Angelika B. Klein

Schuld, die dich schuldig macht


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Mit jedem Schritt hat er das Gefühl schneller zu werden. In seiner Vorstellung bewegen sich seine Füße so schnell wie bei Flash. Einige Minuten später kommt er völlig außer Atem vor dem Haus an. Er sieht Marco und läuft sofort auf ihn zu.

      „Marco, schnell zu musst kommen“, ruft er von weitem.

      Marco dreht sich um und erkennt sofort, dass etwas passiert sein muss, wenn Luca alleine und völlig aufgelöst aus der Obstplantage gelaufen kommt. Er läuft ihm entgegen und bückt sich zu ihm hinunter. „Was ist passiert, Luca?“

      Atemlos hechelt er: „Du sollst schnell kommen und ein Messer mitbringen, sagt Isabel.“

      Ohne lange zu überlegen schnappt Marco sich Luca, hebt ihn hoch und läuft mit ihm zu seinem kleinen Transporter. Er schwingt sich auf den Fahrersitz, setzt Luca auf dem Sitz neben sich ab und gibt Gas. Auf dem Weg in Richtung Haupttor erzählt Luca kurz, wo sich die beiden Mädchen befinden. Einen Moment später kommen sie an und Marco springt aus dem Fahrzeug. Er stürmt auf die am Boden kniende Isabel zu: „Isabel, was ist passiert?“

      Erleichtert schaut sie auf und streckt ihm ihre Hand entgegen. „Hast du das Messer dabei?“ fragt sie ungeduldig. Marco greift in seine Hosentasche und holt ein Taschenmesser hervor, welches er immer bei sich trägt. Mit geübtem Griff klappt Isabel das Messer auf und beugt sich über Elenas Wunde. Marco will gerade fragen, ob das ein Schlangenbiss ist, als Isabel zu ihm aufschaut: „Kümmere dich bitte um Luca, er muss das hier nicht sehen.“ Marco nickt, steht auf und nimmt Luca, der mittlerweile hinter Elena aufgetaucht ist, auf den Arm. Er dreht sich mit ihm weg und redet auf ihn ein.

      Isabel sagt behutsam: „Das tut jetzt kurz weh, Elena. Bleib ganz ruhig liegen, es ist gleich vorbei.“ Dann setzt sie das Messer zwischen den beiden roten Punkten an und führt einen 2 cm langen Schnitt durch. Ein kurzer Schrei entfährt Elena und Blut quillt aus der Wunde. Isabel legt ihren Mund über den Schnitt und saugt zuerst vorsichtig, dann mit kräftigerem Zug, das Blut aus der Wunde. Sie wendet sich ab und spuckt die rote Flüssigkeit ins Gras. Sie hofft, dass sie es geschafft hat, das Gift der Schlange aus Elenas Körper zu entfernen, bevor dieses den Blutkreislauf erreicht hat. Mit geübten Griffen knotet sie das Haarband auf und wickelt es fest um die Wunde. Als provisorischer Verband sollte das vorerst genügen.

      Elena liegt mittlerweile ruhig und erschöpft am Boden.

      Marco kommt mit Luca auf dem Arm zurück. „Woher wusstest du, was du machen musst?“

      Sie zieht ihr T-Shirt ein Stück nach oben und wischt sich die Reste der Blutspuren von ihrem Mund. Während sie Luca in den Arm nimmt antwortet sie: „Ich bin Krankenschwester. Marco, gibt es hier Giftschlangen?“

      Seine Augen weiten sich. „Du glaubst, sie ist von einer Giftschlange gebissen worden?“

      „Gibt es hier denn welche?

      „Ja, gelegentlich schon. Wenn es wirklich eine war, dann hat Elena Glück, dass du gleich gehandelt hast.“ Marco streicht ihr liebevoll eine blonde Locke aus dem Gesicht und schaut sie anerkennend an.

      Isabel drückt Luca an sich, der ihren Hals mit seinen kleinen Händen fest umschlingt und seinen Kopf an ihre Schulter legt.

      „Du hast das vorhin ganz toll gemacht, Luca“, flüstert Isabel in sein Ohr. Luca lächelt glücklich. Er hat durch seine Superkraft geholfen, Elena zu retten. Und Isabel ist nicht nur eine gute Fee, sondern auch seine neue Heldin.

      Kapitel 12

      HEUTE

      Ich wache nach einer kurzen Nacht auf und lasse den gestrigen Abend noch einmal Revue passieren. Nach meiner Rückkehr vom Ausflug mit Louis habe ich Mona erzählt, dass ich nicht mit ihm nach London fliegen werde. Mona versuchte die halbe Nacht, mich zu überreden und meinem Herzen zu folgen. All ihre Argumente konnte ich mich Gegenargumenten widerlegen. Schlussendlich hat sie verzweifelt aufgegeben und sich auf ihre Liege gelegt. Ich lag noch lange Zeit wach und war Schiedsrichter eines ungleichen Kampfes. Meine Vernunft gegen meine Gefühle. Mein Gehirn gegen mein Herz. Irgendwann schweifte ich in die Traumwelt ab, ohne einen der beiden als eindeutigen Sieger erklären zu können.

