Christiane Weller / Michael Stuhr

Gesamtausgabe der "silent sea"-Trilogie


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herum und höre selber, wie banal mein Gerede in seinen Ohren klingen muss.

      „Ah, Felix!“ sagt er nur und setzt sich neben mich in den Sand. Dabei streift er mich mit einem fragenden Blick.

      „Die gestern bei der Strandwahl gewonnen hat, weißt du?“, erkläre ich kurz. „Felicitas, aber sie mag den Namen nicht. Sie meint übrigens, du könntest sie nicht leiden“, fahre ich hilflos fort, denn er ist so komisch, so anders, heute Morgen. Gestern, da hat er mich liebevoll angelächelt und war so zärtlich. Wer weiß, was noch passiert wäre, wenn mein Vater mich nicht so früh abgeholt hätte?

      „Ich habe nichts gegen Felix“ erwidert Diego. „Sie hat mir gestern gesagt, dass du später kommst, da hat sie mich das auch gefragt.“

      „Was?“

      „Ob ich was gegen sie habe.“

      „Und?“ Ein kleiner Piekser blöder Eifersucht meldet sich. Die beiden haben gesprochen? Über was?

      „Ich hab ihr gesagt, dass es nichts mit ihr zu tun hat. Es gab da mal ein Mädchen, das so ähnlich aussah. Schlechte Erinnerungen.“

      „Ihr habt Schluss gemacht?“

      Er lacht bitter auf. „So könnte man es vielleicht nennen.“

      „Was heißt das?“

      „Sie ist tot.“

      Merde! „Oh, das tut mir Leid!“

      Wieder dieses bittere Lachen. „Ja, mir auch!“

      „Hast du sie geliebt?“

      „Nein. Aber sie hätte nicht sterben müssen, wenn ich ...“ Er schaut zu mir herüber, runzelt die Stirn, so als würde er überlegen, was er sagen soll, hebt dann aber nur schweigend die Schultern und schaut aufs Meer hinaus.

      Da sitzt er so greifbar nahe neben mir. Ich möchte ihn berühren, seine perfekt gebräunte, schimmernde Haut unter meinen Fingern spüren, ihm durch seine nassen Haare fahren, seine weiche und doch starke Schulter berühren, aber es ist schon wieder diese Wand zwischen uns. Er will nicht darüber reden.

      „Diego?“ Diese Starre, in der er dasitzt ist schrecklich.

      „Du fühlst dich schuldig?“

      „Ich bin schuldig geworden, ohne es zu wollen, ohne zu wissen, dass es so kommen würde, wie es dann kam.“

      „Du kannst ruhig mit mir darüber reden, wenn du willst. Du bist so – abweisend. Ich möchte verstehen, warum.“

      Erneut wendet mir Diego sein Gesicht zu. Ernst, fast verzweifelt schaut er mich an und sagt „Das willst du nicht wissen Lana, glaub mir.“ Er erhebt sich. „Ich muss jetzt los, wir sehen uns wieder, bestimmt.“

      Auch ich springe auf. Ganz dicht stehen wir voreinander. Wenn ich es bis jetzt noch nicht wusste, nun spüre ich es mit Macht: Es gibt elektrische Ströme zwischen menschlichen Körpern. Ich spüre förmlich die Funken, die zwischen uns hin und her springen, spüre die Anziehungskraft, die von seiner nackten, glatten Haut ausgeht, spüre, wie sich alle Poren meiner Haut in seine Richtung bewegen, werde mir mit einem Mal bewusst, dass wir ja wirklich halbnackt voreinander stehen.

      Lächelnd schaut er mich an und streicht leicht mit seinen Händen über meine Schultern. Unwillkürlich schließe ich die Augen, denn diese Berührung ist so warm und weich und fährt mir durch alle Fasern meines Körpers.

      „Warum bist du heute so anders?“ flüstere ich, immer noch mit geschlossenen Augen. „Bist du sauer, dass ich gestern Abend verschwunden bin? Weißt du, mein Vater ist gekommen und hat mich abgeholt. Er war ziemlich ärgerlich und ich konnte dich nicht suchen. Es tut mir so Leid!“

      Diegos Hände umfassen meine Oberarme und ich öffne die Augen. Sein Gesicht sieht ein wenig überrascht aus. „Du, ich bin auch aus der Disco abgehauen“, sagt er zögernd. „Aber bei mir war es schlimmer. Mich hat niemand abgeholt. Ich habe aus Feigheit gekniffen und bin einfach so verschwunden. Ich hatte Angst.“

      „Angst wovor?“ Ich verstehe es einfach nicht.

      „Vor der Liebe?“ Er scheint sich nicht ganz sicher zu sein.

