K.P. Hand

Willenbrecher


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ist passiert?«, fragte Alarich.

      »Das Übliche«, seufzte Alessandro. »Es wurde ... eng. Tja, und im Zweifelsfall rette ich lieber meinen eigenen Arsch. Er hat blöd geguckt, als er am Flughafen festgenommen wurde und ich weiter ziehen konnte.«

      Alessandro hatte mit Absicht etwas im Koffer seines Komplizen deponiert, was gefunden wurde. Eine kleine, harmlose ... Pistole. Jedenfalls waren alle mit dem Mann beschäftigt, der eine Schusswaffe bei sich trug und keiner hatte Alessandros nicht sonderlich glaubwürdigen Reisepass genauer betrachtet. Man half seinem Glück eben auf die Sprünge ...

      »Hauptsache, du bist zurück«, sagte Alarich und schlug ihm gegen die Schulter.

      »Dann ist die Familie ja wieder beisammen«, sagte Enio begeistert.

      Doch die Freude wurde zerschlagen, als Alessandro verkündete: »Ich bleibe nicht lange. Nur ein paar Wochen. Da ist ein Job in Aussicht. Wird gut bezahlt.«

      Enio sah ihn verärgert an. »Warum arbeitest du nicht für mich?«

      »Ich halte nichts von Vetternwirtschaft«, gab Alessandro zurück und ließ sich neben Brian nieder. »So, wo ist die verdammte Suppe? Ich will mal wieder etwas mit Geschmack essen.«

      Enio sagte zwar nichts weiter, aber Alessandro wusste, dass dieses Gespräch noch lange nicht beendet war.

      ***

      Norman saß auf dem Beifahrersitz eines dunkelblauen Vans und rieb sich nachdenklich über seine dunklen Bartstoppel.

      Der Mann hinter dem Steuer war ein großer, muskulöser Kerl mit struppig rotem Haar und Vollbart. Sein Name lautete Julian. Aber Norman bezweifelte, das auch nur einer dieser Kerle, die er im Moment seine Komplizen nennen durfte, ihren richtigen Namen verwendete.

      Aber das war es nicht, worüber er nachgrübelte.

      Ohne jegliche Vorwarnung hatte dieser Van heute Morgen vor seiner Wohnung geparkt, als er von seiner Jogginrunde heimgekommen war. Julian hatte bereits in Normans Wohnzimmer gesessen. Nur Gott wusste, wie er herein gekommen war. Er musste irgendwoher einen Zweitschlüssel haben, denn Norman hatte keine Einbruchsspuren an seiner Tür gefunden. Einmal mehr war er froh, dass es sich bei seiner momentanen Wohnlage nur um eine Pseudowohnung handelte.

      Man hatte ihm nicht einmal Zeit gelassen, zu duschen, aber immerhin hatte er den voll geschwitzten Trainingsanzug gegen eine abgetragene Jeans und ein einfaches Shirt austauschen können.

      Alexander Neumann bevorzugte nämliche eher den ... Holzfällerlook. Ganz zu Normans Leidwesen, der es fast als Beleidigung empfand, sich diese Sachen anzuziehen.

      Egal wie lange dieser Einsatz noch dauern mochte, er würde sich nie an diese Kleidung gewöhnen können. Aber auch das war es nicht, was ihn grübeln ließ. Es waren nur beiläufige Gedanken, die unwichtig waren. Solange es half, würde er anziehen, was immer verlangt wurde, damit dieser Einsatz ohne Probleme verlief.

      Nein, er grübelte darüber nach, was so wichtig war, das er sich hatte so beeilen müssen.

      Julian kannte er schon seit einigen Wochen, Alexander Neumann hatte sich ihn recht schnell als Freund gesichert, aber so sauer hatte er den Kerl noch nie erlebt.

      Das konnte nichts Gutes bedeuten.

      Er fragte aber nicht, was los war. Kerle, wie er nun selbst einer war, fragten nie nach dem »Was« oder »Warum«. Sie taten, was man ihnen auftrug ohne auch nur eine Miene zu verziehen.

      Das fiel Norman an diesem Morgen schwer, denn versteckt unter seinem Sitz lagen mehrere Schusswaffen. Zwei Gewehre und drei Pistolen, die Julian ihm gezeigt hatte.

      Wozu?, fragte sich Norman. Waffenhandel? Sollten sie die Waffen verkaufen? Oder waren sie dazu gedacht, ihre Kollegen auszurüsten?

      Scheiße, fluchte Norman innerlich. Wenn das heute ernst - und jemand mit einer Waffe bedroht wurde, wusste er nicht, ob er wirklich tatenlos zusehen konnte. Bei Unschuldigen ganz sicher nicht. Er konnte doch nicht zulassen, dass jemand verletzt oder gar getötet wurde.

