carla de bakel

Luis Lobster und das Geheimnis von Nevermore


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sie eine Nachbarin kennen gelernt.

      »Frau Da Gamba, eine reizende alte Dame. Sie ist Klavierlehrerin und wohnt nur zwei Häuser weiter. Praktisch, nicht wahr? Du sollst heute Nachmittag gleich einmal vorbei kommen.«

      Tolle Neuigkeiten. Heute Nachmittag wollte ich eigentlich meine beiden Dachbodenfundstücke etwas genauer unter die Lupe nehmen. Außerdem hatte ich gehofft, das „Nachmittags - Beschäftigungsprogramm“ für Einzelkinder berufstätiger Eltern würde noch etwas auf sich warten lassen. Mit Sicherheit hatte Mum spätestens morgen heraus gefunden, wo es den nächsten Sportverein, Chinesisch - oder Finnisch - Kurs für Anfänger und einen super kreativen Malkurs gab. Obwohl, Klavier spielte ich tatsächlich ganz gern und das schon seit drei Jahren. Also machte sich der brave Sohn nach dem Essen auf den Weg. Und das war gut so, denn bei Frau da Gamba, die an und für sich schon eine besondere Erscheinung war, habe ich ihn wieder getroffen!

      Ich läutete an der Eingangstür mit dem kleinen Messing-Schild:

      - Klavierunterricht - alle Stufen.

       Viola da Gamba -

      Eine kleine Melodie ertönte, die nicht einfach nur verklang, sondern verrauschte wie eine Welle am Strand. Super Klingel – Sound für eine Klavierlehrerin; vielleicht kann ich mir den mal auf mein Handy herunter laden, dachte ich noch, als sich die Tür öffnete, ohne dass von innen Schritte zuhören gewesen wären. Da stand die zierlichste Frau, die ich je gesehen hatte und begrüßte mich mit meinem Namen, als hätte sie mich in genau diesem Moment erwartet. Das muss die Stadt der Rothaarigen sein, fuhr es mir durch den Kopf angesichts ihrer signalrot leuchtenden Haarpracht, die sie in einem Knoten gebändigt trug. Sie sah gleichzeitig uralt und sehr jung aus, und als sie mir in ihrem fremd aussehenden Gewand voran ging, schien es, als würde sie schweben. Der Eindruck wurde durch ihre eigentümlichen Schuhe verstärkt, die gebogene Absätze hatten und mit halbmondförmigen Spitzen bei jedem Schritt die Luft aufspießten. Wir begannen mit einer kleinen Aufwärmübung, aber leider fühlten sich meine Finger heute an wie Wiener Würstchen.

      »Nicht auf die Tasten schauen, Luis.«

      Bitte sehr, auf ihre Verantwortung. Auch gut, so konnte ich mich ein bisschen in dem Zimmer umsehen, während meine Finger die richtigen Töne suchten. Eine Wand hing voller Bilder: Nur Porträts. Gemalt, gezeichnet, fotografiert. Unter einigen standen Namen:

      - Familie di Langusti

      - Adolfo Scampinelli

      - Ronja van Krebsen

      - Enricus und Fenja Lobster. Pling! Meine Finger griffen erschrocken daneben. Was für ein Zufall. Unser Familienname ist sonst eher selten. In diesem Moment betrat er den Raum. Herr Egon! Er trug ein Tablett mit Limonade und stellte es auf einem Beistelltisch ab. War der Typ etwa der Diener der Klavierlehrerin? Jedenfalls verzog er nun spöttisch das Gesicht und kommentierte mein Können mit »Übung macht den Meister.«

      Vor lauter Genugtuung, dass er kein Produkt meiner Fantasie war, überhörte ich die Beleidigung. Von wegen geträumt, Dad! Herr Egon war also tatsächlich ein Nachbar. Frau Da Gamba lächelte mich mit ihren meerblauen Augen an und legte aufmunternd ihre kühlen Hände auf meine. »Versuch es mit der nächsten Übung. Die hat Mozart mit sechs Jahren komponiert.«

      Komponiert mit sechs! Das war ja wohl der glatte Hohn: Ich war doppelt so alt und nicht mal halb so begabt. Na ja, jedenfalls nicht im Klavierspielen.

