Christiane Weller / Michael Stuhr

Gesamtausgabe der "silent sea"-Trilogie


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mich dazu entschließen können, damit aufzuhören.“

      „Du verjüngst dich nicht mehr?“

      „Ich altere und werde sterben, so wie meine Frau. Aber das soll ein Geheimnis sein zwischen dir und mir.“

      „Du hattest eine Frau? Wann ist sie gestorben?“

      „Vor sehr langer Zeit. Sie hat es immer abgelehnt, sich zu verjüngen. Ich habe es mit angesehen, wie sie alterte und starb, während ich ein junger Mann blieb, aber ich habe sie bis zu ihrem letzten Tag geliebt. Ich wäre ihr gern gefolgt, aber damals war meine Gier nach Leben stärker.“

      „Hast du je getötet, um neue Lebenskraft zu bekommen?“

      „Oh, ja! Einen Krieger, der Gefallen daran gefunden hatte, seinen Gefangenen die Augen auszustechen, einen Kaufmann, der seine Tochter geschändet und ermordet hatte – Willst du mehr wissen?“

      „Aber keine Unschuldigen?“ Diego ging nicht auf die Frage ein.

      „Wer kann das wissen? Unsere Prediger reden gern von der Alten Schuld. Vielleicht habe ich etwas davon auf mich geladen, vielleicht auch nicht. Würdest du mich dafür verurteilen wollen?“

      „Ich denke, nein. Für mich kommt so ein Leben aber nicht in Frage. Diese Gabe, die wir haben, ist für mich ein Fluch und eine Bedrohung, aber ich werde es lernen, sie nicht anzuwenden; und ich werde mein Leben so gestalten, wie ich es will – nicht, wie mein Trieb es von mir fordert!“

      „Gesprochen, wie ein König“, stellte Sochon fest. „Aber die Zeit verändert mehr als du denkst „Narren werden weise und Weise werden zu Narren. Wer kann schon sagen, wer gerade was ist?“

      „Ich danke dir“, Diego erhob sich von seinem Stuhl und deutete eine Verbeugung an.

      „Aber ich konnte dir nicht helfen“, wandte Sochon ein.

      „Du hast mir gezeigt, dass die Lösung des Problems aus mir selbst kommen muss. Niemand sonst kann das für mich tun und es gibt auch kein Geheimrezept.“

      „So ist es! Machs gut, mein Junge.“

      „Hoheit!“ Mit einer letzten Verbeugung wandte Diego sich ab und ging um das Haus herum zum Parkplatz. Er startete den Wagen und das Tor öffnete sich automatisch. Langsam ließ er den Porsche auf die Straße rollen und fuhr in Richtung Port Grimaud. Lana war schon wieder in seinen Gedanken, aber es würde schwierig bleiben, sie für sich zu gewinnen, ohne sie zu gefährden. Wenn schon der König seines Volks keine Lösung kannte ...

       14 HIGH HEELS

      Laut redend und lachend gehen unsere Eltern vor uns her über den Strand. Fleurs Eltern sind zwar etwas enttäuscht, aber es war ja alles nur Spaß. Kichernd und herumalbernd laufen Pauline, Fleur und ich hinter ihnen her. Alain überholt uns, bufft mir leicht in die Seite, gibt mir einen Schmatzer auf die Wange und flüstert: „Klasse!“ Er schaut sich suchend um, breitet seine Arme aus und dreht sich einmal theatralisch um sich selbst: „Aber wo ist denn die Beste aller Besten? Die Schönste aller Schönen?“

      „Die hockt noch im Zelt hinter der Bühne. Sie hat ihre Oma angerufen, um ihr zu sagen, dass sie Erste geworden ist. Und peng, erzählt ihr jetzt die Oma was. Das kann dauern, meint sie.“ Fleur grinst. „Klassischer taktischer Fehler!“

      „Puh, wie unromantisch!“ Alain schüttelt sich und rennt davon.

      Wir müssen alle lachen, als wir weitergehen. Fleur schüttelt grinsend den Kopf „Was für ein Spinner. Crazy!“

      Muss ich mir jetzt Sorgen um Fleur machen? Ihr Zwinkern verrät mir aber, dass es nur eine gewollte Parodie war.

      Heute Abend wird eine Flasche vom Besten geköpft, darin sind sie sich unsere Eltern einig. Was das Beste sein wird. müssen sie noch entscheiden. Paulines Vater wendet sich zu uns um und zeigt uns stolz einen hoch gestreckten Daumen. Schon jetzt sieht sein von der Sonne beschienenes Gesicht sehr rot aus. Wie viel vom Besten hatte er denn schon? Mein Vater sieht leider auch nicht viel besser aus. Aber dafür kann er noch besser angeben. Kaum sind wir auf Neptune zurück, geht es schon los.

