Wahrscheinlich handelt es sich um eine Verwechslung, es muss noch eine Lana geben. Ungläubig schaue ich mich zu den anderen Mädchen um.

      „Hey, Lana!“ ruft mir der Mann gut gelaunt zu. „Ich hab das Gefühl, du glaubst mir nicht. Du bist auf dem zweiten Platz!“ Weil das Mikrofon offen ist, kann das Publikum alles mithören, und das Geklatsche und Gejohle wird noch lauter.

      Mit etwas tapsigen Schritten stelle ich mich unsicher neben Celine, die mit versteinertem Gesicht geradeaus starrt.

      „Nun aber, meine Damen und Herren, zum ersten Platz. Da war sich die Jury sofort einig. Wir konnten uns gar nicht anders entscheiden, denn diese spritzige, quirlige, intelligente Schönheit von der britischen Insel hat einfach alle getoppt. Den ersten Platz vergeben wir an ...“ Er hebt die Stimme und in das erwartungsvolle Schweigen tönt laut der Trommelwirbel. „... Felicitas aus Cardiff!“ schreit er ins Publikum, das in rasenden Applaus ausbricht.

      Noch ganz in meinem eigenen Siegestraum gefangen, sehe ich einen großen, kräftigen Mann aufspringen und wie wahnsinnig applaudieren, während seine Frau wie ein aufgescheuchtes Huhn klatschend um ihren Stuhl herumhüpft, wobei sie quiekt und schreit. Das müssen Felix’ Eltern sein. Ich dachte immer, Engländer wären eher spröde und trocken, aber die zwei hier haben anscheinend andere Gene. Celines Eltern kann ich nirgends entdecken. Denen ist es wohl egal, was ihre Tochter so macht.

      Strahlend kommt Felix nach vorn und reicht dem Moderator die Hand. Ich klatsche und freue mich für Felix. Sie hat es wirklich verdient. Auch die anderen Mädchen applaudieren und sogar Celine ringt sich ein Lächeln ab und klatscht, wenn auch mit mäßigem Enthusiasmus.

      „Das war unsere Wahl zur Miss-Teen-Beach, bitte noch einmal einen Applaus für alle Teilnehmerinnen, die sich so mutig dieser Aufgabe gestellt haben“, ruft der Moderator in das ohnehin schon tobende Publikum.

      Plötzlich steht Diego am Rand der Bühne. Ich weiß nicht, wie es passiert, aber auf einmal bin ich bei ihm, lasse mich auf ein Knie nieder und schlinge meine Arme um seinen Nacken. Ich drücke ihm schnell einen Kuss auf die Wange. Er wendet den Kopf ein wenig und für einen winzigen Moment spüre ich seine Lippen auf meinen. Am liebsten würde ich diesen Augenblick nie vergehen lassen.

      „Lana!“, kommt es da wütend von hinten. „Hierhin!“

      „Bäh!“, mache ich unwillkürlich und schaue mich um. Die Assistentin steht neben Celine und Felix und zeigt mit ausgestrecktem Zeigefinger auf eine Stelle am Boden vor sich.

      „Sind wir hier bei der Hundeschule, oder was?“, murre ich leise.

      „Du gehst besser“, lacht Diego, „sonst gibt’s was mit der Leine! Wir sehen uns heute Abend.“

      Brav stehe ich auf und stelle mich unter den strengen Blicken der Assistentin wieder zu meinen beiden Mitsiegerinnen. In diesem Moment sehe ich Pascal mit festen, wütenden Schritten durch den Sand davon stürmen. - Was ist denn mit dem los?

      Während die anderen Mädchen mit neidischen Blicken von der Bühne verschwinden, kriegen wir Siegerschärpen umgelegt und werden für ein paar Pressefotos hin und her geschoben. - Schließlich sollen ja im Hintergrund auch alle Labels der Sponsoren dieser Veranstaltung zu sehen sein.

      Als wir endlich hinter die Bühne dürfen, bleibt Celine plötzlich vor uns an der Treppe zum Garderobenzelt stehen und lächelt uns schüchtern an. „Also ich weiß ja, dass ihr mich nicht besonders mögt, aber könnten wir trotzdem, also ich meine heute Abend, also irgendwie, na ja, ein bisschen zusammenhalten und uns helfen. Ich hab nämlich wirklich Angst vor nachher“, setzt sie mit erstaunlicher Offenheit hinzu.

      Felix und ich schauen uns erstaunt an. „Warum Angst? Der ganze Sache wird ein great, big, funny thing, mehr nicht“, meint Felix schließlich dazu.

      Celine