carla de bakel

Luis Lobster und das Geheimnis von Nevermore


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Sein Freund Ben sah aus wie eine schlechte Kopie von ihm. Ich ging so schnell und unauffällig wie möglich an den beiden vorbei und schnappte dabei ein paar Fetzen ihres Gesprächs auf.

      »Nevermore« - »Kraftanzeige erloschen« - »Herzen sammeln … «

      Es ging wohl um ein neues Computerspiel. Leider bemerkten sie mich und verstummten augenblicklich. Alex zog eine Zigarettenschachtel hervor und nahm sich eine.

      »Ey, Lobster, hast du mal Feuer?«, rief er mir zu, was ich kopfschüttelnd verneinte und dann, beide ignorierend, mein Fahrrad aufschloss. Das schien ihnen nicht zu gefallen.

      »Nein?!! Der hat Nein gesagt, Alex!« Bens Stimme klang schrill. »Dabei brennt dem doch der ganze Kopf! Wie unhöflich von ihm.«

      Aus den Augenwinkeln konnte ich sehen, dass Alex nun lässig zu mir herüber schlenderte. Ich richtete mich auf, drehte mich um und versuchte stark und furchtlos auszusehen (nennt mich Pokerface!), was ihn leider nicht daran hindern konnte, sich bedrohlich nah vor mir aufzubauen.

      »Das ist gar nicht nett von dir, mein Lieber!« zischte er mir ins Ohr.

      »Wer sagt, dass ich nett bin?«, konterte ich und zog mein Fahrrad aus dem Ständer. »Lass mich durch, ich muss nach Hause.«

      »Na klar musst du nach Hause. Die Mama wartet sicher schon. Das nächste Mal hast du Feuer, verstanden?« Er rüttelte an meinem Lenker, trat dann aber tatsächlich zur Seite.

      »Das nächste Mal hab ich einen schwarzen Gürtel in Karate, verstanden?«, sagte ich leider nur leise und nur zu mir selbst. Ich sah mich schon, wie ich Alex mit einem gekonnten Griff auf den Schulhof schmetterte. Sein rosa Polohemd würde Flecken bekommen und die Mädels würden mir respektvolle Blicke zuwerfen. Sogar Pamina würde staunen. Vielleicht sollte ich doch einmal zu dem Sportverein gehen, den Mum für mich gefunden hatte. Sicher gab es dort auch einen Karatekurs.

      Immer noch wütend trat ich in die Pedale und wischte mir den Schweiß von der Stirn. Die Hitze der letzten Tage war zu einer drückenden Schwüle geworden. Ich schaute zum Himmel hinauf, wo sich die grauen Wolken von heute Morgen zu schwarzen Gebirgen zusammen gezogen hatten und musste im nächsten Moment eine Vollbremsung hinlegen. Um ein Haar hätte ich den Herrn Egon überfahren, der plötzlich wie aus dem Nichts vor mir aufgetaucht war.

      »Eile mit Weile, junger Mann. Das Rad, das am lautesten quietscht, bekommt das meiste Fett ab,« sagte er kopfwackelnd und zog umständlich etwas aus der Innentasche seines Jackets, dessen schrilles Karomuster bei Tageslicht erst recht eine Beleidigung für die Augen war. Dann reichte er mir mit einer Verbeugung und den Worten »Frau Da Gamba lässt grüßen!«, ein schmales Metalletui. Darin lag, auf braunem Samt gebettet ein goldgerahmtes, sternförmiges Brillengestell mit orangefarbenen Gläsern.

      »Eine Hippie - Brille … für mich?!« entfuhr es mir nicht gerade sehr begeistert und Herr Egon runzelte missbilligend die Stirn.

      »Einem geschenkten Gaul schaut man nicht ins Maul!«, befand er und wuselte dann flink davon.

      Wo er recht hat, hat er recht, dachte ich und schaute mir den Gaul, bzw. die Brille genauer an. Auf dem linken Bügel befand sich ein Stern und darin die Abbildung eines kleinen, hummerähnlichen Tierchens mit einer Kugel auf dem Rücken. Unbekannter Designer, dachte ich und setzte mir das Ding probeweise auf die Nase. Surprise, surprise! Alles war erleuchtet. Ich behielt die Brille auf, steckte das Etui weg und radelte weiter nach Hause. Dort angekommen, suchte ich wie üblich nach meinem Schlüssel, wobei mein Blick die beiden dicken Engel streifte. Und da geschah es: Skully zwinkerte mir zu! Ehrenwort!

      Das muss die Hitze sein, tröstete ich mich. Im Haus war es angenehm kühl. Immerhin. Es war niemand da, dafür lag ein Zettel auf dem Tisch in der Küche. Daneben drei Geldscheine.

