Christiane Weller / Michael Stuhr

Gesamtausgabe der "silent sea"-Trilogie


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      „Lana Rouvier!“, sage ich zum dritten Mal. Ganz langsam, damit er es auch verarbeiten kann.

      „Okay!“ Endlich klinkt er das Seil aus. „Die Tür zum Hühnerstall ist rechts neben der Bühne.“

      Mann, ist der witzig. Ich könnt mich wegschmeißen vor Lachen. Mit einem Fauchen gehe ich an ihm vorbei.

      „Brauchst dich nicht zu bedanken“, ruft er mir hinterher. „Gehört alles zum Service!“

      Ich könnte ihm vielleicht zum Dank den Tritt zeigen, den ich beim Selbstverteidigungskurs gelernt habe, aber ich verwerfe den Gedanken wieder. Keine Zeit.

      Ich orientiere mich erst mal in dem Riesensaal, steuere auf die Bühne zu, gehe daran vorbei und finde hinter einem Vorhang eine Stahltür. Dahinter ist eine kurze Treppe, von deren Podest aus drei Türen abgehen. Ich wähle die, die hinter die Bühne führen muss und plötzlich bin ich mittendrin.

      Als Erstes sehe ich einen Jungen im Harlekinkostüm, der auf einer Bank sitzt und verdrießlich guckt. Er scheint ziemliche Probleme zu haben, denn er tupft mit einem Kleenex auf einer dicken Blase an seiner Oberlippe herum. Es riecht ein wenig angekokelt.

      „Lana!“ Pauline kommt mir entgegengestürmt. „Kommst du endlich? Wo hast du denn gesteckt?“

      „Ich bin durch den Haupteingang“, versuche ich zu erklären. „Das hat gedauert.“ Aber Pauline hat mich schon bei der Hand genommen und zerrt mich im Laufschritt zu einem der vier Schminktische, die an der Wand stehen.

      Felix ist schon fertig, aber zupft noch ein wenig an ihren Haaren rum. Sie hat den Stuhl besetzt gehalten und macht jetzt Platz, damit Pauline mich mit Schwung draufklatschen kann. Sofort fängt sie an, mir mit einem feuchten Tuch über das Gesicht zu wischen.

      „Ausziehen!“, kommandiert Felix. Sie steht plötzlich mit einem Einteiler-Badeanzug hinter mir, an dem schon eine Laufnummer hängt.

      Ich schaue durch den Spiegel nach dem Harlekin, aber der ist nur mit seiner Lippe beschäftigt, also schlüpfe ich halb im Sitzen blitzschnell aus den Klamotten raus und in den Badeanzug rein, wahrend Felix und Celine mir ein wenig Deckung geben. Pauline bearbeitet mein Gesicht mittlerweile mit einem trockenen Tuch und macht sofort mit einem Make-up-Pad weiter.

      Celine hat sich den heißen Lockenstab vom Tisch genommen und will damit auf meine Haare losgehen. Ich zucke zurück.

      „Stillhalten!“, schnauzt Pauline. „Lass sie! Die kann das.“

      Ich bleibe misstrauisch und beobachte Celine genau, während Pauline mir mit einem dicken Pinsel Puder auf das Gesicht aufträgt. Ich schließe die Augen und spüre plötzlich, dass da ein paar Hände zuviel sind. Ich blinzle vorsichtig und sehe, dass Felix von der anderen Seite aus meine Lippenkonturen nachzieht, während mir Pauline Rouge unter die Wangenknochen pinselt.

      Ein Fineliner flitzt über meine Augenbrauen und ich traue mich wieder, die Augen zu öffnen. Mein Spiegelbild schaut etwas verdattert aus, aber es hat sich schon was verändert.

      Felix verpasst mir zwei Striche Lipgloss und ich rolle die Lippen, um das Zeug zu verteilen.

      „Smokey eyes?“, fragt Pauline und ich will nicken, aber Celine und ihr Lockenstab sind dagegen, also sage ich „Ja!“

      Schnell stellt sich Pauline die beiden Näpfchen mit dem grauen und dem beigefarbenen Puder zurecht und verpasst meinen geschlossenen Augenlidern die passende Kur. Jetzt heißt es, das Vertrauen nicht zu verlieren. Wenn sie es versaut, können wir wieder von vorn anfangen.

      Tut sie nicht, und als ich die Augen wieder öffne, ist sie sofort mit dem Eyeliner an mir dran. Jetzt schnell noch mit dem Mascara durch die Wimpern und voilà: ich habe die tollsten Smokey eyes, die man sich denken kann.

      Im Spiegel sehe ich das Gewusel der anderen Mädchen hinter mir. Mindestens fünf verschiedene Parfüms kitzeln in meiner Nase. - Wollen die Kolleginnen sich bei den Juroren auf den Schoß setzen?

