carla de bakel

Luis Lobster und das Geheimnis von Nevermore


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Modernisierung des Museums nicht zum Opfer gefallen war. Auch hier hingen Kinderporträts, die ich misstrauisch beäugte. Durch kassettenförmig geschliffene Oberlichter fiel Licht auf poliertes Parkett. In der Mitte bildete es die Form einer Windrose. Das würde Mum gefallen, hatte sie doch eine Vorliebe für historisches Ambiente - siehe unser Haus.

      »Na, da ist er ja! Endlich …«

      Klar und deutlich hörte ich die leicht nasale Stimme. Ich drehte mich um, aber außer mir war hier niemand.

      »Ja, genau er! Sei er so gut, und komm er ein bisserl´ näher.«

      Jetzt entdeckte ich den Sprecher, denn er bewegte sich in einem der Bilder. Ein Junge, vielleicht sieben, acht Jahre alt. Er trug eine weiße Zopfperücke und ein fliederfarbenes Jäckchen. Eine Farbe, die Alex noch in seiner Polohemden - Sammlung fehlte. Als ich immer noch nicht reagierte, fuchtelte er mir wild mit einem goldenen Degen vor der Nase herum und fiel vor Eifer fast aus dem Rahmen.

      »Kann er mir seinen werten Namen nennen?«

      »Luis«, antwortete ich baff und nahm die Brille ab. Ich hörte noch ein schrilles »Nein, bitt’ schön nicht !!«, dann war es wieder still, und nichts rührte sich mehr in dem Gemälde. Der Bildunterschrift konnte ich entnehmen, dass es sich um den jungen Johannes Chrysostomus Wolfgang Theophilus, kurz: Wolfgang Amadeus Mozart, handelte. Ein Promi, oho! Ich ging so dicht heran, wie es das rote Seil der Absperrung erlaubte und senkte meine Stimme vorsichtshalber zu einem Flüstern:

      »Ey, Mozart, warst du das etwa? Hast du gerade, eh … mit mir gesprochen?«

      Keine Antwort und erst recht keine Bewegung. Natürlich nicht, Mann. Kopfschüttelnd setzte ich die Brille wieder auf. Bilder pflegten nun einmal nicht zu sprechen, auch nicht, wenn sie berühmte Komponisten darstellten. Obwohl, heute war anscheinend alles möglich.

      »Ja, ja, genau, ich bin’s! Wolfgang Amadeus, er kann auch Wolferl zu mir sagen! Aber lass‘ er ja die Geistersichtgläser auf der Nase, sonst bin ich verloren. Schließlich wart’ ich auf ihn nun schon ein ganzes Weilchen.«

      »Was, auf mich?« Nun blieb mir doch die Luft weg. In diesem Moment betrat eine kleine Gruppe Museumsbesucher den Raum, angeführt von der Dame in Blau. Ich setzte ein möglichst harmloses Gesicht auf, pfiff ein bisschen vor mich hin und tat so, als hätte ich gerade eine SMS bekommen. Mein Gegenüber verdrehte genervt die Augen, schielte dann aber äußerst neugierig auf mein Handy. Die Führung fing am anderen Ende des Saals an und näherte sich uns mit aufreizender Langsamkeit. Das Wolferl fing an mit den Fingern ungeduldig auf seiner Weste herum zu trommeln. Ich sah mich unauffällig um, aber außer mir schien das niemand zu bemerken. Was ich nicht wirklich beruhigend fand.

      »Meine Damen und Herren, junger Mann!« Die blaue Dame schenkte mir ein besonders herzliches Lächeln und stellte sich vor dem Gemälde in Positur: »Hier sehen wir ein Porträt des jungen Wolfgang Amadeus Mozart, eine Leihgabe des Mozartmuseums Salzburg. Mozart ist in einem Gala-Outfit zu sehen, das ein Geschenk der Kaiserin Maria Theresia an den jungen Künstler war. Die kostbaren Kleider stammen von den Kindern der Kaiserin, denen sie nicht mehr passten oder nicht mehr modisch genug waren. Mozart trägt somit Second-Hand-Mode.«

      Dieser rümpfte die Nase und streckte der Dame die Zunge heraus. Ich erstarrte und dachte: Jetzt! Jetzt muss doch jemand aufschreien oder in Ohnmacht fallen - aber, es geschah nichts. Waren die denn alle blind? Stattdessen fuhr die Museumsführerin in ihrem Vortrag fort: »Wolfgang Amadeus Mozart wurde am 27. Januar 1756 in Salzburg geboren; das heißt, er wäre heute wie viele Jahre alt?« Suchend blieb ihr Blick an mir hängen. »Na, junger Mann, du kannst es uns bestimmt sagen …?«

      Ich starrte erst sie, dann wieder Mozart in seinem Bild an. In meinem Kopf ratterten Zahlen.»Zweihundertsechs… undfünfzig.« Aber konnte das denn sein? Ich hatte doch gerade erst mit dem höchstens acht Jahre alten Knirps gesprochen.