      Fünfundvierzig Minuten später (gefühlte fünfundvierzig Stunden) verabschiedete mich Frau Da Gamba mit der Ermahnung, ab jetzt doch regelmäßig zu üben. Und gleich erwarteten mich jede Menge Hausaufgaben. Üben, lernen, üben! Missmutig schloss ich die Haustür auf und fragte mich, wo der Spaß am Leben eigentlich blieb. Ein Zettel von Mum verkündete, dass sie einkaufen war. Das konnte nur bedeuten, dass nicht einmal der Kühlschrank mein Tröster in der Not sein würde. Wider besseren Wissens inspizierte ich ihn: Ein fast leeres Glas, in dem passenderweise noch ein Paar Wiener Würstchen schwamm und ein bereits angebrochener Schokoladenpudding waren die Ausbeute. So mit Proviant versorgt, fühlte ich mich dem Ernst des Lebens besser gewappnet und machte mich an den Aufstieg in mein Zimmer. Bevor ich mich aber dazu überwinden konnte, einen Blick in meine Schulbücher und Hefte zu werfen, nahm ich mein Mathe-Übungsheft aus dem Regal und schrieb eine kurze Aufstellung der offenen Fragen auf, die ich als nächstes mit Max durch gehen musste:

      1. Warum hat Frau Da Gamba einen Diener?

      2. Was hat der mitten in der Nacht auf dem Dachboden

      unseres Hauses zu suchen?

      3. Wer ist dieser kleine Freak und woher kommt er?

      4. Wieso spricht er nur in Reimen, bzw. Sprichwörtern?

      (Ich muss eine weitere Liste anlegen, mit den Sprichwör-

      tern, die er bis jetzt von sich gegeben hat.)

      5. Was hat es mit der Porträtsammlung dieser Klavierlehrerin

      auf sich?

      Kapitel 4

       19.Juni, Dienstag

       Zweiter Schultag; ich komme meinen Klassenkameraden näher, habe „Erscheinungen“ und verliere fast den Verstand.

      Laune heute Morgen - ganz gut. Bis Mum mich fragte, was ich mir zum Geburtstag wünschen würde und mich so an dieses großartige, in drei Tagen bevor stehende Ereignis erinnerte. Freunde - und daher freudelos würde es werden. Ich nannte ihr meinen größten Wunsch: dass mir die Peinlichkeit eines Geburtstagsständchens in der neuen Klasse erspart bliebe. Das machte sie ein bisschen traurig und mich ein bisschen schadenfroh. Schließlich war sie nicht ganz unschuldig an meiner Situation.

      Auf dem Schulweg verdüsterte sich passenderweise der Himmel und kündigte schlechteres Wetter an. Ich hatte schon damit gerechnet, denn jeder meiner bis lang 12 Geburtstage war buchstäblich ins Wasser gefallen. Irgendwann hatten meine Eltern es aufgegeben, Garten- oder Grillpartys für mich zu organisieren. Stattdessen gab es Zirkus -, Theater- oder Kinobesuche. Dieses Jahr würde es weder noch geben.

      Im Lateinunterricht machte ich eine interessante Entdeckung: Um nicht vor Langeweile einzuschlafen, führte ich einen Funktionsdauertest mit dem kleinen, rotgoldenen Hummer durch, den ich an mein Federmäppchen gehängt hatte. Ich bog die beweglichen Panzerglieder rauf und runter, rauf und runter. Es sah aus, als ob das Tierchen lebte. Pamina warf mir schon den zweiten genervten Blick zu, den ich geflissentlich ignorierte. Selbst die gegabelte Schwanzflosse ließ sich drehen und drehen und drehen. Bis es metallisch klickte. Die linke der beiden Griffscheren hatte sich geöffnet, und ein zusammengefaltetes Stück Papier fiel heraus. Ich staunte nicht schlecht. Das Ding war ein Geheimversteck. Ich faltete es behutsam auseinander: Auf dem Papierchen schlängelte sich eine Schlange um kreisförmig angeordnete Zeichen und Symbole und bis sich dabei selbst in den Schwanz. Aus der Mitte grinste mir ein geflügelter Totenkopf entgegen. Sah aus wie eine Geheimschrift oder so. Einige der Zeichen kamen mir bekannt vor. Ich hatte sie vor kurzem erst gesehen und ich wusste auch genau wo.

      Als es zum Schulschluss klingelte, hatte ich es verständlicherweise sehr eilig. Ich stopfte meine Bücher und Hefte in den Schulrucksack, den Hummer mit der Karte vorsichtig in ein Extrafach und drängelte mich an den anderen vorbei. Meine Schritte hallten in dem noch leeren verglasten Laubengang wider. Nur mein Spiegelbild in den Scheiben begleitete mich zum Ausgang. Zugegeben, rote Haare und drei Millionen Sommersprossen waren nun einmal nicht so wirklich cool. Auch an dieser Schule würde ich es wohl kaum schaffen, der neue Schwarm der Mädchen zu werden. Obwohl Pamina schon zweimal mit mir gesprochen hatte. Das erste Mal bat sie mich um einen Radiergummi, das zweite Mal, ich solle doch mit dem Stiftgewackel aufhören; es würde sie ablenken. Meine Überlegungen zum Thema Herzensbrecher wurden bei den Fahrradständern jäh unterbrochen. Alex und Ben lümmelten dort herum. Sie hatten die letzte Stunde geschwänzt, was mir äußerst positiv aufgefallen war. Alex war der Typ „super sportlich“ und modisch immer voll auf der Höhe. Er hatte blonde Strähnen