      „Vertraust du mir denn nicht?“

      „Doch, sehr und ich wünschte, ich könnte es dir erklären, mit dir über alles reden.“

      „Aber das kannst du doch!“ Ich schaue in sein Gesicht. Seine Augen sind noch dunkler als sonst. Seine Mundwinkel zucken leicht. Er sieht mit einem Mal so verzweifelt und verletzlich aus.

      Eine feuchte Haarsträhne hängt ihm in die Stirn. Zärtlich streiche ich sie zurück. Er lächelt mich mit traurigen Augen an, beugt sich vor und gibt mir einen weichen Kuss auf die Wange. Schnell umschlinge ich seinen Hals und schmiege mich an ihn. Er umfasst meinen Rücken und drückt mich fest an sich. So stehen wir eine endlos lange Weile eng umschlungen, während er mir lauter kleine sanfte Küsse auf die Schulter haucht. Ein Schauer durchläuft mich und ich muss leise aufstöhnen, während ich meine Lippen in die Biege seines Halses presse. Intensiv spüre ich seine warme weiche nackte Haut auf meiner. Mein Körper reagiert so stark, wie ich es noch nie erlebt habe, auch nicht mit Hervé!

      „Ach Lana, Lana“, flüstert er und wühlt sein Gesicht in meine Haare. Schließlich schiebt er mich ein wenig von sich weg und hält mich mit seinen starken warmen Händen an den Schultern fest. Glücklich lächelnd blickt er mir in die Augen, während sich sein Brustkorb vom schnellen, erregten Atmen sichtbar hebt und senkt. „Jetzt weiß ich es. Wir sehen uns wieder, ich bin mir sicher!“ Er lässt meine Schultern los, streicht mir ganz leicht mit einer Hand über die Wange, lächelt mich noch einmal an und geht über den Strand davon.

      Ich stehe da und sehe ihm nach. Alles in mir zittert und bebt von der engen Berührung mit seinem Körper. Ich bin so aufgewühlt und durcheinander, dass ich ihm nur stumm nachschauen kann.

      Plötzlich fällt mir auf, dass ich gar nicht weiß, wo er überhaupt hingeht. Wo wohnt er? Ist er auf einem der Campingplätze? Und meine eigentliche Frage von vorhin habe ich ihm auch nicht gestellt: Wie ist er ins Wasser gekommen? Mit kraftvollen Schritten geht Diego den Strand entlang und verschwindet schließlich hinter den Stämmen einer Baumgruppe. Völlig verwirrt setze ich mich auf mein Handtuch und versuche, meine Gefühle wieder halbwegs in den Griff zu bekommen.

      Auf einmal kommt Dusty auf mich zugelaufen und bellt aufgeregt, während er wie ein Wilder um mich herumspringt. Fleur und Pauline erscheinen rufend und winkend am Tor zum Neptune. „Lana! Lana!“

      Ein zittriges Seufzen entringt sich meiner Brust. Bebend und aufgewühlt von diesem warmen, zärtlichen Umschlingen und umschlungen werden schaue ich zu ihnen hin. Sie kommen mir vor wie Traumgestalten. Was wollen sie?

      Immer noch verwirrt von Diegos Worten wende ich mich meinen beiden Freundinnen zu, die wild gestikulierend am Eingang zum Neptune stehen. Ich versuche zu verstehen, was sie mir mitteilen wollen. Es scheint etwas Wichtiges zu sein. Wortfetzen dringen in meine dumpf rauschenden Ohren: Felix – passiert - komm schnell.

      Wie in Trance ziehe ich mein Top über, raffe meine Badelatschen und mein Handtuch zusammen und gehe zum Tor vom Campingplatz, während Dusty aufgeregt vor mir her springt.

      „Nun komm doch etwas schneller“, Fleur stampft aufgeregt mit dem Fuß auf.

      „Was ist denn los?“ frage ich verwirrt, als ich fast bei ihnen angelangt bin.

      „Felix ist verschwunden“, sagt Pauline mit völlig verstörtem Gesichtsausdruck.

      „Keiner weiß, wo sie ist“, fügt Fleur hinzu und schaut mich mit angstvoll geweiteten Augen an.

      Ganz langsam dringt der Sinn ihrer Worte in mein trunkenes Glücksgefühl und kämpft sich einen Weg durch die rosarote Wolke, auf der ich gerade schwebe. Ich will mein Glück festhalten, das Gefühl in mir bewahren, aber ich kann es nicht verhindern, dass mein Verstand sich schwerfällig auf die Realität einstellt. Es ist wie ein Sturz aus berauschenden Höhen in tiefes, dunkles, eiskaltes Wasser.