K.P. Hand

Willenbrecher


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Dabei strich er ihr wieder über den Kopf, als lobte er einen Hund. Doch Mona spürte, wie er ihren Kopf nach unten drückte, damit sie eine unterwürfige Haltung einnahm. Bevor er sich gänzlich abwandte, flüsterte er ihr noch ins Ohr: »Regel Nummer Zwei: Du schaust nur dann auf, wenn ich es dir gestatte!«

      Mona sah erstarrt zu Boden.

      »Nicke, wenn du mich verstanden hast.«

      Sie tat, wie ihr befohlen.

      »Braves Kind«, lobte er sie. »Ich bin in ein paar Stunden zurück, dann schauen wir mal, ob du den Ärger wert bist.«

      Er wandte sich ab und ging zur Tür.

      Mona traute sich nicht einmal zu atmen, solange er noch im Raum war, selbst als er ihr den Rücken zugedreht hatte.

      »Aber Franklin, du sagtest eben noch, dass du sie loswerden willst. Was, wenn wirklich jemand nach ihr sucht?«

      »Ich sollte dich erschießen! Dich und alle, die an diesem Fehler beteiligt waren!«, hörte sie ihren Entführer sagen.

      »Ich sagte doch, ich habe falsche Informationen bekommen! Mir wurde gesagt, das Mädchen, das du haben wolltest, verlässt um die angegebene Uhrzeit das Gebäude. Ich bin ihr gefolgt und ...«

      »Du hattest doch ein Foto!«

      »Es war dunkel! Und sie sehen sich sehr ähnlich! Dunkles Haar, klein und zierlich-«

      Mona sah nichts, doch was sie hörte, ließ darauf schließen, dass gerade jemandem heftig ins Gesicht geboxt worden war.

      Ganz tief in ihr drinnen, lächelte sie darüber. Denn nach allem, was sie aus dem Gespräch entnommen hatte, war es dieser Tie gewesen, der sie verschleppt und hier her gebracht hatte. Unabhängig davon, wer sie nun festhielt, war er es, der alles in die Wege geleitet hatte. Wegen ihm war sie jetzt hier. Von ihr aus konnte dieser Franklin ihn noch zweimal mehr einen Fausthieb verpassen.

      »Nun denn«, hörte sie ihn sagen. »Ich muss zu einem Treffen. Aber ich möchte über deinen Fehler hinwegsehen, weil du nützlich bist! Sollte jemand nach ihr suchen, ist es deine Aufgabe, dass alle Spuren ins Leere führen. Verstanden?«

      »Natürlich«, gab dieser Tie kleinlaut zurück. »Aber ich versichere dir, das ich keine Spuren hinterlassen habe, Franklin.«

      »Versagst du auch diesmal, werde ich mich deiner entledigen müssen. Scheitern ist für dich also keine Option, mein Freund!«

      Mona sah, wie Licht hereinfiel und spürte warme Luft in den Raum eindringen. Das ließ sie vermuten, dass diese Tür in ein Haus führte.

      Die Tür wurde wieder geschlossen und versperrt, aber erst als sie hörte, wie sich die Schritte entfernten, traute sie sich wieder zu atmen.

      Entsetzt über ihre Lage, ließ sie sich zurückfallen. Ihr Magen schmerzte fürchterlich und ihr war danach, sich zu übergeben. Mehrmals hatte sie geglaubt, er würde sie einfach erschießen. Aus Angst hatte sie sich eingepinkelt, eine Tatsache, die sie demütigte. Nun saß sie in der nassen, dreckigen Hose da. Sie fühlte sich schmutzig. Und ihr Entführer kam erst in ein paar Stunden wieder? Solange sollte sie in diesem nassen, kalten und düsteren Raum verbringen? Durstig, unterkühlt und durchnässt?

      Hinterher fragte sie sich, ob die Pistole nicht doch die bessere Wahl gewesen wäre.

      Sie weinte und klammerte sich an die einzige Hoffnung, die sie noch hatte: das ihre Familie nach ihr suchen würde. Das bald ein Einsatzkommando durch diese Tür stürmen und sie retten würde. Mona flehte den Himmel an, dass dies bald geschehen würde.

      Dunkelheit und Nässe streckten ihre Klauen nach ihr aus und umfingen sie. Hielten sie fest. Nahmen sie gefangen. Hilflos begann Mona in der Einsamkeit zu weinen.

      ***

      »Fatima, kommst du mal bitte?«

      Fatima sah auf und blickte ihrem Vorgesetzten in das alte, kantige Gesicht, das von einem grauen Stoppelbart verdeckt wurde. Uniformiert sah er durch die Türöffnung in ihr Büro und warf ihr einen ungeduldigen Blick zu.

