Christiane Weller / Michael Stuhr

Gesamtausgabe der "silent sea"-Trilogie


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es, was er empfand, wenn eine lockere Beziehung fester zu werden drohte. Dabei waren durchaus Frauen dabei gewesen, mit denen er sich hervorragend verstanden hatte. Irgendwann war dann aber immer der Punkt gekommen, an dem er sich vorgestellt hatte, wie es sein würde, sie in den Armen zu halten, und sofort war das kleine, graue Gesicht auf dem Rasen wieder vor ihm aufgetaucht.

      Mochten die Frauen von ihm denken, was sie wollten, aber das war dann immer der Augenblick gewesen, in dem jede Möglichkeit eines liebevollen Gefühls in ihm abgestorben war. – Wo er ihnen auf freundliche Art zu verstehen geben musste, dass er an einer intensiveren Beziehung nicht interessiert war. Manche von ihnen waren enttäuscht gewesen, manche hatten ihn sogar beschimpft, und manche hatten vermutet, dass er an Frauen generell nicht interessiert sei, aber verstanden hatte es natürlich keine von ihnen.

      Sollten sie sich doch alle ihre eigene Erklärung suchen; er war jedenfalls nicht bereit, es noch einmal zu riskieren, die Beherrschung zu verlieren und einen Menschen wie im Rausch zu töten, um seine Gier nach dem wundervollen, köstlichen Strom des Lebens zu befriedigen.

      Seit er Lana getroffen hatte, war alles anders geworden. Zum ersten Mal in seinem Leben hatte er einer Frau gegenüber die Initiative ergriffen. Sie war das Ideal, das er immer gesucht hatte, und auch sie hatte ihn vom ersten Moment an gemocht. Es war für Diego so deutlich zu spüren gewesen, dass auch er sie interessierte. Mehr als das: Es hatte sie genauso getroffen, wie ihn selbst. Ohne Vorwarnung und mit voller Wucht.

      Im nächsten Teil der Show waren Allgemeinbildung und Findigkeit der Mädchen geprüft worden. Lana und ihre Mitstreiterin hatten sich hervorragend geschlagen. Der Anblick von Lanas kleiner, schwarzhaariger Partnerin war für Diego schwer zu ertragen gewesen, aber er hatte nur auf Lana geschaut. Seitlich der Bühne hatte er darauf gewartet, ihr nachher gratulieren zu können. Es war ihm völlig klar gewesen, dass sie einen der vorderen Plätze belegen würde, das konnte gar nicht anders sein.

      Und jetzt das!

      Als die Tanzvorführung begonnen hatte, war er gerade dabeigewesen, sich einen freien Platz zu suchen. Beiläufig hatte er dabei zur Bühne geschaut, und plötzlich hatte sich die Welt verengt. Nur ein winziger Ausschnitt war noch zu erkennen gewesen: Nur noch das sonnengebräunte, schwarzhaarige Mädchen in dem orangeroten Bikini, das auf der Bühne tanzte.

      Diego war es schlagartig schlecht geworden, und eine höhnische Stimme hatte sein Denken völlig ausgefüllt:

      Hier! Schau sie dir noch einmal an, die kleine Schwarzhaarige! So würde sie heute aussehen, wenn du sie damals nicht getötet hättest, in deiner Gier. Du hast ihr Leben in dich aufgesaugt, und nun stehst du hier und bereust. Aber davon wird sie nicht wieder lebendig. Sie ist fort für immer und es gibt nur noch diese Marionette auf der Bühne, diese schlechte Kopie, die sich im Takt der Musik bewegt. Die hat das Schicksal allein für dich dorthin gestellt, damit du nie vergisst, wie gefährlich du bist. Du willst Lana für dich gewinnen? Willst du auch sie vernichten? Spürst du wieder den Hunger nach fremdem Leben? Nur zu! Du wirst es schaffen, aber mach dir besser schon mal Gedanken darüber, was du mit ihrer leeren Hülle anfängst. Es sind ja nicht immer Leute da, die das für dich erledigen, Diego!

      Er hatte den Blick nicht von dem winzigen Dreieck des Bikinihöschens losreißen können, und er sah es, wie er es damals im Garten gesehen hatte: Schreiend grell über grauer, faltiger Haut. Die Vergangenheit hatte ihn eingeholt und das hier war ein obszöner Totentanz, aufgeführt, um ihn zu verspotten.

      Wie betäubt war er zwischen den Tischen davon gewankt und hatte sich in das nahe Pinienwäldchen gerettet. Hier war die Musik etwas leiser, aber es hatte eine Weile gedauert, bis das Bild des tanzenden Mädchens endlich aus seinem Kopf verschwunden war.

      Eine neue Melodie erklang und ein neues Tanzpaar war auf der Bühne, wie er mit einem raschen Blick feststellte. Langsam richtete er sich auf, lehnte sich an einen Baumstamm und nahm die Bühne fest in den Blick. Er war hergekommen, um Lana zu sehen. Um sie näher kennenzulernen, und das würde er bei allen Göttern des Meeres auch tun, egal, was seine Erinnerung ihm sonst noch vorspiegeln mochte.

