Angelika B. Klein

Schuld, die dich schuldig macht


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ängstlich rufen:

      „Kojo!“

      Schlagartig reißt es mich aus meiner Ekstase. Ich schiebe Louis mit aller Kraft von mir weg und springe auf. Mein Blick sucht hektisch die Umgebung am Fuße des Hügels ab. Noch bevor ich den Ursprung des Schreies ausmachen kann, höre ich Kinderlachen. Erst jetzt erkenne ich Kojo und Tidjani, die lachend umherlaufen. Erleichtert lasse ich mich auf den Boden sinken. Louis rückt von der Seite an mich heran und fragt verwirrt: „Mia, hast du das öfter?“

      „Was meinst du?“, frage ich verständnislos.

      „Mia, du bist aufgesprungen, als ginge es um Leben und Tod!“

      Verlegen schaue ich zur Seite. Louis legt besorgt den Arm um mich: „Gestern am See, da bist du auch sofort hochgeschreckt, als die Kinder im Gebüsch gelacht haben. Hast du irgendwelche schlechten Erfahrungen gemacht, die mit einem Kind zu tun haben?“ Mein Blick verschließt sich. Wenn ich ihm erkläre, dass er mit seiner Vermutung ins Schwarze getroffen hat, müsste ich ihm die ganze Geschichte erzählen. Und dazu bin ich nicht bereit! Diesen Teil meiner Vergangenheit habe ich nicht einmal Mona erzählt. Warum sollte ich ausgerechnet ihn damit belasten, wenn ich bereits ab morgen nicht mehr zu seinem Leben gehöre?

      Bedauernd erkläre ich: „Louis, das ist ein Teil meiner Vergangenheit, an den ich mich nicht gerne erinnere!“ Tränen steigen mir langsam in die Augen.

      Louis betrachtet mich nachdenklich, nickt dann kurz und sagt enttäuscht: „Du musst selbst wissen, wann und ob du bereit bist, mir von deinem früheren Leben zu erzählen.“

      „Wir sollten jetzt besser umkehren, es wird bald dunkel“, erwähne ich liebevoll. Louis steht auf und zieht mich zu sich hoch.

      Er legt die Arme um meinen Körper und sagt zärtlich: „Vielleicht änderst du ja bis morgen deine Meinung und entscheidest dich doch für mich.“

      Wir steigen den Hügel hinab und gehen Arm in Arm dem Sonnenuntergang entgegen, ins Dorf zurück.

      Kapitel 11

      DREI JAHRE ZUVOR

      Inzwischen wohnt Isabel seit einem Monat auf dem Anwesen der Familie Frapatelli. Sie hat sich gut eingelebt und auch die anfangs so grausam wirkenden Regeln mittlerweile akzeptiert. Allerdings geht sie immer öfter mit den Kindern in den Obstgarten, was Salvatore und Valentina nicht wissen, um mit ihnen zu toben und zu spielen. Die Kinder haben schnell erkannt, dass es für sie von Vorteil ist, wenn sie ihren Eltern nicht von allen Unternehmungen mit Isabel erzählen. Vormittags verbringt Isabel die Zeit mit Luca alleine, während Elena in der Schule ist. Sie liest ihm vor, geht mit ihm spazieren oder spielt und kuschelt mit ihm.

      Immer öfter trifft sie sich am Abend oder auch sonntags mit Marco. Er zeigt ihr den umfangreichen Garten, erklärt ihr die verschiedenen Vegetationen und Besonderheiten der Pflanzen.

      Isabel kann nicht verleugnen, dass sie sich zu Marco hingezogen fühlt. Er ist klug, witzig und sieht umwerfend aus.

      Am Tag nach ihrem unfreiwilligen Zusammenstoß, kam Marco auf sie zu: „Isabel? Musst du auch abends auf die Kinder aufpassen, oder hast du da frei?“

      Abschätzend betrachtete sie den jungen Mann ihr gegenüber und antwortete mit einem schüchternen Lächeln: „Wenn die Kinder im Bett sind, habe ich frei. Warum?“

      „Ich dachte nur, vielleicht hast du Lust, dass ich dir den großen Garten zeige?“, stellte er vorsichtig seine Frage.

      „Ja, gerne!“, nickte Isabel leicht errötend.

      Ab diesem Tag trafen sie sich regelmäßig. Sie unterhielten sich und schlenderten durch den Garten oder am Meer entlang.

      Einmal saßen sie zusammen am Strand und genossen den Sonnenuntergang. Marco legte den Arm um ihre Schultern und zog sie leicht zu sich heran. Es war der perfekte Moment für den ersten Kuss. Leider wartet sie noch heute darauf.

