Christiane Weller / Michael Stuhr

Gesamtausgabe der "silent sea"-Trilogie


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beneide ich sie fast dafür. So cool müsste man sein.

      Ich schaue mir meine beiden Mitstreiterinnen und die anderen Mädchen im Raum an und betrachte mich selbst kurz im Spiegel. Wir sehen gut aus, ganz ohne Frage, richtig toll sogar, aber im Badeanzug mit High Heels? Das sind nicht wir. Wir stehen hier rum, wie die mühsam auf Hochglanz gequälten Models in der Vogue oder sonstigen Magazinen. Wirklich prima! Erlebt man nicht alle Tage, aber wo bleiben wir bei diesem Zirkus, in dem B – H - T wichtiger sind als alles andere?

      Zwei junge Frauen, kaum älter als wir, kommen herein und übernehmen das Kommando. Die eine von ihnen habe ich doch eben in der Disco als Serviererin gesehen? „Zuerst alle nacheinander auf den Catwalk, bis zum Ende, links rum wenden und wieder hinter den Vorhang!“, bekommen wir mitgeteilt. „Im Einzeldurchgang dann sofort zurück hierher zum Umziehen.“

      Zeit für Fragen bleibt nicht, denn da öffnet sich auch schon wieder die Tür und der Typ von eben schreit in die Garderobe: „So, raus mit euch! In der Reihenfolge der Nummern. Hopp, hopp!“

      Charmant! Genauso hatte ich mir das vorgestellt. Trotzdem hopphoppele ich brav mit den anderen in den Gang hinter der Bühne. Ich habe die Laufnummer Elf, während Felix die Acht hat. Celine marschiert mit der Zwei fast vorneweg und als sie sich nach uns umschaut, kann ich an ihrem Gesicht ablesen, dass der Platz ihr gefällt.

      In dem schwach beleuchteten Gang hinter dem Bühnenvorhang ist es, wenn möglich, noch stickiger, als in dem Garderobenzelt am Strand. Ich spüre, wie sich ein Schweißtropfen zum Haaransatz herunterarbeitet. Nicht gut! Ich tupfe ihn mit der bloßen Hand weg, bevor er mir eine Furche in das Make-up ziehen kann.

      Vorne in der Disco wechselt die Musik, wird leiser und eine Männerstimme ertönt. Zwei, drei Minuten lang erklärt der Moderator dem Publikum, was jetzt kommt, während Schweißtropfen um Schweißtropfen auf meine makellos abgepuderte Stirn zusteuert.

      „Bei Missparade geht’s los!“, klären die beiden jungen Frauen uns auf, und da kommt auch schon das Stichwort: „Und hiiier unsere Missparadeee!“, jubelt die Lautsprecherstimme.

      Ähnlich wie am Strand geht es im Fünfmeterabstand über die Bühne zum Ende des kurzen Catwalks und zurück. Unwillkürlich kneife ich die Augen zusammen, als ich hinter dem Vorhang hervorkomme. Etwa sechsunddreißigtausend brutal helle Scheinwerfer sind auf die Bühne gerichtet. Der Saal dahinter wirkt tiefschwarz und ich kann noch nicht einmal die Gesichter in der ersten Reihe richtig erkennen. Trotzdem stiefele ich dem Mädchen vor mir tapfer hinterher.

      Ups! Das Mädchen vor Celine ist auf dem schmalen Catwalk falsch herum abgebogen, und alle sind ihr gefolgt. Wenn wir hinter den Bühnenvorhang zurückwollen, müssen wir den Gegenverkehr kreuzen. Bei fünf Meter Abstand sollte das eigentlich klappen, tut es aber nicht. Das Mädchen vor mir wird von einer gerammt, die zurückkommt und beide müssen auf ihren hochhackigen Schuhen ein paar höchst ungrazile Schritte machen, um auf den Beinen zu bleiben.

      Das Publikum johlt und lacht schadenfroh, aber ich komme unbeschadet wieder hinter den Vorhang. Hauptsache! Nach mir die Sintflut!“

      Als alle Mädchen durch sind, quasselt sich der Moderator wieder ’nen Wolf und als er endlich fertig ist, darf die Erste von uns alleine raus. Der Conferencier stellt sie mit Namen und Nummer vor und statt Applaus wie am Strand gibt es Gejohle aus dem Publikum.

      In mir krampft sich etwas zusammen. Plötzlich komme ich mir vor, als solle ich splitternackt da rausgehen. Das kann auch nicht viel schlimmer sein.

      Celine ist dran und zischt auf die Bühne wie am Band gezogen. Sie ist für so etwas gemacht, ich nicht.

      „Und hier die bezaubernde Nummer zwei: Celine!“, tönt der Moderator und die Musik wird wieder lauter.

      Die Nummer eins drängt sich an uns vorbei in die Garderobe, um sich umzuziehen, während die drei schon startet. Das geht hier wie am Fließband.