      Er ist so stolz, als hätte er mich ganz allein gemacht. Im Moment macht er Monsieur Bardane Konkurrenz, läuft herum und erzählt allen überall, was für eine tolle Tochter er hat. Ob sie es hören wollen, oder nicht. Papa, wie peinlich!

      Didier ist da wesentlich cooler. Er hat sich gleich nach der Wahl mit seiner Luftmatratze an den Strand verzogen und denkt wahrscheinlich überhaupt nicht mehr an mich. – Ich weiß nicht, was mir lieber ist.

      Das ist aber im Moment eigentlich auch völlig egal, ich habe nämlich ein ganz anderes Problem: Ich brauche für heute Abend High Heels! Und zwar so schnell wie möglich, am liebsten vorgestern. Papa drückt mir nach einigem Murren ein paar Scheine in die Hand. Ja, ja, typisch Papa! Wenn’s an den Geldbeutel geht, hat sich’s was mit der tollen Tochter.

      Zum ersten Mal bin ich froh, dass wir die Blaue Elise mitgenommen haben, denn mit dem Bus oder dem Auto jetzt nach Port Grimaud reinfahren und pünktlich zurückzukommen ist absolut undenkbar.

      Natürlich ist vor dem Ort ein Stau, aber wozu hat man einen Roller? Mit unverminderter Geschwindigkeit lasse ich Elise in die Gasse zwischen den Fahrzeugen schießen. Weit voraus taucht ein großes WoMo auf, das ein wenig zu weit links steht und ich muss zwei entgegenkommenden Motorrädern ausweichen. Egal! Jetzt bloß kein Gas wegnehmen. Fullspeed ist angesagt. Verdammte Hetze! Schnell den Einkauf erledigen und dann zurück zum Platz.

      Elise schießt mit kreischender Maschine auf der mittleren Gasse dahin, wie ein gereiztes Wildschwein, als sich auf einmal die Fahrertür des WoMos öffnet.

      Merde! Ich sehe mich schon mit tausend Knochenbrüchen in der Klinik liegen. Ausweichen ist nicht mehr möglich und Elises Reifen jammern schrill auf, als ich mit allem bremse, was mir zur Verfügung steht. Auf Elises Überlebenswillen ist Verlass. Zehn Zentimeter vor der Innenverkleidung der Tür komme ich zum Stehen.

      Puh! Der Fahrer hat wohl die erste Grundregel der französischen Verkehrsgesetze noch nicht begriffen: Öffne niemals eine Autotür im Stau, denn der Seitenstreifen gehört den langsamen, und der Mittelstreifen den schnellen Motorrädern!

      „Oh, sorry!“, kommt es aus dem Wagen, während der Fahrer mich mit halboffenem Mund fassungslos über die Schulter hinweg anstarrt. Ein Engländer, na klar! Woher soll der auch die Sitten und Gebräuche der Einheimischen kennen? Hastig will er die Tür wieder schließen, aber da steht Elise. Kraftlos bufft die Tür zweimal an den Scheinwerfer.

      Diesen gewaltigen Kasten von Wohnmobil kenne ich doch, und die Gesichter auch. Die Ähnlichkeit mit der hübschen Frau auf dem Beifahrersitz ist nicht zu übersehen. „Hallo! Sie sind die Eltern von Felix, stimmt’s?“, frage ich freundlich und beuge mich ein Stück weit vor, um besser in den Wagen hineinsehen zu können.

      „Felix? Äh, wie? Äh, ja!“, nickt der Mann.

      „Ich bin Lana“, stelle ich mich vor, während eine schwere Kawasaki sich mit röhrendem Auspuff durch die enge Lücke zwängt. „Lana Rouvier.“

      „We haben dich bei der Show geguckt. Du warst good!“, sagt Felix’ Mutter und lächelt mich an. „We müssen schnell noch was Einkaufen.“

      Ich auch! „Es geht weiter.“ Ich zeige nach vorne, wo die Autos wieder zwanzig Meter aufrücken. Die Kawasaki ist natürlich schon außer Sicht.

      „Oh, in deed!“ Felix’ Vater schaut nach vorne und lässt den Wagen anrollen, während das Aufheulen von Elises Motor ihm klarmacht, dass mir an einem weiteren Plausch im Moment nicht gelegen ist; also schließt er im Rollen auch noch die Tür und gibt mir den Weg frei. - Nette Leute, diese Engländer, wenn sie nicht gerade versuchen einen umzubringen!

      Endlich komme ich in Port Grimaud an. Ich stelle den Roller vor der kleinen Brücke ab, eile durch das hohe Tor und weiter über den Außenkanal und den großen Platz zu dem einzigen Schuhgeschäft im Ort. Ich hoffe und bete, dass ich ein paar Schuhe in meiner