      Fatima nickte und erhob sich von ihrem Schreibtisch. Sie ging zu ihm auf den Flur und folgte ihm in Richtung seiner Bürotür.

      »Wo ist denn der Kleine Herr Aab heute?«, fragte ihr Chef betont streng.

      »Er war gerade noch da, ich habe ihn nur schnell Kaffee holen geschickt«, antwortete sie.

      Herman Schreiber drehte sich mit vorwurfvoller Miene zu ihr um. »Tom sollte dir und Norman bei den Akten helfen, Fatima, er ist nicht euer Laufbursche.«

      »Er wollte«, verteidigte sich Fatima. »Frag ihn doch!«

      Sie zeigte auf den jungen Mann mit dem blondrötlichen Haarschopf, der gerade durch den Flur auf sie beide zukam. Mit zwei vollen Pappbechern Kaffee.

      »Du bist mein Lebensretter«, sagte Fatima zu Tom.

      Er war ein durchschnittlich großer Kerl mit recht schlankem Körperbau. Er wirkte wie der nette Junge von neben an und - ganz ehrlich gesagt- war er das auch. Denn trotz seinen siebenundzwanzig Jahren, sah er recht jung aus und hatte auch die schüchternen Charakterzüge eines Jugendlichen.

      »Na gut, soll mir recht sein«, murmelte ihr Chef. »Da Norman an einem anderen Einsatz arbeitet, wird Tom als dein Partner fungieren.«

      »Das wissen wir doch«, erwiderte Fatima verwirrt. »Wo liegt das Problem? Haben wir etwas falsch gemacht?«

      »Ist es wegen des Berichts von letzter Woche?«, fragte Tom nervös. »Ich verspreche, es kommt nie wieder vor.«

      Tom hatte aus Versehen eine Fallakte verlegt. Sie war zwar auch im Computersystem gespeichert, aber auch diese Datei hatte er am falschen Ort abgespeichert. Fatima hatte Stunden suchen müssen, bis sie den Bericht wieder gefunden hatte. Aber es war kein Fehler, den man einem Neuling lange nachtrug. Trotzdem machte Tom sich noch immer Vorwurfe deshalb.

      »Nein«, widersprach Hermann. »Ich wiederhole dass nur, weil ich einen Fall habe, den ich gerne euch beiden übergeben möchte.«

      Eigentlich hatte Fatima ihren Chef im Vertrauen gebeten, keine großen Fälle an sie abzudrücken. Solange Norman nicht da war, traute sie sich nicht an die »dicken Fische« heran. Norman war der Spitzenermittler, sie war nur seine Schülerin gewesen. Es machte sie nervös, dass sie jetzt für Tom die Lehrerin spielen musste.

      Klar, Tom konnte gut eigenständig arbeiten, aber dennoch musste er eingearbeitet werde. Das war eine Aufgabe, die Norman hätte übernehmen sollen. Doch kurz nachdem Tom zu ihrem Zweiergespann dazu gestoßen war, hatte Norman diesen supergeheimen Einsatz angenommen. Und Fatima konnte nicht einmal Rücksprache mit ihm halten. Ihr fehlte es, ihn einfach fragen zu können, falls sie bei einem Fall unsicher war. Nun war sie es, die Antworten geben musste. Das behaarte ihr nicht. Aber vor Tom hätte sie das nie zugeben, weshalb sie den Mund hielt.

      »Unsere Abteilung ist überladen, Fatima«, sagte Hermann beinahe entschuldigend zu ihr. »Wir kommen den ganzen Vermisstenfällen gar nicht mehr hinterher. Einen Fall muss ich euch überlassen.«

      »Um was geht es?«, fragte Tom mit seiner kindlichen Naivität. Ein Charakterzug, wegen dem Fatima ihm das ein oder andere Mal schon in die niedlichen Backen gekniffen hatte.

      Natürlich ging es um irgendwas, was sowohl ihr, wie auch Tom an die Nieren gehen würde ...

      »Kommt mit«, forderte Hermann auf.

      Wie Schäfchen ihrem Hirten, folgte sie ihm den Flur entlang.

      »Eine junge Frau, fast noch ein Mädchen in meinen Augen, verschwand vor einigen Tagen spurlos«, erklärte er über die Schulter.

      Nichts Neues, leider, dachte Fatima.

      Am liebsten hätte sie den Fall sofort abgelehnt. Denn jeder Vermisste in den letzten Monaten war unauffindbar. Fatima wollte nicht, dass dies ihr erster ungelöster Fall wurde.

      »Ich weiß, was ihr jetzt denkt«, sagte Hermann seufzend. »Aber es gibt