Christiane Weller / Michael Stuhr

Gesamtausgabe der "silent sea"-Trilogie


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in den Laden kamen.

      Aus der Haupthalle der Disco kamen schon die wummernden Bässe der Musik, während sich im Foyer allerlei Stände mit den verschiedensten Angeboten breitgemacht hatten. Hier konnte man sich noch zu Wahnsinnspreisen mit Modeschmuck, stylischen Sonnenbrillen, schriller Kleidung und billigen Armbanduhren im Nobel-Look für den Abend eindecken. Manche der Gäste taten das auch. Einzig der Stand, an dem Piercings, Tattoos und ähnliches angeboten wurde, war überhaupt noch nicht besucht, aber seine Zeit würde kommen. War der Alkoholpegel der Gäste erst mal ausreichend hoch, würden sich hier garantiert ein paar Verrückte wegen irgendeiner Wette sogar ein Branding oder ein Narbentattoo verpassen lassen.

      Diegos Welt war das nicht. Ohne die Stände zu beachten, schlenderte er durch den großen Vorraum und blieb an der Tür zur Haupthalle stehen, bis seine Augen sich an das gedämpfte Licht gewöhnt hatten.

      Die Halle hatte etwa die Größe eines halben Fußballfelds und die paar Leute, die schon da waren, vermochten sie nicht mit Leben zu füllen. Ein paar Gäste hatten sich Plätze in den Couchgruppen gesucht, die hier und da herumstanden, oder standen an einer der vier Bars in den Ecken des Raums. In der Mitte der hinteren Hallenwand hatte der DJ sein Reich auf einer halbrunden Bühne, die noch Platz für kleine Showacts bot. Im Moment spielte er ein wenig an den Reglern seiner Anlage herum und ließ ein paar Lichteffekte über die Tanzfläche laufen. Bei den wenigen Leuten in der Halle wäre es völlig witzlos gewesen, Stimmung erzeugen zu wollen, aber es wurde von Minute zu Minute besser. Hinter Diego drängten immer neue Gruppen von Gästen nach.

      „Hallo Diego!“ Der Besitzer des Les Sables hatte den neuen Gast entdeckt und brach sofort das Gespräch mit ein paar Touristen ab, mit denen er zusammengestanden hatte. Freudestrahlend kam er auf Diego zu. „Schön, dich mal wieder hier zu sehen!“

      „Hallo Vincent!“ Diego reichte dem Mann die Hand. „Ich habe viel zu tun im Moment, aber so ein kleiner Besuch zur Entspannung muss ja auch mal sein.“

      „Ja, die Arbeit!“ Vincent nickte verständnisvoll. „Aber dann freut es mich um so mehr, dass du gerade hierher gekommen bist.“

      „Wohin denn sonst?“, grinste Diego. „Ich halte es da mit Oscar Wilde. Ich habe einen ganz einfachen Geschmack: Immer nur das Beste!“

      „Das ist gut!“, freute sich Vincent über die uralte Anekdote. „Nur das Beste! Das ist gut! Such dir einen schönen Platz und lass es dir gut gehen. Soll ich dir Gesellschaft schicken? Ich hab ein paar neue Mädchen da.“

      „Nicht nötig“, wehrte Diego ab. „Ich komme zurecht.“

      „Genieß den Abend, und wenn irgendwas ist, dann lass es mich wissen. Der alte Vincent kümmert sich!“

      „Klar doch!“ Froh, Vincent so schnell losgeworden zu sein, wandte sich Diego der Treppe zu der Plattform zu, die sich baugerüstartig in etwa vier Meter Höhe kreuz und quer durch die Halle zog. Da oben gab es einige Sitzecken, von denen aus man einen guten Überblick hatte. Ideal, um die Zeit totzuschlagen, und etwas Anderes hatte Diego hier auch nicht vor. Der Laden gefiel ihm nicht sonderlich und Vincent mit seinen sehr intensiven Mafia-Kontakten war ihm höchst unsympathisch. Der einzige Grund heute hier zu sein, war die Wahl, die in etwa einer Stunde beginnen sollte. Hoffentlich war Lana dann auch wirklich dabei.

      Unten auf der Bühne begann das Vorprogramm. Von kaum jemand beachtet zeigte da ein Jongleur im Harlekinkostüm sein Können. Erst als er mit sieben brennenden Fackeln gleichzeitig hantierte, wandten sich ihm ein paar Gesichter mehr zu. Er beendete seine Vorstellung damit, dass er ein paar Feuersäulen in den Raum spie, was ihm dann doch eine erhöhte Aufmerksamkeit bescherte. Ihm und den Notausgängen, aber die waren so dezent gestaltet, dass sie von den Gästen kaum entdeckt werden konnten.

      Der Harlekin löschte hastig ein paar züngelnde Flämmchen auf seinem Kostüm, verbeugte sich und machte ein paar Tanzmädchen Platz, die die Gäste schon mal ein wenig in Stimmung bringen sollten. Applaus gab es keinen für ihn, aber der wäre sowieso in den permanent auf die Tanzfläche einhämmernden Beats untergegangen.

