Christiane Weller / Michael Stuhr

Gesamtausgabe der "silent sea"-Trilogie


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an. Das ist kein guter Start. „Wir haben keine Schuhe in ihrer Größe“, teilt sie mir mit einem gequälten Lächeln mit.

      Warum wundert mich das nicht? „Aber ich brauche welche!“ rufe ich verzweifelt, „Ich kann doch nachher nicht barfuß im Abendkleid auf den Catwalk!“

      „Oh, sie machen bei der Wahl zur Teen Miss mit?“ Neugierig mustert sie mich.

      „Ja und es ist schon verdammt spät und ich habe keine Schuhe, wie soll das denn gehen?“ sprudelt es atemlos aus mir heraus.

      Die Verkäuferin schaut genauso verzweifelt wie ich mich fühle. „Aber ich habe keine in ihrer Größe, 42 ist schon sehr ungewöhnlich“, sagt sie und sieht sich in ihrem Laden um. - Als ob ich das nicht selber wüsste.

      Mit einem Mal schaut sie mich mit einem leichten Lächeln an. „Vielleicht ... Meine Freundin Juliette, warten sie mal!“ Mit diesen Worten verschwindet sie im Nebenraum und ich warte, was soll ich auch sonst tun, obwohl die Uhr in meinem Kopf tickt und tickt. Den Shuttlebus, der uns alle ins Les Sables bringen soll, würde ich sowieso nur noch erreichen, wenn ich mich von hier auf der Stelle zum Campingplatz beamen lassen könnte.

      Aufgeregt kommt die Verkäuferin zurück und strahlt mich freudig an. „Meine Freundin Juliette hat ihre Schuhgröße!“ verkündet sie mir, so, als solle das alle meine Probleme lösen.

      „Ja?“ Was meint sie damit?

      „Sie kommt hierher und bringt ein paar Schuhe mit“, strahlt sie mich an.

      Das könnte tatsächlich mein Problem lösen. Ich könnte sie knutschen. „Das ist ja toll und ich kann mir die von ihr leihen?“

      „Ja, oder kaufen“, antwortet sie unsicher.

      „Ist mir auch egal. Hauptsache ich habe ein paar Schuhe und der Preis stimmt!“ Papa braucht ja nicht zu wissen, dass ich gebrauchte Schuhe kaufe.

      Es vergehen nur wenige Minuten und Juliette kommt eilig zur Tür herein, in der Hand ein paar Plastiktüten. Gemeinsam begutachten wir die Schuhe, die sie mitgebracht hat und überlegen, welche wohl am besten sind. Ich entscheide mich für ein paar schwarze mit Riemchen und Juliette und die Verkäuferin stimmen mir zu, dass die am besten zu allem passen würden, weil sie neutral sind. Der Handel ist schnell gemacht und ich verschwinde nach einigen Merci in Richtung Stadttor.

      Jetzt nur noch durch die Blechlawine zurück zum Neptune, duschen, Klamotten schnappen und los. Vielleicht schaffe ich es ja doch noch zum Shuttlebus.

      Ich schaffe es nicht, denn auf dem Campingplatz erwarten mich neue Überraschungen. Schon am Eingangstor fängt mich Didier ab und winkt mir aufgeregt zu. Was will denn die kleine Ratte jetzt noch von mir? Ich hab’s eilig.

      „Lana, Lana!“ ruft er aufgeregt. Ich stoppe die Maschine und rolle langsam auf ihn zu.

      „Ich muss dir was sagen!“

      „Was ist, ich hab nicht viel Zeit“, mürrisch stelle ich den Motor ab.

      „Ich weiß! Papa ist stinksauer und ich wollte, das du schon weißt warum, wenn du hingehst.“

      Ist das mein Bruder, der da zu mir spricht? Normalerweise freut er sich doch, wenn Papa sauer auf mich ist.

      „Wie, was ist denn los?“

      „Pascal war da und hat ihm erzählt, dass der Typ, weißt du, den du da geküsst hast, ein Dealer ist, und nun meint Papa, dass du heute Abend da nicht hingehen solltest, also ins Les Sables.“

      „Luft holen!“, sage ich automatisch, und Didier atmet ein.

      „Und deshalb dachte ich“, geht es sofort weiter, „ich fang dich hier ab und sag es dir gleich. Du, der Pascal ist bestimmt nur eifersüchtig und will dir deshalb alles verderben!“ Ganz aufgeregt hüpft er um mich herum, während das alles aus ihm heraussprudelt.

