Angelika B. Klein

Schuld, die dich schuldig macht


Скачать книгу

Hütte und laufe dem Auto entgegen. Mittlerweile hält es in der Mitte des Platzes an und die Tür öffnet sich. „Louis!“, rufe ich leise und bleibe abrupt stehen, als ich erkenne, wer das Fahrzeug verlässt. Es ist ein Mitarbeiter der Unicef, der verschiedene Medikamente und Verbandmaterial liefert. Enttäuscht und mit hängenden Schultern drehe ich mich um und gehe in meine und Monas Hütte. Ich werfe mich auf meine Liege und starre an die Strohdecke. Ich vermisse ihn so sehr! Wie konnte ich mich nur gegen mein Herz entscheiden und die Angst über mein weiteres Leben bestimmen lassen?

      Am Abend, beim Essen, spreche ich Mona an: „Du hattest Recht, Mona! Ich hätte auf dich und mein Herz hören sollen!“

      Bedauernd zuckt Mona die Schultern und schaut mich voller Mitleid an. „Das lässt sich jetzt leider nicht mehr ändern, außer…“

      „Außer ich fliege nach London, ich weiß. Genau das habe ich vor! Aber wie soll ich das Geld für das Ticket aufbringen? Wie soll ich Louis in London finden? Das ist alles so hoffnungslos!“, resigniere ich.

      „Nein, einfach ist es nicht, aber wir werden einen Weg finden. In ein paar Tagen muss ich wieder nach Samroni. Dort werde ich mich bei einem Bekannten der Unicef erkundigen, vielleicht hat er eine Idee.“

      „Danke, Mona! Ich weiß nicht, was ich ohne dich machen würde“, bemerke ich gerührt.

      „Ich weiß!“, antwortet sie mit einem neckischen Grinsen. Ich falle ihr in die Arme und drücke sie herzlich und liebevoll.

      Weitere zwei Wochen später hat Mona immer noch keine Antwort ihres Bekannten erhalten. Täglich grüble ich darüber nach, wie ich von hier wegkomme und wie ich es in der mir unbekannten Stadt anstellen soll, Louis ausfindig zu machen.

      Ich stehe, wie gewohnt, morgens auf und gehe zum Brunnen. Mit den vollen Eimern bepackt trotte ich zurück zur Hütte, als ich plötzlich ein Fahrzeug sehe, das auf der Mitte des Platzes hält. Die in mir aufkommende Unruhe, versuche ich zu unterdrücken, indem ich mir einrede, dass wohl die nächste Lieferung von Medikamenten ansteht.

      Die Fahrertür öffnet sich und eine Person steigt aus. In diesem Moment erkenne ich Louis. Die Eimer fallen mir aus den Händen und mein Körper erstarrt. Auch Louis sieht mich, bleibt aber abwartend neben dem Fahrzeug stehen. Einige Sekunden lang schauen wir uns nur an, ohne dass einer von uns beiden fähig ist, sich zu bewegen. Ist das ein Traum? Oder ist er wirklich hier? Langsam schiebe ich einen Fuß vor den anderen. Plötzlich bewegt auch Louis sich auf mich zu und ohne Vorwarnung laufe ich los. Ich renne ihm entgegen und werfe mich in seine ausgestreckten Arme.

      „Louis!“, rufe ich erleichtert aus und drücke ihn an mich. All meine Trauer der vergangenen vier Wochen bricht mit einem Schlag aus mir heraus. Ich weine und schluchze an seinen Hals: „Louis, ich bin so froh, dass du da bist. Ich habe dich so sehr vermisst!“

      „Ich habe dich auch vermisst! Ich konnte die ganze Zeit über an nichts anderes denken, als daran, wann ich dich wieder sehen kann.“

      Langsam löst er sich aus unserer Umarmung und schaut mir in die Augen. „Wie geht es dir?“

      „Gut, jetzt wo du da bist.“

      „Du hast mich also auch vermisst?“, will er vorsichtig wissen.

      „Ja, mehr, als ich es mir vorstellen konnte. Du hattest Recht, mit allem, was du damals gesagt hast.“

      „Heißt das, du willst mit mir kommen? Du hast keine Angst mehr?“

      „Doch, ich habe immer noch Angst. Aber meine Sehnsucht nach dir war größer und schlimmer, als die Angst, von meiner Vergangenheit eingeholt zu werden.“

      Er umschließt mit seinen Händen mein Gesicht und küsst mich zärtlich auf die Lippen. Ich lege meine Arme um seinen Hals und drücke ihn sehnsüchtig an mich. Während wir uns engumschlungen und leidenschaftlich küssen, erscheint Mona hinter mir.

