K.P. Hand

Willenbrecher


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nicht, aber ihr Vater hatte sich mal wieder gegen ihren Willen durchgesetzten. Mit erhobener Stimme hatte er ihre Einwände abgetan und sie zum zittern gebracht. Schon als kleines Mädchen hatte sie Angst bekommen, wenn er schrie, obwohl er sie nie ernsthaft geschlagen hatte, aber die dunkle Stimme ihres Vaters konnte sehr einschüchternd sein. Sogar der Familiehund zuckte dabei zusammen. Deshalb hatte sie auch letzten Endes keine andere Wahl gehabt, als bei dieser Rechtsanwaltsfirma anzurufen, um sich für die angebotene Ausbildungsstelle zu bewerben. Es war eine echte Chance, keine Frage, denn diese Firma stellte auch Personen mit mittelmäßigem Schulabschluss - wie Mona einen hatte - ein. Das Problem war nur, das sie nie Bürofachangestellte hatte werden wollen.

      Sie war eher eine kreative Person. Zeichnen konnte sie gut. Menschliche Gesichter waren ihre Spezialität. Daraus kreierte sie meistens außergewöhnliche Bilder. Fantasiewesen oder Science-Fiction Kreaturen. Es waren menschliche Gesichter, die aussahen, als wären sie von Computerviren befallen. Ihre Website war sehr beliebt, nur verdiente sie damit kein Geld.

      Und da lag das Problem.

      Lern was Richtiges, schimpfte ihr Vater.

      Und deshalb saß sie nun in dieser großen Rechtsanwaltsfirma, die Arme vor der Brust verschränkt und ärgerlich den Kopf schüttelnd.

      Mona seufzte leise.

      Sie wollte das hier nicht, dennoch würde sie sich bei ihrem Vorstellungsgespräch von ihrer besten Seite zeigen. So war sie einfach.

      Mittlerweile müsste sie es gewohnt sein, zu Vorstellungsgesprächen gehen zu müssen, zu denen sie nicht wollte. Ihre Familie drückte sie ständig irgendwo rein.

      Ist das Sinn der Sache? Funktionierte das System wirklich so? Jeder Mensch sollte einfach irgendetwas arbeiten, völlig egal, ob es ihn glücklich machte oder nicht?

      Man brauchte sich nicht über ältliche psychische Erkrankungen zu wundern. Und man musste sich auch nicht fragen, warum sich fast wöchentlich jemand vor einem Zug schmiss. Wer ging denn schon gerne sieben Tage die Wochen zu einem verhassten Job?

      Mona wollte das nicht, doch wie so oft hatte sie keine andere Wahl. Genau genommen, hatte sie noch nie eine Wahl gehabt. Dieses Gefühl war schrecklich! Es engte sie ungemein ein. Manchmal, so wie im Moment, hatte sie das Gefühl, deshalb keine Luft mehr zu bekommen.

       »Du musst, Mona! Du musst!« – »Ich bin nicht ewig da!«

      Jedes Mal wenn ihr Vater oder ihre Mutter so etwas sagten, spürte sie ein eigenartiges Gefühl tief in der Brust. Wie eine Hand die langsam ihre Lunge zuquetschte.

      Es war Angst, das wusste sie. Die Angst, irgendwann - so, wie es ihre Mutter immer prophezeite - allein zu sein. Und niemand war gerne völlig alleine und auf sich gestellt, oder?

      Was würde sie nur tun, wenn ihre Eltern irgendwann nicht mehr wären? Nicht nur in finanzieller Hinsicht war sie dann aufgeschmissen. Bei wem sollte sie sich einen Rat holen? Wem konnte sie sich dann noch anvertrauen? Wer war da, wenn es ihr nicht gut ging?

      Mona war trotz der ständigen Zwänge ein Familienmensch, der ohne den Rückhalt der Familie nicht leben konnte.

      »Frau... Hochhausen?«

      Mona fuhr hoch, als eine junge Frau mit blondem Haar im Bürooutfit um die Ecke kam. Sie hielt ein Klemmbrett in der Hand, auf dem zweifelsohne die Namen der Bewerber aufgelistet waren, doch Mona war im Moment alleine in dem grauen Warteraum.

      Verwundert hob die blonde Frau den Kopf und sah sich suchend um.

      Ihr Blick fiel auf Mona und sie wollte wissen: »Sie sind nicht Frau Hochhausen?«

      Mona lächelte, schüttelte aber den Kopf. »Nein, mein Name ist Lorenz.«

      Die blonde Frau seufzte und sah auf die Liste. »Nun, wie es scheint, hat sich diese Frau Hochhausen anders entschieden oder verspätet sich wohlmöglich.«

      Mona wusste nicht, ob und was sie darauf erwidern sollte, deshalb rang sie sich lediglich ein halbherziges Grinsen ab, das sowieso nicht gesehen wurde.