      „Dealer?“ Ich bin fassungslos. „Wie kommt Pascal dazu, so etwas zu behaupten? Er kennt Diego doch gar nicht!“

      „Na ich sag doch, der ist eifersüchtig auf den!“ Didier stemmt die Hände in die Hüften und schaut mich an, als wäre ich etwas schwer von Begriff.

      „Okay, danke Didier, lieb von dir, dass du mich vorgewarnt hast, dann weiß ich ja, was mich jetzt erwartet.“ Ich steige von der blauen Elise ab und schiebe sie über den Platz zu unserem Wohnwagen.

      Kann auch mal irgendwas glatt gehen? Wieso verbreitet Pascal solche Lügen über Diego? Kennt er ihn irgendwoher? Kenne ich ihn denn? Das alles geht mir durch den Kopf, während ich den Roller auf unseren Stellplatz zuschiebe.

      Didier rennt neben mir her und keucht atemlos: „Ich will aber, dass du da heute Abend mitmachst, du warst heute so geil!“

      Ich bleibe kurz stehen und schaue diesen unerwarteten Fan erstaunt an. „Echt, fandest du? Obwohl ich ein Storch bin?“

      „Heute warst du kein Storch“, strahlt Didier mich an und das ist wohl das größte Kompliment, das ich bisher von meinem Bruder bekommen habe.

      „Lana, da bist du ja endlich!“ begrüßt mich Papa, während ich die Blaue Elise neben dem Wohnwagen abstelle und meine Tüte mit den Schuhen vom Lenker ziehe.

      „Komm mal her, ich muss mit dir reden“, sagt er und sieht mir von seinem Platz am Campingtisch aus erwartungsvoll entgegen.

      „Was denn? Ich muss mich beeilen, bin schon spät dran, der Shuttlebus fährt gleich!“

      „Genau darum geht es, mein Schatz.“

      Oh, oh, wenn er mein Schatz sagt, dann bedeutet das wirklich nichts Gutes. Also gehe ich mit der Tüte in der Hand zum Campingtisch und lasse mich auf meinen Klappsessel fallen. - Alles Zeit, die mir verlorengeht. „Was ist denn?“

      Mein Vater kommt gleich zum Punkt „Pascal war vorhin da und hat mir erzählt, dass der junge Mann, der dich da am Bühnenrand umarmt hat ein stadtbekannter Dealer ist.“

      „Und, woher will Pascal das wissen?“ Dank Didier bin ich ja vorbereitet und kann ganz cool antworten.

      Mein Vater schaut mich etwas irritiert an, anscheinend hat er mit einer anderen Reaktion gerechnet. „Äh?“

      „Papa, traust du mir wirklich zu, dass ich mich mit einem Dealer einlasse? Ich will nur an diesem Wettbewerb teilnehmen und was Diego betrifft, er ist ein gut aussehender, netter Junge, der mich mag und ich mag ihn, mehr nicht.“

      „Du weißt, wie er heißt?“ Papa runzelt die Stirn und schaut mich erstaunt an.

      „Ja meinst du, ich lasse mir von jedem x-beliebigen Typen gleich einen Kuss aufdrücken?“

      „Äh, nein, aber was weißt du denn sonst noch über ihn?“ Papa lässt nicht locker.

      Es wird Zeit, dieses Gespräch zu beenden, wenn ich überhaupt noch eine Chance haben will, den Shuttlebus zu erreichen. „Nicht viel“, gebe ich zu, „aber eines weiß ich ganz bestimmt: Diego hat nichts mit Drogen zu tun! Und wenn Pascal so etwas behauptet, dann kann es nur deswegen sein, weil er eifersüchtig auf Diego ist, obwohl ich eigentlich nicht weiß, warum.“

      Mein Vater zieht die Augenbrauen zusammen und schaut an mir vorbei. Was ist denn jetzt? Aber plötzlich höre ich Pascals wütende Stimme hinter mir: „Dass du mit Alain rummachst, das geht ja gerade noch, aber dass du jetzt auch noch was mit solchen schmierigen Typen anfängst, das ist doch nicht normal!“

      „Rummachen?“ Ich fahre zu Pascal herum, der mit hochrotem Kopf und wütend blitzenden Augen schräg hinter mir aufgetaucht ist. „Hast du sie nicht mehr alle beisammen? Im letzten Jahr habe ich mit Alain hier bei der Kinderdisco getanzt, das war alles. Hättest du auch haben können, aber du tanzt ja nicht. Und außerdem, was geht dich das wohl an, mit wem ich mich sonst so treffe?“

      „Dann pass mal gut auf, was ich dir zu sagen habe, du scheinst es ja nicht mitgekriegt zu haben!“

      „Na was? Da bin ich aber mal gespannt.“

      Pascal