      „Hallo, Louis! Das ist ja eine Überraschung!“

      Widerwillig trennen wir uns voneinander.

      „Hast du etwas dagegen, wenn ich Mia mit nach London nehme?“, fragt Louis lächelnd.

      „Nein, überhaupt nicht! Sie ist mit den Gedanken sowieso die ganze Zeit bei dir. In diesem Zustand ist sie nicht zu gebrauchen. Nimm sie mit und werdet glücklich!“, antwortet Mona in gespielt beleidigtem Ton.

      Wir gehen zusammen zur Hütte zurück. Louis sagt bedrückt: „Mia, wir müssen bereits heute Abend wieder in Lusaka sein. Wir haben Tickets für den Nachtflug.“

      „Willst du dich nicht erst ausruhen? Du bist doch gerade erst angekommen!“, frage ich ihn besorgt.

      „Ich habe leider keine Zeit, Mia. Ich muss morgen Nachmittag bereits wieder zu einem Interview. Den Termin heute bei einem Fernsehsender habe ich abgesagt, um dich zu holen.“

      „Du wusstest doch gar nicht, ob ich mit dir nach London zurück fliege.“

      „Nein, aber ich habe es gehofft. Diese eine Chance wollte ich unserer Beziehung noch geben.“

      Gerührt küsse ich ihn und bin ihm insgeheim dankbar, dass er mir meine damalige Fehlentscheidung verziehen hat.

      Gegen Mittag packe ich meine wenigen Habseligkeiten und besuche ein letztes Mal die mir lieb gewordenen Dorfbewohner. Nachdem ich mich ausgiebig von Kefira und Jamal sowie der kleinen Mandisa, von Kojo, Tidjani und Nangila verabschiedet habe, gehe ich noch in die Schule und sage den Kindern dort Lebewohl. Einige weinen, andere wiederum lachen und tuscheln, als sie erfahren, dass ich mit Louis nach London gehe. Der Dorfälteste ist etwas mürrisch und enttäuscht, dass ich so schnell abreise, da es hier üblich ist, zum Abschied eines Dorfbewohners ein großes Fest zu feiern. Erst nachdem ich ihm versichert habe, dass ich das Dorf möglichst bald wieder besuchen werde und wir das Fest dann nachholen können, lässt er sich besänftigen und wünscht mir Glück für meine Zukunft.

      Nachdem ich mich noch tränenreich von Mona verabschiedet habe, steigen wir in den Leihwagen und fahren los. Laut jubelnd laufen die Dorfkinder unserem Fahrzeug hinterher. Ich drehe mich um und winke ihnen zu, bis wir zu schnell werden und die Kinder zurück bleiben.

      Während der Fahrt beobachte ich Louis von der Seite. Er schaut müde aus, was auch kein Wunder ist, nach der langen Reise. Er bemerkt, dass ich ihn anstarre und sagt lächelnd: „Was ist los? Gibt es da draußen keine interessanteren Objekte zu betrachten, als mich?“

      „Nein! Für mich nicht.“ Ich schmiege mich an seine Schulter und sage ernst: „Louis, ich will nie mehr so lange von dir getrennt sein. Wer behauptet, die Zeit heile alle Wunden, der lügt!“

      „Das wirst du auch nicht, Babe.“

      Plötzlich kommt mir ein Gedanke. Ich setze mich auf und sage nachdenklich: „Louis? Hast du für mich schon ein Ticket besorgt?“

      „Ja, warum?“

      „Ohne zu wissen, dass ich mit dir fliege, hast du trotzdem das Ticket gekauft?“, ergänze ich fassungslos.

      „Ja! Es war mir zu riskant, kein Flugticket mehr für dich zu bekommen. Die Nachtflüge sind sehr beliebt und schnell ausverkauft!“, klärt er mich auf.

      „Das heißt, du hättest auch diesen Flug genommen, wenn ich nicht mitgekommen wäre? Du wärst am gleichen Tag wieder abgereist?“, frage ich ungläubig.

      Louis legt seine Hand auf meinen Oberschenkel und sagt besänftigend: „Babe! Ich habe dir doch gesagt, dass ich morgen einen Termin habe. Ich wollte dich einfach noch einmal sehen und habe gehofft, dass du es dir zwischenzeitlich anders überlegt hast. Aber bestimmte Termine muss ich in meinem Beruf einhalten.“

      Augenblicklich wird mir schmerzlich bewusst, dass ihm sein Leben in London mindestens genauso wichtig ist, wie meine Anwesenheit.

      Nach dreistündiger Fahrt kommen wir am Flughafen Lusaka an. Nachdem Louis den Leihwagen abgegeben