      »Also dann«, erhob die blonde Frau wieder das Wort und sah Mona freundlich an. »Dann ziehen wir Sie eben vor. Wie war Ihr Name noch gleich?«

      »Lorenz«, wiederholte Mona und erhob sich, »Mona Lorenz.«

      Die Frau runzelte die Stirn und begutachtete ihre Liste.

      »Hm«, machte sie nachdenklich, »Sie stehen gar nicht auf der Bewerberliste.«

      »Ich weiß«, erklärte Mona, »ich habe gestern Abend angerufen und mich beworben, Ihr Kollege sagte, ich solle heute einfach vorbei kommen und meine Bewerbungsunterlagen mitbringen, man würde mich dann drannehmen, wenn die anderen Bewerber durch sind.«

      Die Blonde lächelte erneut charmant. »Verstehe. Okay, dann kommen Sie doch einfach schon mal mit, so wie es aussieht, wird Ihre Vorgängerin heute nicht mehr auftauchen.«

      Mona folgte der blonden Frau - die sie ohne Neid als Schönheit bezeichnen würde - durch einen langen Flur zu einem Raum voller Schriebtische und Computer.

      Mona war kurz verwundert, denn sie hatte einen Konferenzraum mit mehreren Frauen und Männern erwartet, die sie verhören würden. Stattdessen wurde sie zu einem Mann an einem Schreibtisch geführt, der geschäftig auf seiner Tastatur herumklimperte.

      Er war klein, bummelig und hatte sein mittelbraunes Haar zu einer schmierigen Frisur gestylt. Sein Anzug war schmutzig, sein Hemd wies Senfflecken auf und seine runde Brille saß schief auf seiner dicken Knollennase.

      »Einen Moment«, sagte er abweisend ohne aufzusehen, als Mona neben ihm stehen blieb.

      Die blonde Sekretärin drückte aufmunternd Monas Arm und flüsterte ihr freundlich zu: »Viel Glück.«

      »Danke«, hauchte Mona zurück und strich sich schüchtern eine ihrer hasselnussbraunen Haarsträhnen, die sich aus ihrer Hochsteckfrisur gelöst hatte, hinter ihr Ohr.

      »Setzten Sie sich«, brummte der Mann am Computer.

      Mona kam dem geknurrten Befehl nach und fühlte sich reichlich unwohl, als sie sich auf dem Stuhl niederließ, der an der kurzen Seite des überfüllten Schreibtischs stand.

      Sie warf einen unauffälligen Blick auf den Bildschirm des Mannes, konnte aber mit der aufgerufenen Website nichts anfangen. Sie erkannte Fotos von jungen Menschen. Frauen und Männer Anfang zwanzig, vielleicht auch jünger, dahinter las sie Namen ohne Nachnamen und Zahlen mit einem Eurozeichen.

      Der Mann, der sich ihr nicht vorstellte, ließ von der Tastatur ab und sah sie an.

      Erwischt!, dachte Mona und wurde rot.

      Nun lachte der Mann auf. »Keine Sorge, ich mache kein großes Geheimnis daraus, das ich für Sex zahlen muss.«

      Mona wünschte, er hätte eines daraus gemacht.

      »Interessant, was man mittlerweile alles im Internet erwerben kann«, murmelte sie.

      Er lachte erneut auf. »Sie ahnen ja gar nicht, was man noch so alles kaufen kann.«

      Nun wandte er sich ab und ließ das Thema fallen. Er schnappte sich ein Blattpapier von einem unordentlichen Stapel und beugte sich mit einem Kugelschreiber darüber.

      »So, Frau ... Hochhausen. Sie haben also bereits mehrere Ausbildungen angefangen aber wieder abgebrochen-«

      »Ich bin nicht Frau Hochhausen«, unterbrach Mona schnell. »Ich ... Mein Name ist Mona Lorenz, ich wurde vorgezogen, weil Frau Hochhausen wohl nicht erscheint.«

      Er brummte etwas Unverständliches und strich etwas auf dem Blatt aus. Dann legte er es auf einen anderen Stapel.

      »Haben Sie das Formular ausgefüllt?«, fragte er genervt.

      »Nein«, antwortete Mona. »Ich habe gestern Abend angerufen und wurde für heute eingeladen. Ich habe meine Bewerbungsmappe-«

      »Lebenslauf?«

      Mona stockte