      Celine hat mir inzwischen ein paar Wellen ins Haar gemacht und packt den Lockenstab weg. Pauline nimmt noch schnell eine Puderquaste und betupft mir Oberarme, Schultern und den Hals bis zum Dekolleté hinab. Dann sagt sie „Puh!“ und ich bin fertig. Nur noch schnell die neuen Schuhe anziehen und es kann losgehen. Wie lange wird das jetzt gedauert haben? Fünf oder sechs Minuten vielleicht. Das nenne ich mal ein Turbo-Make-up.

      „Danke, Mädels!“, sage ich. „Ich könnte euch alle knuddeln!“

      „Wag es nicht!“, knurrt Pauline. „Wenn du irgendwas verwischt, lasse ich dich so rausgehen!“

      „Du! Diego ist da!“, sagt Felix plötzlich.

      „Wo?“ Ich schaue mich um.

      „Vorne!“ Sie zeigt auf den Bühnenausgang und muss grinsen. War aber auch ne selten dämliche Frage, das gebe ich ja zu.

      Plötzlich habe ich jede Menge Zeit. Die Wahl beginnt frühestens in einer Viertelstunde. Ich hätte nie gedacht, dass wir das auf die Schnelle so gut hinkriegen. „Wo ist denn hier die Toilette?“

      „Da, die Tür.“ Celine zeigt mir die Richtung.

      Auf dem Rückweg fängt mich die Garderobenfrau ab. Diesmal ist sie jünger und total überschminkt. Mit eingefrorenem Verkäuferinnenlächeln fragt sie mich nach meiner Größe und hält mir einen Safarianzug mit halblangen Hosen vor den Körper. „Passt!“ stellt sie fest und klebt schnell einen Zettel mit meiner Laufnummer an den Kleiderbügel. Ehe ich es begreife, habe ich ein türkisfarbenes Abendkleid aus hauchdünnem Stoff vor mir, das unten zipfelig ausläuft. So wirkt es lang, aber wenn ich gehe, wird der halbe Oberschenkel zu sehen sein. „Passt prima!“, meint sie und auch das Kleid bekommt einen Zettel.

      Türkis ist genau meine Farbe und das Ding ist ultrasexy. Ich bin sofort verliebt. Schnell schaue ich auf das Etikett und verabschiede mich von meiner neuen Liebe. Meine Eltern lassen mich einweisen, wenn ich sie frage, ob sie mal gerade fünfhundert Euro für ein Kleid übrig haben.

      „Das war’s“, teilt meine Stilberaterin mir mit und ich kann gehen.

      Auf dem Boden steht eine Kiste Wasser, auf der eine Rolle in Folie eingeschweißter Pappbecher liegt. Zwölf Fläschchen für fünfzehn Leute. Großzügig! Ich nehme mir eine und einen Becher dazu.

      Als ich zu meinen Leuten zurückkomme, finde ich Felix in eifrigem Gespräch mit Pauline vor. Sie sieht mich kommen, hangelt nach meinem Becher und nimmt erst mal einen kleinen Schluck. „Wir haben beschlossen“, sagt sie, „diesmal machst du die erste Platz und ich die zweite. Und peng, sind wir die Doppelmiss von die Disco.“

      „Und ich?“, fragt Celine, die plötzlich neben uns steht, wie es so ihre Art ist. Sie hört immer das, was sie nicht hören soll.

      „Du gehörst auch dazu!“ Trotz Paulines Warnung nehme ich sie kurz in den Arm. „Das wäre doch was, wenn die drei Neptune-Girls alle anderen schlagen.“

      Felix dreht sich weg und zieht sich zum Schein die Nase lang, aber so, dass Celine es nicht sieht. Dabei habe ich gar nicht gelogen. Es würde mich wirklich freuen, aber Felix sieht das immer noch irgendwie anders.

      Die Tür zu dem Gang hinter der Bühne öffnet sich und laute Musik dringt herein. Einer der Wachleute steckt seinen Kopf durch die Tür und brüllt: „Macht euch fertig! In fünf Minuten geht’s los!“

      Die Tür schließt sich wieder und wir schauen uns an. Ist ja toll, dass wir hier dabei sind, aber bei der Wahl am Strand war es doch schöner. Im Moment kommen wir uns wohl wirklich alle wie im Hühnerstall eingesperrt vor. Gleich geht die Tür wieder auf und wir werden rausgetrieben. Plötzlich bin ich mir gar nicht mehr so sicher, dass ich das alles hier auch wirklich will, aber für solche Einsichten ist es jetzt wohl ein wenig zu spät. Vielleicht ist es aber auch nur das Lampenfieber.

      Felix scheint da ähnlich zu denken. Sie beißt sich so fest auf die Unterlippe, dass man Angst um die Konturlinie haben muss. Mit ihren etwas zusammengekniffenen Augen sieht sie aus wie eine Kriegerin, die einen Angriff plant. Nur