Christiane Weller / Michael Stuhr

Gesamtausgabe der "silent sea"-Trilogie


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sie on the top gewesen, wenn auch nur als Opferlämmer. Aber das wussten sie ja nicht.

      „Na, war er gut?“, fragte Adriano seine Schwester, als die voll unter Alkohol und sonstigen Drogen stehende Bande über den Kai davonwankte.

      „Wer?“ Dolores rückte ein wenig dichter an ihren Bruder heran.

      „Der Typ der dir so gefallen hat. Der an der Tür zum Achterdeck war – Jean-Jaques, oder wie der heißt.“

      „Ach, den habe ich noch nicht einmal erkannt. Aber die Schwarzhaarige hat Feuer! Ich hab mich gefühlt, als sei ich an eine Heizung angeschlossen. Das war ein Häppchen nach meinem Herzen!“

      „Bei denen funktioniert es nun mal am besten.“

      „Ich habe nur ein einziges Mal in meinem Leben ein noch stärkeres Gefühl gespürt.“

      „Es ist vorbei!“ Adriano rückte von ihr ab. „Wirst du das je begreifen?“

      „Begreifen vielleicht, vergessen nie!“

      „Wir fahren heute Abend ins Les Sables.“

      „Oh! Hast du eine Geburtstagsparty für mich arrangiert?“

      „Könnte man so sagen, aber man könnte es auch ein Festmahl nennen.“

      „Mein Geschenk? Wie sieht es aus? Sag schon!“

      „Das Spiel heißt eins aus Fünfzehn“, grinste Adriano, „Und diese Lady ...“ Er fiel für einen Moment in die Rolle eines Entertainers und zeigte mit großer Geste auf Dolores. „... hat die freie Auswahl!“

      „Eins aus Fünfzehn?“

      „Fünfzehn hübsche, junge Mädchen, die an der Wahl zur Teen-Miss-Port-Grimaud teilnehmen, und du kannst die aussuchen, die dir am besten gefällt. Die bekommst du!“

      „Ich nehme sie mit in unser Haus am Hafen. Ich will mehr, als nur ein Häppchen, das weißt du.“

      „Sei trotzdem vernünftig“, warnte Adriano. „Lass noch so viel Leben in ihr, dass es nicht sofort auffällt. Ich bringe sie dann fort.“

      „Ja, ja!“ Mit unwillig verzogenem Gesicht betrachtete Dolores ihren Bruder, der zum Barschrank ging. „Ich würde das jetzt nicht tun!“

      „Wieso? Ich hab jetzt frei.“ Adriano nahm sich eine Flasche Wodka und drehte den Verschluss auf. „Ich hab dir deine Häppchen besorgt, dein Geschenk wartet auf dich und ich, ich hab genug von dem ganzen Mist.“ Er goss sich etwas von der klaren Flüssigkeit in die hohle Hand und verrieb sie auf dem Unterarm. Schnell wechselte er die Flasche in die andere Hand und wiederholte die Prozedur.

      Die Wirkung setzte schlagartig ein. Seine Haut riss den Alkohol in sich hinein, als sei es die Lebenskraft eines seiner Opfer und innerhalb von Sekunden war er betrunken.

      „Die Wahl ist zwischen Zehn und Elf“, brachte er noch heraus, bevor er in sein Schlafzimmer taumelte „Weck mich einfach rechtzeitig. – Und ruh dich auch ein wenig aus“, riet er seiner Schwester noch. „Es könnte eine lange Nacht werden.“

       16 LES SABLES

      Gegen neun Uhr lenkte Diego den Porsche auf den Parkplatz des Les Sables. Er hätte auch direkt vor den Haupteingang fahren können. Ein Angestellter hätte den Wagen dann eingeparkt und auch wieder vor das Portal gebracht, wenn er fahren wollte. Bewusst verzichtete er darauf, diesen Service in Anspruch zu nehmen, den die Nobeldisco ihren prominenten Gästen bot. Er wollte hier draußen auf Lana warten, um ihr schnell noch Glück zu wünschen. Der Shuttlebus, der die Siegerinnen von den einzelnen Campingplätzen hierher brachte, musste jeden Moment ankommen.

      Diego ging an den Rand des Parkplatzes, setzte sich halb auf eine Absperrung und behielt die Straße im Auge. Das Les Sables hatte gerade erst geöffnet und er hatte genau den richtigen Moment abgepasst, denn Fahrzeuge aller Fabrikate und Preisklassen kamen die Straße entlang und bogen auf den großen Parkplatz ein. Schon nach wenigen Minuten wurde es eng im vorderen Bereich, und die ersten Fahrer begannen schon zu kreisen, um einen Platz möglichst nah am Haupteingang zu ergattern.

