Christiane Weller / Michael Stuhr

Gesamtausgabe der "silent sea"-Trilogie


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wir nun wieder in einer Reihe auf der Bühne und mittendrin, fast einen halben Kopf größer als alle anderen, ich. Ungeduldig warten wir darauf, wer nun die Krönchen wirklich kriegt.

      „Den dritten Plaaatz vergeben wir an die bezaubernde Felicitaaas mit der Startnummer acht!“, jault der Moderator und winkt Felix zu sich heran. - Schade! Ich hätte ihr den ersten Platz gegönnt. Na, dann liegt für mich wohl nicht mehr viel drin. Der Applaus für Felix verklingt.

      „Der zweite Plaaatz geht an die bezaubernde Laaanaaa mit der Startnummer elf“, schreit der Typ ins Mikrofon und macht mit dem anderen Arm ein paar weitausholende Bewegungen in meine Richtung. Er wedelt so wild herum, dass es ihn fast von den Zehenspitzen hebt.

      Ich? Mal wieder kalt erwischt! Ich hätte nie gedacht, dass ich vor Felix lande. Ich gehe nach vorne und da steht es wieder, das Dreamteam vom Neptune: sie gut einsechzig und ich knapp einsachtzig groß.

      Das Publikum scheint einverstanden zu sein. Mein Applaus ist ein wenig länger, als der von Felix.

      „I sayed so!“ Sie knufft mich in die Seite. „Ich habe dich so gesagt!“

      Gesagt hatte sie zwar was anderes, aber egal, wir sind mit dabei und das reicht.

      Der bezaubernde Moderator ruft die bezaubernde Siegerin nach vorne, deren Namen ich jetzt versäumt habe. Es ist das Mädchen mit dem gerissenen Träger, und vor lauter Freude hampelt sie so herum, dass ich immer an die Sicherheitsnadel denken muss, die jetzt die ganze Verantwortung trägt. Sie kriegt eine Schärpe mit ihrem Titel und einer Eins drauf umgelegt und noch ein goldfarbenes Pappkrönchen dazu. Auch mit einer Eins.

      Ich bekomme das Set in Silber mit der Zwei und kann es kaum erwarten, dass Felix ihre Trophäen auch entgegennimmt. Ich will runter von der Bühne, hin zu Diego, der bei jeder Preisvergabe applaudiert. Bei meiner aber ganz besonders, wie ich mit Freude feststelle.

      Wieder prasseln die Blitzlichter auf uns ein, und diesmal sind gleich zwei Leute mit großen Profikameras dabei. Das müssen die Reporter von den örtlichen Zeitungen sein. Morgen also zum Kiosk und beide Blätter kaufen, nehme ich mir vor.

      Wir nehmen die Siegerin in die Mitte und lächeln in Richtung der Kameras. Teen-Miss-Port-Grimaud ist total aufgedreht und zappelt in einer Tour herum.

      „Denk an die Sicherheitsnadel“, zische ich ihr zu.

      Sie macht: „Oh!“, und steht plötzlich stocksteif da.

      Endlich dürfen wir gehen. Wir drei Siegerinnen machen den Anfang und gehen an der Reihe der Nichtplatzierten vorbei. Celine schaut ein wenig säuerlich, aber für ihre Verhältnisse hat sie die Schlappe vorerst gut weggesteckt. Aber da kommt noch was nach, da bin ich mir ganz sicher.

      Kaum hinter dem Vorhang, will ich lossprinten, um mich schnell umzuziehen, aber in diesen Schuhen geht das nicht. Also stakse ich gemessenen Schrittes in die Garderobe und kicke die ungeliebten Dinger unter die Bank. Das letzte der Mädchen ist noch nicht im Raum, als ich schon wieder aussehe wie Lana. In meinen eigenen Klamotten fühle ich mich doch am wohlsten, stelle ich fest. Nur noch die Turnschuhe schnüren.

      Felix ist auch fast schon fertig und ich nehme mir vor, noch ein paar Sekunden zu warten. Bestimmt will sie auch gleich nach vorne in die Disco. Sie bemerkt meine Ungeduld und sagt: „Geh ruhig schon mal vor. Ich muss noch ...“ Sie zeigt in Richtung der Toilettentür.

      „Das war ja wohl ne ganz miese Veranstaltung!“, beschwert sich Celine, als sie in unsere Nähe kommt.

      „Nur der Anfang war schrecklich!“, wende ich ein. „Die Schreihälse waren widerlich.“

      „Bei euch vielleicht“, meint Celine mit hoch erhobener Nase. „Mich hat das Publikum sofort gemocht. Aber die Jury war völlig inkompetent!“

      Aha! Ja, so wird’s gewesen sein.

