Lara Licollin

Das was man Leben nennt


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Mann, dessen Name ich immer noch nicht kenne, ist in die Küche gegangen, um uns einen Tee – oder einen Kaffee – zu machen und Kekse zu holen, da er der Meinung war, das würde ich eher wollen, als diesen roten Apfel. Vielleicht hat er damit auch recht.

      Nach einer Weile, in der ich einfach nur dasaß, kehrt er mit einem Tablett zurück, auf dem zwei Tassen Tee und eine Schale Kekse stehen.

      „Danke“, sage ich, als er eine der Tassen vor mir abstellt.

      Dann setzt er sich neben mich.

      „Also. Beginnen wir mal von vorne.“ Er nimmt einen Schluck von seinem Tee und verzieht dann das Gesicht.

      „Ich glaube, Sie sollten noch einen Moment warten, bevor Sie den trinken.“ Er zeigt auf meine Tasse, während er seine wieder zurück auf den Tisch stellt. Ich muss lächeln.

      „Also“, sagt er wieder. „Wie heißen Sie?“

      Ich brauche eine Sekunde, bis es mir wieder einfällt.

      „Zoe.“

      Er lächelt.

      „Schöner Name, gefällt mir. Darf ich Sie von nun an bei diesem Namen nennen?“

      Ich nicke schwach lächelnd.

      Dann schweigen wir eine Weile, bis er wieder zu mir sieht und meint: „Ich heiße übrigens Ben.“

      Wieder lächle ich und probiere dann vorsichtig von dem Tee. Als ich einen Schluck getrunken habe, fragt er mich verblüfft: „Was, ist er jetzt schon abgekühlt?“

      Er nimmt seine eigene Tasse in die Hand und nimmt einen Schluck. Wieder verzieht er das Gesicht.

      „Mensch Zoe, lüg mich doch nicht so an, der ist noch total heiß!“

      Ich muss grinsen und es ist ein sehr seltsames Gefühl, die Mundwinkel nach oben zu ziehen und die Zähne zu zeigen. Ich habe es schon lange nicht mehr getan.

      Ben stellt seine Tasse wieder zurück auf den Tisch.

      „Na gut, dann muss ich dich wohl so lange weiter ausfragen, bis ich meinen Tee trinken kann, ohne mich zu verbrennen.“ Er grinst und denkt nach. Dann fragt er: „Wie alt bist du?“

      Das fällt mir schneller ein.

      „19.“

      Er sieht erstaunt aus.

      „Was ist?“, frage ich grinsend. So oft hintereinander habe ich das ja noch nie getan!

      „Du kamst mir älter vor“, sagt er.

      Ich sehe verlegen auf den Tisch, warum, weiß ich auch nicht. Vielleicht, weil jeder immer dachte, ich sei 15.

      Ohne länger darüber nachzudenken, frage ich Ben, wie alt er ist.

      „Oh“, er räuspert sich und fährt sich durch die Haare. „Etwa, wenn nicht zu sagen genau, 20 Jahre älter.“

      Wieder grinse ich und muss sagen, es fühlt sich so gut an.

      Ich mustere ihn. „So alt sieht du nicht aus.“

      Er grinst ebenfalls und bedankt sich.

      Als wir nach einer Weile unseren Tee getrunken haben, fragt er mich, ob ich gerne duschen würde.

      „Gerne“, sage ich voreilig, doch dann frage ich mich, ob das eine gute Idee ist. Ich kenne ihn nicht. Was soll ich hier überhaupt noch?

      Aber er steht schon auf und meint, er hole mir noch schnell ein Handtuch.

      Nachdem ich zwei Kekse gegessen habe, kehrt er zurück und meint: „Das Badezimmer steht Ihnen nun zur Verfügung.“

      Er macht sogar einen Knicks, sodass ich kichern muss.

      Langsam stehe ich auf und bemerke erst jetzt, dass ich gar keine Socken und nur T-Shirt und Hose trage. Das war mir zuvor gar nicht aufgefallen. Aber in der Wohnung ist es auch so warm, dass es mir gar nicht auffallen konnte.