      Ich stehe auf und gehe meinen gewohnten Gang zum Brunnen, um Wasser zu holen. Auf dem Rückweg bemerke ich, dass Louis und seine Kollegen bereits die beiden Fahrzeuge beladen. Sofort läuft mir Louis entgegen und begleitet mich bis zu meiner Hütte.

      „Guten Morgen, Mia! Hast du noch einmal über meine Worte von gestern nachgedacht?“, fragt Louis unsicher.

      Ich schaue ihm in die Augen und muss den Reflex, ihn zu küssen, unterdrücken. Langsam nicke ich. „Ja, aber an meiner Entscheidung hat sich leider nichts geändert.“

      Unglücklich schaut er mich an. „Mia!“ Er geht einen Schritt auf mich zu und beugt sich zu mir hinunter. Mist! Wenn ich ihn jetzt küsse, dann werde ich schwach. Ich will ihn nicht gehen lassen! Aber ich kann auch nicht mit ihm kommen!

      Ruckartig drehe ich mich weg und flüstere ihm zu: „Leb wohl, Louis!“ Mit schnellen Schritten entferne ich mich von meiner Hütte. Mein Herz schmerzt so sehr, dass ich das Gefühl habe, es würde mir zerspringen, wenn ich Louis Anwesenheit noch eine Sekunde länger ertragen muss. Ich fange an zu laufen, immer schneller, hinaus aus dem Dorf in Richtung meines Rückzugortes.

      Louis steht fassungslos da und schaut Mia nach, wie sie über den Dorfplatz läuft und über den schmalen Weg hinaus in die Steppe verschwindet. Er überlegt kurz, ob er ihr nachlaufen soll, wird aber in diesem Moment von Jack gerufen: „Louis! Komm, wir müssen los!“

      Überschwemmt von den schmerzhaften Gefühlen der Enttäuschung, der Sehnsucht und der Trauer begibt er sich zu seinen Kollegen und steigt in das Auto ein. Während die beiden Fahrzeuge das Dorf verlassen, kann er seine Tränen nicht mehr zurückhalten.

      Kapitel 13

      Zwei Wochen nach Louis Abreise bin ich mir sicher, dass ich mich falsch entschieden habe. Jede freie Minute denke ich an Louis. Täglich gehe ich zum Hügel oder an den Fluss, setze mich dorthin, wo ich mit ihm saß und erinnere mich an seine Küsse, Berührungen und Worte. Ich wollte mir anfangs einreden, dass das Gefühl mit der Zeit schwächer wird. Wie groß kann die Verliebtheit nach drei Tagen schon sein? Ich wurde eines besseren belehrt! Meine Sehnsucht nach ihm, wird mit jedem Tag stärker.

      An diesem Nachmittag arbeite ich im Arztzimmer, als plötzlich Mona von hinten an mich heran tritt. „Mia, was machst du denn da? Wo bist du nur mit deinen Gedanken?“

      Erschrocken schaue ich auf und betrachte die Mullbinden, welche ich aus ihren sterilen Verpackungen genommen habe und vor mir auftürme.

      „Oh! Mist! Sorry, Mona, ich…“

      „Mia! So geht das nicht weiter! Seit Louis weg ist, bist du unkonzentriert und dir passieren ständig Fehler!“, tadelt Mona mich.

      „Ich weiß, aber ich kann nur an ihn denken. Alles was ich sehe, erinnert mich an ihn.“, jammere ich. „Mona, gestern in der Schule haben die Kinder ein Lied gesungen, welches Louis ihnen beigebracht hat. Mir sind schlagartig die Tränen in die Augen geschossen und ich konnte nicht aufhören zu weinen. Was soll ich nur machen?“

      „Süße, das hast du dir selbst eingebrockt! Du liebst ihn! Das wusste ich vom ersten Augenblick an. Du hast nur zwei Möglichkeiten: Entweder du sitzt den Schmerz aus und wartest, bis er schwächer wird, oder …“

      „Oder?“, dränge ich Mona, die eine kunstvolle Pause einlegt.

      „Oder du fliegst zu ihm nach London!“

      Skeptisch betrachte ich sie, muss mir aber selbst eingestehen, dass ich die letzten Tage selbst schon über diese Möglichkeit nachgedacht habe.

      Plötzlich hören wir ein lautes Hupen.