      Felix hat es auch mitgekriegt und grinst. „Zuerst es war ein big piece of shit, aber ich fand’s trotzdem great!“, behauptet sie mit strahlenden Augen, und ich glaube ihr das auch. Sie ist nun mal eine Kämpfernatur.

      „Mädels, ich muss euch verlassen“ Pauline hat ihre Sachen zusammengepackt und steht mit ihrer Tasche vor uns. „Wenn ich um elf nicht draußen bin ...“ Sie spricht nicht weiter.

      Wir nehmen sie alle schnell noch mal in den Arm. „Danke, Pauline!“

      „Ohne dich hätten wir’s nicht geschafft, Pauline.“

      „Thank you Pauline, du bist great!“

      Pauline ist ganz gerührt und ich sehe, dass ihre Augen kurz vorm Überlaufen sind. „Bis morgen“, sagt sie und dreht sich schnell weg. Wir sehen ihr nach, bis die Stahltür hinter ihr zuschlägt.

      Ein Serviermädchen kommt herein und stellt ein großes Tablett mit gefüllten Champagnergläsern auf einen der Schminktische. „Bedient euch!“, ruft sie uns zu und verschwindet wieder.

      Wir bedienen uns und heben die Gläser. „Auf uns Neptune-Girls!“, sage ich und nehme einen großen Schluck.

      „Auf uns Neptune-Girls!“, wiederholen Felix und Celine.

      „Und auf unsere Chefkosmetikerin!“ setze ich noch hinzu.

      „Ja!“, sagen die beiden.

      Während Celine nur nippt, schafft Felix fast ihr ganzes Glas in einem Zug. Ich nehme einen zweiten Schluck und stelle das Glas ab.

      Ich bin fertig, und ich will zu Diego. „Bis nachher, Mädels!“, rufe ich ihnen zu und reiße die Tür zur Treppe auf.

      Das Erste, was ich sehe, als ich die Disco betrete, ist Diego. Nicht die Jungs, die um ihn herumstehen, nicht die Tanzmädchen auf der Bühne, nur ihn. Er steht da, wie der wahrgewordene Inbegriff aller meiner Träume. Alles Andere nehme ich nur verschwommen wahr.

      Langsam gehe ich auf ihn zu und genieße den Anblick. Er bemerkt mich, dreht sich um und hebt leicht die Hände. Er lächelt. Gleichzeitig ist sein Gesichtsausdruck sehnsüchtig, erwartungsvoll und ein wenig unsicher. Er nimmt mich bei den Oberarmen und zieht mich ganz langsam zu sich heran.

      „Herzlichen Glückwunsch zu deinem Titel“, sagt er.

      „Schön, dass du da bist.“ Mehr kriege ich nicht heraus.

      Sein Gesicht kommt näher. Erst gibt er mir einen Küsschen auf die Wange, dann tasten sich seine Lippen in Richtung Mund vor. Ich komme ihm etwas entgegen und plötzlich stehen wir ganz allein mitten in dem Trubel und hören und sehen nichts mehr. Er drückt mich leicht an sich. Mir wird ein wenig schwindlig. Es ist wie Versinken. Ein lustvolles Eintauchen in seine Zärtlichkeit, in seinen Körper. Ich will gar nicht mehr aufhören.

      Plötzlich merke ich, wie er stockt. Sein Körper versteift sich und er schiebt mich ein kleines Stück weit zurück. Unsere Lippen trennen sich.

      Was ist los? Habe ich etwas falsch gemacht?

      „Komm, gehen wir auf die Empore“ sagt er und geht auch schon voraus, ohne eine Antwort abzuwarten. Plötzlich wirkt er total unsicher, fast ablehnend. Immer wieder schaut er sich nach mir um, ob ich auch folge. Er geht schnell und es sieht fast wie eine Flucht aus.

      Verdammt, was ist los? Wir klettern die Stufen empor und erreichen eine Sitzgruppe die frei ist. Er wartet, bis ich Platz genommen habe und setzt sich – nein, nicht neben mich, sondern über Eck auf eine andere Couch. Was soll das denn jetzt?

      Wir schauen uns ein paar Sekunden lang schweigend an. Die Musik wummert aus den Lautsprechern unter uns auf die Tanzfläche. Der Bretterboden vibriert leicht und farbige Scheinwerfer streichen durch den Saal. Eben noch war ich froh, ja glücklich, aber das ist vorbei. Im Moment fühle ich mich einfach nur einsam. Zwischen uns ist plötzlich eine Wand aus Panzerglas, und ich weiß nicht, woher sie kommt.

      Diego schenkt mir ein schüchternes Lächeln und ich grinse zurück, obwohl mir gar nicht danach ist. Ich spüre den Champagner. Er hat mir Appetit gemacht. In meinem Bauch kollert es und ich lege mir eine Hand auf den Magen.

      „Was ist? Geht’s dir