      Aber sein Einsatzbefehl war eindeutig. Informationen über den Kopf der Bande und über den Aufenthaltsort sämtlicher Vermissten herausbekommen. Niemand sagte etwas davon, das er nicht eingreifen durfte, wenn jemand bedroht wurde, aber die oberste Regel lautete, sich nicht zu erkennen zu geben.

      Einmal aufgeflogen, würde die Bande nie wieder jemand fremdes in die eigenen Reihen aufnehmen. Es gab also nur diesen Einsatz. Diese eine Chance, die Entführten zu finden und diese Organisation unschädlich zu machen.

      Julian fuhr den Van auf ein Gelände eines großen Betonklotzes und trat vor dem Tor einer Garage auf die Bremse. Sie warteten, bis das Rolltor hochgefahren war, dann rollte der Van in die dunkle, weitläufige Tiefgarage des Gebäudes. Drei Autos standen dort. Gebrauchte mittelklasse Wagen, die schon bessere Zeiten gesehen hatten.

      Julian fuhr einmal eine große Runde über die leeren Parkplätze und parkte den Van direkt vor dem Garagentor, das mittlerweile wieder herunter gefahren war. Dann stieg er aus und Norman tat es ihm ohne Aufforderung gleich.

      Julian kam zu ihm herüber und holte den Koffer mit den Waffen hervor, dann schmiss er die Tür zu und ging Norman voran. Stumm und mit aufgesetzt mürrischer Miene folgte Norman dem Mann mit den breiten Schultern durch die dunkle Tiefgarage.

      Sie durchquerten eine Stahltür, kamen in ein enges Treppenhaus und nahmen die Treppe weiter nach unten, bis sie in die letzte Etage der Tiefgarage kamen. Dort gab es keine Tore, keine Fenster, keine parkenden Autos und die Zufahrt von oben war versperrt. Es war dunkel und die Luft war von Benzingeruch verpestet, was bedeutete, dass die Lüftungsschächte auch nicht ihren Dienst taten. Norman vermutete, dass diese Etage deshalb nicht genutzt wurde.

      Schon vom Weiten sah er, was hier vor sich ging.

      Zwei Männer, die zweifellos zu der Bande gehörten, standen nahe bei einem Mann, der auf den Knien kauerte und dessen Hände auf dem Rücken zusammen gebunden waren.

      Einer war groß und breit wie ein Kleiderschrank, der andere war eher schmal und drahtig. Beide hatten braunes Haar und das Gesicht eines typischen durchschnitts Deutschen.

      Je näher Norman kam, je deutlicher konnte er das geschundene Gesicht des gefesselten Mannes erkennen. Die Augen waren zu geschwollen, die Lippen aufgeplatzt, die Nase gebrochen, untertellergroße Blutergüsse auf den Wangen ... Ein grässlicher Anblick.

      Julian nickte den beiden andern Männern zu und stellte den Koffer auf einen provisorischen Tisch ab. Auf der Platte sah Norman unzählige Dinge, mit denen man Menschen foltern konnte. Zangen, Klammern, Scheren, Skalpelle, Benzinkanister ...

      Das Blut unter den Knien des Gefesselten sprach Bände, denn es konnte unmöglich alles aus seinem Köper stammen. Der Kerl war also nicht der erste, der zu dieser frühen Stunde gefoltert worden war.

      Norman versuchte, sich nichts anmerken zu lassen. Aber das war schwer.

      »Pistole oder Gewehr?«

      Norman sah Julian an, der die Frage gestellt hatte.

      »Ähm ... Pistole«, entschied Norman.

      Julian rüstete eine der drei schwarzen Pistolen mit einem Magazin aus, sicherte sie und reichte sie an Norman weiter.

      Warum er sich für die kleinere Schusswaffe entschieden hatte, lag auf der Hand. Damit konnte er nämlich umgehen. Er hätte gerne gegrinst, weil man ihm - Beziehungsweise, Alexander - mittlerweile soviel Vertrauen entgegenbrachte, das man ihm sogar bereits eine Waffe aushändigte.

      Norman steckte sich die Pistole hinten in den Hosenbund und zog sein vergilbtes Shirt über den herausragenden Griff.

      Julian hatte mittlerweile die zwei Gewehre an die andern beiden Männer verteilt, die übrig gebliebene Pistolen steckte er sich selbst ein.

      Er schloss den Koffer und verkündete grinsend: »Ein Geschenk von Franklin, weil wir uns dieser Sache annehmen.«

      Franklin war der Kopf der Bande,