       Luis, mach dir Pizza.

       Wenn du Lust hast, die Hauptprobe beginnt um vier.

       Die 30 Euro sind für den Ausstellungskatalog.

       Nicht vergessen!!! Danke! Mum

      O.k., o.k., meine Liebe; ich bin zwar manchmal etwas vergesslich, aber noch nicht senil. Die Bitte meiner Mutter von gestern, doch kurz im Museumsshop vorbei zu schauen und ihr den Katalog der neuesten Ausstellung „Kinderporträts der letzten Jahrhunderte“ zu besorgen, klang mir sehr wohl noch im Ohr. Ich vermutete allerdings, dass es eher ein Versuch war, mich in ein Museum hinein zu locken, das nicht nur archäologische Schätze enthielt.

      Mein Magen knurrte und erinnerte mich an die Pizza, die im Tiefkühlfach lag. Andererseits war ich aber auch zu neugierig, ob ich den Code der Geheimschrift knacken konnte. Die Neugier siegte wie immer. Ich legte mein neuestes Fundstück neben die beiden Kartenfunde vom Dachboden.

      Alle drei sahen eigentlich gleich alt aus. Das Papier war ähnlich brüchig und vergilbt. Die griechischen Buchstaben alpha, beta, gamma fielen mir als erstes ins Auge und erinnerten mich unangenehm an den Mathe-Unterricht: Was hatten Winkelbezeichnungen auf einer Geheimschrift zu suchen? Vielleicht ging es hier nur um eine mathematische Formel? Enttäuschung machte sich in mir breit, und erneutes Magenknurren erinnerte mich wieder an meine Pizza. Kurzes Mittags - Päuschen für Luis und Margherita.

      Als ich zwanzig Minuten später wieder auf die Zeichnung starrte, ging nichts mehr. Blutleere im Kopf, dafür Hochkonjunktur im Magen. Männer sind nun mal nicht multitasking; behauptet jedenfalls meine Mum. Automatisch griff meine Hand zur Fernbedienung des kleinen Fernsehers, dessen Inbetriebnahme eigentlich erst nach den Hausaufgaben erlaubt war. Ich zappte ein bisschen herum und blieb bei einer merkwürdigen Comic-Serie hängen. Ein kleiner Kerl in einem karierten Anzug von unzumutbarer Farbe vollführte eine Art Break-Dance und rappte dazu. Der ständig wiederkehrende Refrain lautete:

      »Ohne Fleiß kein Preis!« Jetzt hob er den Kopf und starrte mich an - einäugig. Herr Egon! Ich glaub, mein Schwein pfeift …, wie kommt der denn ins Fernsehen, bitte schön? Nun, die Botschaft war jedenfalls angekommen; ich schaltete seufzend den Kasten aus und den anderen ein. Mal gucken, ob das Maxl on war. Dann wühlte ich in dem Karton mit meinen Büchern, den ich natürlich auch noch nicht ausgepackt hatte. Ganz unten fand ich es: das Lexikon der Symbole. Eines meiner absoluten Lieblingsbücher (neben „Archäologie für Anfänger“ - ich erwähnte es bereits). Ich blätterte ein wenig darin herum und stoppte. Da - die kosmische Schlange der Unendlichkeit! Ein goldener Reif in der Form einer Schlange, die sich in den Schwanz beißt, war auf dem Foto einer archäologischen Ausgrabung abgebildet. Genau wie auf der Zeichnung vor mir. In der Bildunterschrift im Buch stand, dass die Schlange ein Symbol sei für Anfang und Ende, Geburt und Tod, für Vergehen und Wiederauferstehen. Außerdem wurden ihr magische Kräfte zugeschrieben.

      \V/ Luis, my friend, what´s going on?

      Hlo, Max. Warte eine Sekunde - ich schicke dir ein Foto rüber. Brauche deine Hilfe …

      (Ich fotografierte die Schlange der Unendlichkeit mit meinem Alleskönner-Phone und schickte sie Max via mail. Genauso hatte ich es mit den zwei anderen Fundstücken gemacht, so dass wir nun archäologische Teamworker waren.)

      Was sagst du dazu? War in dem kleinen Anhänger von der Schatzkarte. Könnte ein geheimes Alphabet sein, oder?

       Wow, schönes Ding. I have to write a little school essay about Winchester Cathedrale, but everything is APL ...

      Wunderbar, wenn du das kannst … Was sagst du zu den Zeichen?

      Wait a moment …, let´s start with the things we know already … I take alpha for a, beta for b, gamma of cause for c

      Jaaa, so schlau war ich auch schon!

      … und benutzte für den Rest meine reiche Fantasie und meinen brillanten Verstand. Give me two minutes …

      Ich vermutete