      An einem Freitagnachmittag geht sie mit Luca und Elena auf die weitläufige Plantage mit den Olivenbäumen. Sie haben dort eine Stelle entdeckt, die die Kinder ganz besonders lieben. Ein alter Pferdewagen steht verlassen am Ende des Geländes direkt vor dem Zaun. Wild wucherndes Gebüsch hat ihn bereits zur Hälfte verdeckt. Die Kinder klettern auf den Wagen und fühlen sich in die alte Zeit der Römer zurückversetzt. Isabel ist bewusst, dass die Regeln besagen, dass sie mit den Kindern hier nicht spielen darf. Jedoch genießt sie die Zeit zu sehr, die tobenden und laut lachenden Kinder zu beobachten, wie sie, ohne Rücksicht auf die strengen Verbote ihrer Eltern, ihrer Phantasie und ihrem Bewegungsdrang freien Lauf lassen.

      Sie sitzt auf einer Decke unter einem der kleinen Bäume und beobachtet amüsiert das Spiel der Kinder, als plötzlich Luca zu ihr gelaufen kommt und ihr seinen Teddy reicht. „Isi, kannst du auf ihn aufpassen? Ich kann nicht richtig klettern, wenn ich ihn festhalten muss.“

      Isabel lächelt Luca an und nimmt den Teddy entgegen. „Klar gib ihn mir. Er schaut dir von hier aus zu.“

      In diesem Moment hört sie einen lauten Schrei, gefolgt von einem ohrenbetäubenden Kreischen. Erschrocken schaut sie auf und sieht Elena, die schreiend zu Boden fällt.

      Blitzschnell springt Isabel auf und läuft zu ihr. Sie lässt sich neben Elena auf den Boden fallen und spricht sie besorgt an. „Elena, was ist passiert? Hast du dich verletzt?“

      „Aua! Es tut so weh!“ jammert Elena mit schmerzverzerrtem Gesicht. Isabel bemerkt, dass Elena die Stelle oberhalb des rechten Fußknöchels mit ihrer Hand bedeckt. Langsam zieht sie Elenas Finger zur Seite und erwartet eine Schürfwunde oder, im schlimmsten Fall, einen kleinen Schnitt. Was sie jedoch sieht, lässt ihr den Atem stocken.

      Zwei kleine rote Punkte im Abstand von circa einem Zentimeter leuchten ihr entgegen. Oh Gott, eine Schlange! Sie spricht ihre Befürchtung jedoch nicht aus, um die Kinder nicht zu beunruhigen. Schnell hebt sie Elena hoch und trägt sie zur Decke unter dem Baum. Dann setzt sie das Mädchen ab und spricht beruhigend auf sie ein. „Leg dich zurück Elena und bleib ganz ruhig. Es wird alles gut.“ In ihrem Kopf arbeitet es auf Hochtouren. Kann es eine Giftschlange gewesen sein? Wenn ja, dann muss ich sofort das Gift aussaugen. Sie braucht ein Messer oder einen anderen scharfen Gegenstand! Hektisch blickt sie sich um, kann aber nichts Geeignetes entdecken. Sie weiß, dass ihr nicht viel Zeit bleibt, höchstens ein paar Minuten, um noch rechtzeitig zu handeln. Kurzentschlossen zieht sie ihr Haarband vom Kopf und legt es, oberhalb der Bisswunde, um Elenas Bein. Mit einem kräftigen Zug bindet sie die Wunde ab, um den Blutfluss zu unterbinden.

      Als sie sich erneut hilflos umsieht, fällt ihr Blick auf Luca, der, mit Tränen in den Augen, neben ihr kniet. Verdammt! Sie muss Elena irgendwie zum Haus tragen! Aber es ist zu weit, da sie sich am Ende des Obstgartens befinden, der einige Hektar umfasst.

      All diese Gedanken schießen ihr innerhalb weniger Sekunden durch den Kopf. Sie entscheidet sich für ein Wagnis, welches sie eingehen muss.

      „Luca! Du musst mir jetzt gut zuhören!“, sagt sie in strengem Ton. Sie packt Luca an den Schultern und schaut ihm fest in die Augen. „Du musst so schnell du kannst zum Haus laufen. Dort ist Marco, ich habe ihn vorhin gesehen. Sag ihm, er soll sofort kommen und ein Messer mitbringen!“ Sie wartet auf eine Reaktion von Luca, der sie jedoch nur starr und mit angsterfüllten Augen anschaut. Kräftig schüttelt sie ihn. „Luca! Hast du mich verstanden? Lauf so schnell du kannst zu Marco!“ Isabel weiß, dass Luca normalerweise keinen Schritt ohne seinen Teddy unternimmt. Sie zieht ihn hoch, drückt ihm sein Stofftier in den Arm und schiebt ihn von sich weg: „Los lauf, schnell!“

      Luca läuft los, so schnell es seine fünf Jahre zulassen. Er läuft und läuft, ohne zu denken. Plötzlich bleibt er abrupt stehen, blickt sich um, kann jedoch Isabel und Elena nicht mehr entdecken. Er schaut auf seinen Teddy und ihm fällt schlagartig die Superkraft ein, die sein Plüschtier in seiner Tasche mit sich trägt. Er öffnet schnell