      Ben zeigt mir, wo das Bad ist und lässt mich dann alleine.

      Nach dem Duschen fühle ich mich schon viel besser, obwohl ich wieder dieselben dreckigen Kleider anziehen muss und keine Socken habe.

      Als ich zurück ins Wohnzimmer gehe, sehe ich jedoch ein Paar auf der Couch liegen. Wo Ben ist, weiß ich nicht.

      Ich setze mich auf die Couch und ziehe die viel zu großen Socken an. Wenigstens sind sie schön weich.

      Als ich schon langsam unruhig werde und mir vornehme, in fünf Minuten zu gehen, wenn er nicht kommt, höre ich Schlüsselgeklapper und dann, wie die Haustür aufgeht. Er muss wohl, während ich geduscht habe, weg gewesen sein.

      Ich höre das Geraschel von Tüten und einen Moment später steht er im Türrahmen.

      „Ich war einkaufen“, sagt er und lächelt mich an. „Ich war nicht darauf vorbereitet, Besuch zu bekommen. Eigentlich habe ich nämlich nicht so viel zu Hause, da ich die meiste Zeit arbeiten bin.“

      „Musst du heute nicht arbeiten?“, frage ich ohne mich zuerst zu fragen, ob heute nicht vielleicht Samstag oder Sonntag ist.

      Ben schüttelt den Kopf und meint: „Ich habe mir freigenommen.“

      Dann verschwindet er wieder und ich bleibe etwas verwirrt zurück.

      Warum hat er sich freigenommen? Wegen mir? Warum?

      Warum schickt er mich nicht wieder nach Hause?

      Während ich noch darüber nachdenke, erscheint Ben schon wieder im Zimmer.

      „Möchtest du wirklich nichts essen?“

      Ich will schon den Kopf schütteln, aber bei dem Gedanken an Essen beginnt mein Magen plötzlich zu knurren und Ben meint grinsend: „Das war Antwort genug, glaube ich.“

      Erst als er schon wieder in Richtung Küche geht, lächle ich.

      Doch warum tut er das?

      Und warum bin ich immer noch hier?

      Wieder denke ich an gestern Abend. Warum wollte ich mich umbringen?

      Keine Minute später fällt es mir ein: weil sich niemand um mich kümmert.

      Jetzt wird es auch niemanden interessieren, dass ich nicht in der Schule bin. Wahrscheinlich bemerken sie es gar nicht.

      Okay, vielleicht bemerken es die Lehrer, wenn sie die Anwesenheit überprüfen. Aber sonst?

      „Es ist zwar erst zwölf Uhr, aber möchtest du lieber Nudel oder Reis zum Mittagessen?“

      Ich sehe auf. Er will für mich kochen?

      Da ich deshalb erneut ziemlich verwirrt bin, dauert es, bis ich antworte.

      „Mir egal“, rufe ich zurück.

      „Egal gibt es nicht.“ Meine Mundwinkel zucken und ich versuche, ein Grinsen zu unterdrücken.

      „Dann Nudeln.“

      „Okay“, ruft Ben.

      Ich will nicht, dass er sich wegen mir freinimmt. Und kocht. Das tut er bestimmt nie. Er meinte ja selbst, dass er sonst die ganze Zeit nur im Geschäft sei.

      Doch jetzt ist er schon dabei, zu kochen.

      Ich beschließe, ihm eine Freude zu machen, indem ich bleibe und mit ihm esse, mich dann aber dankbar zu verabschieden.

      Weil ich nicht einfach herumsitzen will, stehe ich auf und suche die Küche.

      In dem kleinen Raum finde ich Ben am Herd stehend vor, auf dem zwei unterschiedlich große Töpfe mit kochendem Wasser stehen. Links an der Wand befindet sich ein kleiner Tisch, auf dem eine Schale mit Obst steht.

      „Kann ich helfen?“, frage ich und er da bemerkt er mich.

      „Äh, nein, nein, ist schon okay.“

      „Ich