      Es gab einen kleinen Rückstau, und als der Shuttlebus endlich auftauchte, war es bereits Zehn nach Neun. Schwerfällig schob sich der Bus an die Seite des Gebäudes und stoppte direkt vor dem Seiteneingang für die Lieferanten.

      Diego war dem Wagen ein paar Schritte weit gefolgt und wartete darauf, dass Lana ausstieg. Einige der Mädchen schienen ein wenig enttäuscht zu sein, dass sie hier keinen Auftritt wie bei einer Oscar-Verleihung bekamen. Diego schnappte Wortfetzen auf: „... Lieferanteneingang! Bin ich eine Kiste Wasser?“, „... roten Teppich hätte ich schon gerechnet!“, „Wo sind denn die Fotografen? Ist kein Fernsehen da?“

      Lana war nicht dabei. Diego suchte die Gruppe nochmals ab, aber der blonde Haarschopf war nirgends zu entdecken. Dafür entdeckte die kleine Schwarzhaarige, die Lanas Tanzpartnerin gewesen war, ihn. Sie löste sich aus dem Pulk, der sich auf den Eingang zuschob und kam mit schnellen Schritten auf ihn zu. „Du bist Diego“, stellte sie fest.

      „Ja!“ Diego rang sich ein Lächeln ab.

      „Lana kommt later!“, sagte Felix. „Ihr Dad kommt mit die Auto.“

      „Danke.“ Diego nickte ihr freundlich zu.

      „Du liebst mich nicht!“, behauptete Felix.

      Diego brauchte einen Moment um zu begreifen. „Du meinst, ich mag dich nicht.“

      „Right!“, nickte Felix. „Warum?“

      Diego war von dieser direkten Art völlig überrumpelt. „Du, äh, du kannst nichts dafür.“ Er sah Felix ins Gesicht. „Es liegt nur an mir.“

      „Bad reminds?“ Felix kniff die Augen ein wenig zusammen.

      „Ja, schlechte Erinnerungen.“

      „Ich bin nicht schuldig?“

      „Nein, bist du nicht!“

      „Gut!“ Felix drehte sich um und eilte der Gruppe nach, die sich durch den Lieferanteneingang drängelte. Sie schaffte es gerade noch durch die Tür zu huschen, bevor sie zufiel.

      Diego wunderte sich. Diese Felicitas war eigentlich ganz in Ordnung, wenn sie ihn mit ihrer Frage auch ein wenig aus dem Takt gebracht hatte. Gerade das gefiel ihm sogar. In gewissem Sinne hatte sie so gehandelt, wie Sochon, sein Onkel. Sie hatte etwas wissen wollen und nicht lange rumgeredet. Sie war auf geradem Weg auf ihr Ziel losgegangen, hatte in ihrer freundlichen, natürlichen Art einfach gefragt und erfahren, was sie wissen wollte. Eine junge Frau, die wirklich Format hatte und bestimmt eine tolle Freundin für Lana. Was machten da die uralten, bösen Erinnerungen an ein ähnlich aussehendes Mädchen schon aus?

      Heute war wohl so ein Tag, an dem es viel zu lernen gab, stellte Diego fest. Zum ersten Mal hatte er so ein Mädchen wirklich wahrgenommen und nicht nur als Unglücksbotin aus der Vergangenheit angesehen. Er würde sich über kurz oder lang endgültig aus dieser Falle befreien, das nahm er sich fest vor.

      Mit diesem Gedanken wandte Diego sich der Straße zu und ging zum Haupteingang der Diskothek. Wenn Lana sich von ihrem Vater bringen ließ, wäre es nicht unbedingt eine gute Idee gewesen, die beiden auf dem Parkplatz zu überfallen. Schließlich kannte er den Mann noch nicht und er wollte Lana nicht unnötig in Schwierigkeiten bringen.

      Die Schlange, die sich vor dem Eingang des Les Sables gebildet hatte, war schon ziemlich lang. Die Armbändchen, die heute an die Gäste ausgegeben wurden, waren tiefblau. Diego verzichtete darauf, sich eines zu holen. Er konnte hier sowieso ein und aus gehen, wie er wollte, ohne dass ihn jemand kontrollierte. Ein paar der Wartenden murrten natürlich, als er einfach so an ihnen vorbeiging, aber das Personal grüßte freundlich. Einer der Männer klinkte das kurze Seil aus, das den VIP-Eingang versperrte. Zwar wurde Diego hier nicht wie Adriano direkt zu den Stammgästen gerechnet, aber als Sohn eines in Grimaud ansässigen Großreeders war er dem Personal natürlich bekannt. Man rechnete