      »Wolfgang Amadeus war der Sohn des ehrgeizigen Hofkapellmeisters Leopold Mozart, der ihm schon mit drei Jahren Musikunterricht gab und, als er die Begabung des Kindes erkannte, diesem ein wahnsinniges Übungspensum verpasste.«

      Ein tiefer und vor allem lauter Seufzer erschütterte das Porträt, den außer mir wieder keiner hörte. Die Dame in Blau wandte sich zum Gehen.

      »So, meine Herrschaften, ich darf Sie noch kurz darauf hinweisen, dass in drei Tagen eine der berühmtesten Mozart-Opern bei uns am Stadttheater Premiere haben wird: Der Don Giovanni. Aber nun bitte hier entlang zum Ausgang, und vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!«

      »Da staunt er, was?« Der Knabe in dem Bild starrte mich durchdringend an. »Mit seinem hässlichen Gewand kann er da nicht mithalten, aber seine Schuhe täten mir gefallen.«

      Ich schaute auf meine Füße. Aha, meine alten blauen Chucks hatten es ihm also angetan. Kein Wunder, wenn man sonst in so schrägen Klamotten steckte. Das eben erwähnte Gala-Outfit bestand aus einem Anzug, der aus, wie schon gesagt, fliederfarbenem Stoff gefertigt war. Die Jacke war extrem eng und vermutlich sau-unbequem. Vorne wäre sie auf keinen Fall zum Schließen gewesen, denn sie klaffte gut zwanzig Zentimeter auseinander, sodass man auch die darunter sitzende prunkvolle Weste mit eingewebtem Rosenmuster und die weiße Spitzenkrawatte gebührend bewundern konnte. Weiter unten öffnete sich die Weste und ließ den Blick frei auf die ebenfalls sehr enge, nur bis zum Knie reichende Hose. Die Ärmel sahen aus, als könnte man sich in ihnen kaum bewegen, und aus ihren breiten, verzierten Aufschlägen quoll noch mehr Spitze hervor. Überall an den Rändern waren Goldborten, Goldknöpfe und goldene Quasten zur Verzierung angebracht. Auf halber Wadenhöhe endete das Bild.

      »Endlich sind die Gaffer fort! Und nun hör er mir zu: Er scheint Verbindung zur Feenwelt zu haben, sonst hätte er die Gläser da nicht auf der Nase. Ist er gar der jüngste Nachkomme der großen Feenfamilie Lobster?«

      Hatte der Kerl noch alle Tassen im Schrank? Feenfamilie Lobster? Etwas Komischeres hatte ich schon lange nicht gehört. Ich prustete los und stammelte mühsam und mit Tränen in den Augen: »Mein Nachname ist zwar Lobster, aber …«

      »Dann passt’s schon.«, unterbrach er mich streng. »Er kennt sicher meine Oper Don Giovanni, von der gerade die Rede war?«

      »Ja, also, so direkt eigentlich…«, weiter kam ich nicht. Der Typ ließ einen nie ausreden.

      »Schon gut, der Don Giovanni ist ein Herzensbrecher der übelsten Sorte, und er geht über Leichen, versteht er?«

      Während er mit Mühe seine Arme in der engen Jacke verschränkte und sich so bequem wie möglich in seinem Rahmen zurecht setzte, tauchte vor meinem inneren Auge ein anderer Herzensbrecher auf – Alex. Er kniete mit weiß gepuderter Zopfperücke und zartrosa Seidenhosen vor Pamina, und sein schmachtender Blick sprach Bände. Jetzt öffnete er den Mund, über dem kokett ein schwarzer Schönheitsfleck aufgemalt war, und fing an zu singen. Ich musste grinsen, als ich mir Paminas Gesicht vorstellte.

      »Keine Ahnung, was er daran so amüsant findet!« Ein strenger Blick des kleinen Künstlers strafte mich. »Der Don hat eine Allianz gebildet mit der Königin der Nacht. Das ist wie eine doppelte Ladung negativer Energie. Das Gleichgewicht der vier Welten ist in großer Gefahr, und meine Wenigkeit sitzt noch immer fest in diesem verflixten Bild.«

      Don Giovanni, Königin der Nacht – sonst noch was? Was quatschte der Kerl nur für ein Zeug? Vier Welten - aus welcher Fantasy-Reihe hatte er das bloß? Lauter werdendes Stimmengewirr kündigte bereits die nächste Besuchergruppe an und mein zappeliges Gegenüber fuhr mit einem gehetzten Blick auf die Saaltür fort: »Er muss mich hier herausholen! Es braucht im Ganzen viere. Das heißt, noch einen gleichgesinnten Menschen wie ihn, ferner einen weiteren großen Geist wie mich und von uns je ein bewegliches Teil, stellvertretend sozusagen. Komm´ er mit seinem Kompagnon übermorgen früh vor Sonnenaufgang um Schlag vier hierher. Alles Weitere wird sich dann finden. Ah, da fällt mir noch etwas ein: Solche Schuhe, wie er da trägt, könnt’ er mir mitbringen. Der Maler hat nämlich nur meine halben Beine aufs Bild gekleckst. Die Füß’ waren ihm wurscht. Da, schau er nur!« Anklagend streckte Mozart mir schnell einen nackten und vor allen Dingen nicht sehr sauberen Fuß aus dem Bilderrahmen entgegen. »Geh er nun. Servus, auf übermorgen.«

      Der