      Ich bekomme kaum mit, dass Felix auch schon draußen war und plötzlich gibt mir eine der jungen Frauen einen Schubs. Vollautomatisch wie eine Laufpuppe stakse ich auf die Bühne und auf den Catwalk zu.

      „Und hier die bezaubernde Nummer elf: Laanaaa!“, schreit der Conferencier. Er hat bislang alle so vorgestellt. Für den sind wohl alle bezaubernd.

      Es läuft hervorragend. Ich knicke nicht um, ich falle nicht hin und sogar der Mittelfinger funktioniert einwandfrei, als ein paar angetrunkene Typen aus der ersten Reihe „Zeig sie uns! Zeig sie uns“ brüllen. Das bringt mir sogar einen echten Zwischenapplaus.

      Am Ende des Catwalks nehme ich kurz eine Pose ein, die ich mir ausgedacht habe: Standbein gerade, Spielbein leicht angewinkelt, Hand in die Hüfte und den anderen Arm wie in Siegespose angehoben. Soll sexy aussehen und tut es wohl auch.

      „Klasse!“, kommt es aus der Schwärze vor mir und: „Super!“, da sehe ich auf einmal Diegos Gesicht direkt unter mir in der ersten Reihe. Er lächelt mir aufmunternd zu und applaudiert.

      Nein, ich lasse mich nicht irritieren. Mit einem hoffentlich elegant wirkenden Schritt drehe ich mich um und schwebe von dannen. Der Applaus gibt mir Recht. Zumindest dieser Auftritt ist gelungen.

      Der Harlekin hat sich mittlerweile aus der Garderobe verzogen.

      Jetzt aber flink! Raus aus den High Heels, raus aus dem Einteiler, Slip an, rein in den Safarianzug, Turnschuhe an. Fertig! Die Garderobenfrau hilft mir, die Preisetiketten zu verstecken und die Laufnummer da anzubringen, wo sie die Optik nicht stört. Da kommt auch schon das nächste Mädchen rein.

      Hektik pur! Beim Umziehen reißt meine Konkurrentin sich einen Träger vom Badeanzug ab und heult sofort los. Wir zupfen schnell ein paar Papiertücher aus der Box und raten ihr, die zerknüllt auf die Augen zu pressen, bevor die Tränen das ganze Make-up ruinieren. Pauline zaubert eine Sicherheitsnadel aus ihrem Köfferchen und wir befestigen damit den Träger so gut es geht. Solange ich kann helfe ich dabei, sie umzuziehen. Sie selbst kann ja nichts machen. Jetzt bin ich auch noch Mutter Theresa von die Disco, wie Felix wohl sagen würde, wahrscheinlich mit einem „Crazy!“ garniert.

      Die wird übrigens gerade angesagt und ich muss los. Nur noch zwei Mädchen vor mir. Ich flitze durch die offene Tür in den Gang und stelle mich an.

      Diesmal sehe ich Diego sofort. Er steht immer noch an derselben Stelle und applaudiert schon, als ich die Bühne erst halb überquert habe. Seine Nachbarn fangen an, es ihm nachzumachen und die Welle setzt sich durch die ganze Halle fort.

      Danke, Diego! Ich schwebe ihm förmlich entgegen.

      „... bezaubernde Lana in diesem bezaubernden Safarianzug von ...“, kommt es aus den Lautsprechern und ich nehme wieder kurz meine sexy Pose ein. Von den Schreihälsen von eben ist nichts mehr zu hören und was mir entgegenschlägt ist ehrlicher, begeisterter Applaus.

      Diego zwinkert mir zu und ich zwinkere zurück. Dann lege ich einen Abgang hin, der sich bestimmt sehen lassen kann. Der Safarianzug macht nämlich einen schönen Po und ich kann die Blicke in meinem Rücken förmlich spüren.

      Noch besser wird der Auftritt in dem Abendkleid. Diesmal muss Diego gar nicht nachhelfen. Meine Oberschenkel blitzen zwischen den Zipfeln hervor, der Funke springt sofort über und donnernder Applaus schlägt mir entgegen.

      Siegerpose, Diego zuzwinkern und wieder zurück. Ich komme mir vor, wie ein Profimodel. Bin ich ja eigentlich auch schon.

      So! Fast Feierabend. Jetzt wieder rein in den Einteiler und dann die Entscheidung der Jury abwarten. Ich hocke mich in die Garderobe und ziehe mich in aller Ruhe um.

      Ein Blick in den Spiegel sagt mir, dass das Make-up gar nicht so sehr gelitten hat, aber Pauline besteht darauf, es nachzubessern. Ich bin so gut drauf, dass ich ihr spontan ein Küsschen auf die Wange gebe, als sie sich zu mir herabbeugt. „Danke!“

      Felix hat sich selbst mit einer kleinen Gesichtsauffrischung versorgt und macht den Platz vor dem Spiegel nun für ein anderes Mädchen frei. Sie trägt auch schon wieder ihren Einteiler und hohe Schuhe; nur das Haar wartet noch auf das Krönchen, das jemand von der Jury gleich darauf setzen wird. Sogar ich rechne mir diesmal