      Das neue Paar auf der Bühne tanzte so unbeholfen, dass hier und da im Publikum ein paar Lacher laut wurden. So etwas wie eine Choreografie gab es nicht und jede hopste mit verkniffenem Gesicht für sich alleine herum. Wäre es wenigstens im Takt der Musik gewesen, hätte man es ja noch akzeptieren können, aber noch nicht einmal das klappte richtig. Die Gesichter waren verbiestert und man konnte sehen, dass sie sich während des Tanzens irgendwelche Bosheiten zuflüsterten.

      Langsam erwachte Diegos Interesse wieder und der Anflug eines Lächelns stahl sich auf sein Gesicht. Es würde für die anderen Paare schwer werden, die Qualität dieser Vorführung noch zu unterbieten. Schlechter konnte man so etwas überhaupt nicht machen.

      Diego lehnte sich bequem an den Baumstamm und wartete ab. Andere Paare zeigten ihr Können zu verschiedenen Musiktiteln und plötzlich war sie da. Lana! - Und da war auch wieder dieses kleine, schwarzhaarige Mädchen bei ihr – Felicitas - wie Diego aus den Lautsprecherdurchsagen wusste. In ihm krampfte sich etwas zusammen und er spürte, wie das Lächeln aus seinem Gesicht glitt. Warum hatte das Schicksal gerade dieses Mädchen an Lanas Seite gestellt? War das nur einer dieser schlechten Scherze, wie sie das Leben manchmal bereithält oder eine Warnung an ihn? Die Musik setzte ein und der Tanz begann.

       12 DER BACKFLIP

      Der Spalt im Vorhang bietet eine hervorragende Aussicht über das Publikum, und ich werde immer nervöser.

      Die Fotografen unten an den Tischen passen mir überhaupt nicht. Wie sie ihre Digicams emporrecken, um nur ja keinen Quadratzentimeter Haut zu versäumen. Am Strand würden sie sich das nie trauen. Aber hier, da dürfen sie ja!

      Lana, rufe ich mich zur Ordnung, nur weil du nervös bist, sind nicht alle Männer mit Digicams automatisch Lustmolche – vor allem nicht mein Vater, der gerade eine Serie von Blitzen auf die beiden Schönheiten unter dem Bühnendach abschießt. Hoffentlich reichen die Batterien dann auch noch für meinen Auftritt.

      Viel mehr stören mich da die Jungen an der Bühnenkante. Müssen die unbedingt da stehen und rumjohlen? Mittendrin kaspert natürlich Alain herum, während Pascal mit dem üblichen, verbiesterten Gesichtsausdruck etwas abseits steht.

      Als nächstes sind Fleur und ihre Partnerin dran. Die Minibikinimädchen kommen erhitzt rein und stellen sich schnatternd und aufgeregt direkt an den Vorhang. „Pscht, leise!“ flüstert die Assistentin ärgerlich und so gehen die beiden kichernd und leise flüsternd in das Garderobenzelt vor den Ventilator.

      Bei Fleur läuft es nicht so gut und wir nehmen sie tröstend in Empfang, als sie traurig zu uns kommt.

      „Das war so eine gequirlte Scheiße, diese Musik, dazu kann einem doch gar nichts einfallen. Und die da“, sie weist auf ihre Partnerin, die sich schmollend in die entgegengesetzte Ecke des Zeltes verzogen hat. „Meint ihr, die hätte meine Anweisungen befolgt? Nichts stimmte! Wie peinlich! Oh Mann!“ Mit schmerzlich verzogenem Gesicht lässt sich Fleur auf einen der Stühle fallen. Pauline rennt, um ihr ein Wasser zu besorgen, während Felix und ich versuchen, sie zu trösten.

      „Komm, mach dir nichts draus, ist doch alles nur ein Spaß“, versuche ich es, aber was ich wirklich denke ist: Wird es uns gleich genauso gehen? Oh nein, ich will hier weg.

      Plötzlich zerrt Felix an meinem Arm. „Du“, sagt sie, „Trauerrede nachher, wir sind gleich dran!“ Mit hektischen Flecken im Gesicht schaut sie mich an und mir wird mit einem Mal richtig schlecht. „Oh Gott!“ stöhne ich gequält auf. „Mir ist ganz übel!“

      „Barf later!“, meint Felix nur. „Komm jetzt!“

      „Viel Glück!“ ruft Fleur und auch Pauline hebt den Daumen lächelnd in unsere Richtung, als sie mit dem Wasser für Fleur um die Ecke kommt.

      Der Moderator kündigt uns mit Vornamen an, wie zwei Stars. Felix ist darüber nicht besonders ‚amused’, weil er schon wieder laut ‚Felicitas’ ins Publikum brüllt. Schließlich wird es still. Wir stehen nebeneinander und warten mit gesenkten Köpfen gespannt auf unsere Musik.