      Diego ging über die baugerüstartigen Stege zu einer der Sitzinseln, die hoch über dem Boden der Halle ein wenig Abgeschiedenheit boten. Er setzte sich auf eine der Couchen, von der aus er den ganzen Laden im Blick hatte.

      An einer der Seitenwände war das Szenario aufgebaut, das dem Les Sables den Namen gegeben hatte: Ein gutes Stück Strandpanorama mit Sand, künstlichen Pinien und einem großen Wasserbecken. Dort würden weit nach Mitternacht die Miss-Wet-T-Shirt–Wettbewerbe und Schaumpartys steigen.

      Ohne dass er auch nur ein einziges Wort gesagt hätte, brachte ihm ein Serviermädchen eine Flasche Evian-Wasser. Man konnte von Vincent ja halten, was man wollte, aber er hatte ein gutes Gedächtnis und kümmerte sich wirklich gut um seine Gäste. – Um die wichtigen jedenfalls.

      Das Mädchen stellte Flasche und Glas auf den flachen Tisch vor Diego und fragte, ob es sonst noch etwas sein dürfe. Diego verneinte und bedankte sich, was ihm ein bezauberndes Lächeln einbrachte. Allerdings war er dagegen völlig immun, denn er dachte schon wieder an Lana. Warum war sie eigentlich nicht im Shuttlebus gewesen?

       17 TEEN-MISS-PORT-GRIMAUD

      Mein Vater stoppt unseren Peugeot vor dem Les Sables. „Denk dran. Halb Zwölf hier vor dem Haupteingang!“

      „Ja, ja!“, brummele ich und will die Tür öffnen, als ich seine Hand auf meiner Schulter spüre.

      „So nicht!“, sagt er. „Versuchen wir es nochmal: Um halb Zwölf genau hier! Verstanden?“

      „Ja, entschuldige“, murmele ich kleinlaut und versuche ein Lächeln. „Versprochen!“

      „Hab Spaß, Kleines.“ Er beugt sich zu mir herüber und gibt mir einen Kuss auf die Wange. „Pass auf dich auf!“

      „Mach ich!“ Ich bin entlassen und klettere aus dem Wagen. Während Papa weiterfährt, steuere ich auf den Eingang zu und sehe, dass sich da ein Riesenpulk gebildet hat. Alles Leute, die da reinwollen.

      Ich umgehe die Menge seitlich und sehe, dass es noch einen kleinen, abgeteilten Eingang gibt, der nur mit einem Seil abgesperrt ist. Allerdings steht da so eine Art Bodybuilder mit Headset, der mir grimmig entgegenschaut.

      „Ich bin Lana Rouvier und muss zur Misswahl“, erkläre ich ihm und warte darauf, dass er das Seil ausklinkt.

      Der Typ denkt gar nicht daran. „Netter Versuch!“, meint er und grinst. Natürlich weicht er keinen Schritt zur Seite. Der glaubt doch ernsthaft, dass ich mich hier reinmogeln will, um die zwanzig Euro Eintritt zu sparen. „Stell dich hinten an, da biste richtig!“ Er zeigt auf das Ende der Schlange.

      „Mann, ich muss da rein! Ich gehöre zur Show!“, zische ich. Ich bin total nervös und es klingt viel aggressiver, als ich wollte.

      „Jetzt verschwinde!“ Er greift hinten unter der Jacke an seinen Gürtel und ich sehe mich schon, wie ich mich mit Pfefferspray eingenebelt auf dem Bürgersteig krümme. Eigentlich bin ich ja hier, um den Hauptpreis zu holen, aber den habe ich mir etwas anders vorgestellt.

      „Mann, ich lüge nicht! Mindestens ein Mädchen fehlt noch. Rufen Sie doch hinten an. Ich bin Lana. – Lana Rouvier!“

      Der Mann sieht mich mit hochgezogenen Augenbrauen an. Er glaubt mir kein Wort, aber dann lässt er sich doch dazu herab, sein Funkgerät zu aktivieren. „He, Paul“, spricht er in das Headset. „Sieh doch mal im Hühnerstall nach, ob da ein Küken fehlt! Hier vorne steht so’n Chick, das noch rein will.“

      Ich könnte platzen vor Wut. Am liebsten würde ich dem Kerl eine scheuern, aber der Gedanke an das Pfefferspray hält mich zurück.

      Wir warten eine Minute, zwei Minuten und starren uns an. Der Kerl lässt mich hier am langen Arm verhungern. Mein Innendruck steigt in gefährliche Höhen. Gleich platzt mir die Schädeldecke weg. Ich habe keine Zeit, verdammt. Ich bin sowieso schon viel zu spät.

      Plötzlich kriegt der Kerl so einen seltsam versonnenen